Black Country, New Road – Ants From Up There

von am 11. Juni 2022 in Album

Black Country, New Road – Ants From Up There

Steile These: Der unerwartete Ausstieg von Frontmann Isaac Wood kurz vor dem Release von Ants From Up There könnte es seinen (nunmehr ehemaligen) Weggefährten von Black Country, New Road ermöglichen, eine im breiten Konsens platzierte, wirklich herausragende chamberpoppige Indierock-Band zu werden.

Zumindest ist an dieser polarisierenden Aussage mutmaßlich etwas dran, wenn man schon beim Debüt For The First Time seine lieben Probleme mit dem melodramatisch rezitierenden, überkandidelten Vortragsstil von Wood hatte.
Selbst dann muss man bei aller Abneigung aber zugeben: Der Aussteiger macht auf Ants From Up There praktisch alles besser als bisher, intoniert weniger mühsam und singt runder. Sogar wenn subjektiv einige der allerorts Begeisterung hervorrufenden Textzeilen – obgleich eine weniger kryptische, offenere Innenansicht preisgebend – noch immer prätentiöse Kunst-Befindlichkeit ohne emotionale Greifbarkeit bleiben (dabei aber etwa über feuchte Träume von Charlie XCX ödipale Verhaltensmuster reflektieren – also grundlegend schon mehr Ebenen haben, als es auf den ersten Blick scheint) und dies einer der subjektiv einfach nicht restlos packen wollende Knackpunkt der Platte ist, agieren die Vocals nicht mehr bemüht und nervend, sondern fügen sich endlich homogener und symbiotischer in das Geschehen ein.
Denn in Wechselwirkung mit dieser Entwicklung haben Black Country, New Road dazu auch vice versa natürlichere Song geschrieben (also: nur noch selten verkopft konstruiert), denen es gut getan hat, dass die Melodien zugänglicher und die Arrangements tragender in den Vordergrund verschoben wurde – gewissermaßen nunmehr anstelle von Slint und Co. konsenstauglich und gefälliger Prime-Arcade Fire als eine tragende Inspiration für die englischen Eklektiker herhalten.

Chaos Space Marine wächst schließlich launig zum potentiell besten Will Butler-Song seit Jahren und verklingt in folkiger Ruhe, während das stille Concorde im leicht verspulten Schellentanz nostalgisch träumt und letztendlich auch wieder die jazzig-proggig angehauchte Indie-Gemeinschaft sucht, in aller smooth schwofenden, feierlichen Opulenz – aber ohne Bombast.
Bread Song agiert dagegen zwar melancholisch zurückgenommen, zeigt aber wieder diese melodramatisch beschwörende, orchestral anschwellende Geste. Zur Mitte klackern die Drums, schraubt sich das Spektrum enger fokussiert zusammen, nimmt der Song schlanker geformt neuen Anlauf (ungefähr Richtung Sons of Noel & Adrian), derweil der Klimax diesmal der Umkehrschub – nämlich die Einkehr – ist.
Good Will Hunting pendelt ein bisschen schwindelig um Synthies, oszillierende Gitarren, Streicher und Bläser, stackst zerfahren um seine Hooks und tänzelt am rockigen Ende, schubst das traurige Haldern mit seinem Klavier und Saxofon aber nicht zu sehr an: kammermusikalisch aufköchelnd perlt die mit dem manischen Ausbruch flirtende, für diesen aber zu wenig radikal eingesetzte Nummer – manchmal wirken die Kompositionen zwischen Jam und Medley so, als würden sie ihren Instinkten nicht genug vertrauen und deswegen lieber in methodischer Ziellosigkeit vorgehen.

Insofern  fühlt sich das warm und weich durch den Wait‘schen Jazz-Keller schlendernde Interlude Mark’s Theme wie ein natürliche Bindemittel an, das sich ganz in die weiche Atmosphäre legt. The Place Where He Inserted the Blade schunkelt anachronistisch durch die Vergangenheit schwelgend, träumt auf einer Platte der inhaltlichen Isolation romantisch von den Dingen, die sein könnten. Der Kontrast aus Intimität in der Strophe und den in die Welt hinausrufenden Endorphinen des Verliebtseins im Refrain, zu der sich alle wie im Rausch mitfreuen, sorgt für zusätzliche Impulse – und für eine leider zu selten entstehende Katharsis, die Ants From Up There theoretisch ständig hervorgerufen müsste, praktisch aber mit schwer zu definierender Distanz nicht fokussieren kann: Der Wandel der Band seit dem wilderen, eigenwilligeren und mehr Reibungen erzeugenden For the First Time ist eben auch ein ambivalenter.

Das Finale der Platte blüht vor diesem Hintergrund jedoch förmlich überschwänglich auf. Snow Globes schichtet sich malerisch mit Fidel und viel Geduld anschwellend, erklimmt im Trommelwirbel immer neue Steigungen, verdichtet sich – bringt aber strukturell keine Erlösung, brütet sein Grundmotiv über einen Strom aus zielgerichteten Crescendos „nur“ immer weiter; als Studioversion auch ohne Exzess. Dieses Mäandern, anstatt eine wirklich ergreifende Erlösung im Songwriting zu erzeugen, ist durchaus symptomatisch für ein Album, das ohne schlechte Sekunde bis kurz vor den euphorischen Rausch begleitet, diesen aber nur in der Idee erzeugt. Basketball Shoes folgt dagegen seinem verschmusten Saxofon zur Black Country-Variante einer bittersüßen Endzeitballade, flimmert zu orchestraler Majestät und dem Pomp, um großes Kino mit hymnischem Panorama zu sein – aber ungewissem Ausblick.
Denn weil Wood eben nicht nur der Sänger sondern auch ein tragender Songwriter der Band war, hätte angesichts der bisherigen Evolution der Band in fortlaufender Konsequenz eventuell wirklich sowieso irgendwann das art-affine, Post-Indierock-Meisterwerk anstehen hätte können, zu dem (das im Grunde vieles besser machende, weil kompletterer und konsensorientierter als sein Vorgänger ausgerichtete, aber dabei auch kaum genau zu lokalisierende reizvolle Ingredienzen zurücklassende Zweitwerk) Ants From Up There in all seiner Klasse flächendeckend gemacht wird. Die Zukunft aller Beteiligten bleibt aber auch – oder gerade deswegen – spannend.

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