Earth / Mount Eerie / Ô Paon [28.03.2012 Arena, Wien]

von am 29. März 2012 in Featured, Konzerte, Reviews

Earth / Mount Eerie / Ô Paon [28.03.2012 Arena, Wien]

Kein Stadionrock: Earth und Mount Eerie zelebrieren große Songkunst zwischen Drone, Noise und Country.

Man kennt sich generell aus Washington, doch ist Karl Blau der unsichtbare rote Faden des Abends. Mit Geneviève Castrée hat er bereits 2005 gemeinsam gearbeitet und nicht nur als Mitglied der „Key Losers Black Crow Session Band“ unter dem Produzentenauge von Phil Elverum gespielt, man kennt sich auch aus  The Microphones Tagen. Und seit dem ‚Angels of Darkness, Demons of Light‚-Doppelschlag steht Blau am Tieftöner eben auch im Dienst der Seattle Legende Earth. So erklärt sich eventuell die traumhafte Line Up Konstellation des Abends, die wieder einmal vor Augen führt, wie weitreichend das Erbe der Drone-Begründer in den Underground reicht, während Earth selbst mit ihren Wurzeln nur noch atmosphärisch verbunden sind. Was die drei „Bands“ dabei in erster Linie teilen, ist ihr Talent, aus wenig das Maximum heraus zu holen, die Intensität ihrer Musik in beinahe schwindelerregende Höhen – oder eher Tiefen – zu schrauben.

Mount Eerie alias Phil Elverum macht es dem Publikum ohne Bandunterstützung jedenfalls nicht leicht: Mit zwölfsaitiger Gitarre spielt die Szenegröße aus Washington ausschließlich neues Material der beiden noch dieses Jahr erscheinenden Platten ‚Ocean Roar‚ und ‚Clear Moon‚. Wohin die fertigen Songs auf Platte schlussendlich gehen werden, kann man bei dem Amalgam aus düsteren Dronesounds, Countryahnungen und postrockigen Singer-Songwriterflächen schwer erahnen – die Weiterführung des Black Metal von ‚Wind`s Poem‚ wäre jedenfalls auch keine Überraschung.
Die jeweils titelgebenden Songs der beiden Platten werden gespielt, ersterer fällt mit dissonanter Melodie aus dem gängigen Schema, zweiterer hat das Potential als ein Highlight in die Discographie des so veröffentlichungswütigen Einzelgängers einzugehen. Ungeachtet dessen wirkt das neue Material sperrig, nicht selten auch für geübte Ohren anstrengend und vor allem: eindringlich, atmosphärisch unheimlich dicht und trotz aller soundtechnischer Monumentalität erschreckend verletzlich. Beachtlich jedenfalls, welche Präsenz Elverum als Alleinunterhalter mit wenigen Effektpedalen im sich langsam füllenden Saal einnimmt.

Dass Castrée noch nicht ganz so weit ist, wie ihr labeltechnisch betrachteter Ziehvater Elverum, machen die eröffnenden 30 Minuten klar: Als würde sie lieber unter denn auf der Bühne musizieren, verschanzt sich Castrée auf der Bühne in aller Zurückgezogenheit. Dabei macht die Kanadierin unter ihrem Pseudomym Ô Paon weitestgehend alles richtig: Wie Elverum spielt die 31-jährige ohne Band, doppelt den charmanten französischsprachigen Gesang simultan zu den sich aufschichtenden Gitarrenwänden, baut da über unzählige Loops und Livesamples beachtliche Klangmonolithen auf, tritt allerdings in die für Solomusiker in diesen Gefilden so oft ausgelegte Falle: Das ist Live nicht nur eine Spur zu monoton, sondern folgt auch dem immer gleichen Muster: Die Songs türmen sich auf, ziehen die Schlinge immer enger – und enden plötzlich und unerwartet abrupt, reißen dadurch ein unnötiges Loch in die sonst stimmungsvolle Melange aus Scout Niblett artigem Gitarrennoise und – wenig verwunderlich – Phil Elverum Songwritinganleihen. Dass dabei niemals die variable Bandbreite dessen Schaffens erreicht wird, stört zu keinem Zeitpunkt – ließe jedoch die Überlegung ob etwaiger Begleitmusiker zu einer eventuell sinnvollen werden.

Mit Problemen dieser Art müssen die unumstrittenen Leithammel des Abends zu keinem Zeitpunkt kämpfen. Dass die mutmaßlich jährlich stattfindende Earth-Audienz zu einem reinen Triumphzug werden würde, ist vom ersten Ton an klar. Dylan Carlson webt sein an Country und Doom geschultes Gitarrenspiel in das massiv schleppende Rhytmusgerüst, bestehend aus dem beckenfixierten Schlagzeugspiel seiner Lebensgefährtin Adrienne Davies und der unscheinbaren Virtuosität Karl Blau’s am Bass. Das ist tight ohne Ende, groovt abgehakt, ist knochentrocken und trotzdem so lebendig, walzt mit einer entspannten Wucht durch den Saal und bringt das Paradoxon von punktgenau gezeichneten Kompositionen und ausufernden Jamgelagen unter einen Hut – nicht unweit der Studioaufnahmen, aber noch nachdrücklicher. Und führt dabei auch eine zusätzliche Bereicherung des Earth-Soundkosmos weiter: Cellistin Lori Goldston veredelt wie schon auf dem jüngsten Meisterwerk ‚Angels of Darkness, Demons of Light II das instrumentale Kopfkino der Band um eine ganze Schippe Melancholie, bereichert jeden Song der aus den letzten sieben Jahren gepflückten Setlist – klare Sache: Da hat zusammengefunden, was zusammen gehört. Was ausnahmsweise nichts damit zu tun hat, dass Goldston wie auch Carlson mehr oder weniger große Fußnoten in der Biographie von Nirvana Mann Cobain hinterlassen haben. Denn nicht erst in dieser formvollendeten Konstellation schrauben Earth an ihrer eigenen Legende, ihrer zweiten, nach den Drone-Jahren, wenn man so will. Womit sich auch der Kreis zu Elverum schließt, dem dies mit Mount Eerie nach The Microphones im überschaubareren Rahmen ja ebenso geglückt ist. Ein weiterer Grund, weswegen das Line-Up der Tour zum gelungensten der letzten Jahre wächst. Auch und vielleicht vor allem, weil man auch ohne jedwede Zugabe als Zuhörer schon lange kein Konzert derart ausgelaugt verlassen hat.

 

Print article

1 KommentarKommentieren

  • dfbm - 31. März 2012 Antworten

    Schöner Text.
    Hab die Konstellation in Leipzig gesehen und Ô Paon war eindeutig das Highlight. Hypnotisch und eindringlich. Phil war Phil – fahrig, sperrig und sympathisch wie immer.
    Bei Earth hab ich mich dann verdünnisiert, ist nicht meine Welt – ich leb auf dem Mond 🙂

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen