Editors – EBM

von am 29. September 2022 in Album

Editors – EBM

Die personelle Entscheidung der Editors Produzent Benjamin John Power alias Blanck Mass nun als vollwertiges Bandmitglied aufzunehmen, darf als symptomatisches Statement für den allgemeinen Zustand von EBM verstanden werden.

Das siebente Studioalbum der Briten ist mit Ansage sowohl nach dem Pate stehenden Musikgenre wie auch den Initialen des Zusammenschlusses mit Blanck Mass benannt, hat wichtiger aber noch nun endlich jene Konsequenz, die die Blanck Mass Sessions nach dem halbgaren Kompromiss Violence nur bedingt an den Tag legte: Die Synthies funkeln und die Keyboarde schimmern, während die Bässe unerbittlich pumpen und die Beats konzentriert hämmern – die Editors lassen diesmal alles auf den Tanzflächen der Clubs raus.
Und diese Bereitschaft All-In zu gehen wirkt wie ein Katalysator für das Melodieverständnis der mittlerweile sechsköpfigen Band: Eine elektronische Heart Attack stampft vielleicht am Jungle entlang, hat aber im Kern eine klassisch pathetische Editors-Hymne brennen, die die Briten endlich wieder beinahe so majestätisch und catchy wie zu ihren Hochzeiten bis In This Light and On this Evening schwadronieren lässt, derweil die Nummer spätestens über den in den Post-Punk der 80er tendierenden Coda-Ausklang auch den nötigen Raum bekommt, um die himmelstürmende Catchiness nicht am Altar der Banalitäten zu opfern.

Die Zusammenarbeit mit Blanck Mass erzeugt weniger eine kreative Reibung, als dass sie um die Ziele der Editors wissend am gemeinsamen Strang ziehend die nötigen Energien freisetzt, um sich physisch präsent wieder auf eine Relevanz einzulassen, die der Band in den vergangenen Jahren oft abgegangen war. Picturesque bollert als treibender Hit hart zwischen Perturbator und New Order, Carpenter Brut und Depeche Mode, Sisters of Mercy und eben Fuck Buttons, atmosphärisch galoppierend und exzessiv die Motive loopend – eine gewisse Penetranz zelebriert sich auf EBM schon stets, im Rausch hat die Übersättigung aber etwas effektives, zielführendes, selten sogar etwas euphorisierendes.
Karma Climb zieht den Darkwave und The Cure-Ästhetiken mit Adrenalin auf den Dancefloor, pumpt seinen unpackbar eingängigen Refrain bis zum Erbrechen, enteilt aber der brachialen Banalität , indem die Stadion-Ambitionen diesmal nicht gallig penetrieren, sondern den Animations-Chor in den Texturen eingewoben zeigen. Kiss ist eine Hybrid aus Fernsehgarten und Disco, aber nicht oberflächlich, weil die nostalgisch beschwörende Sehnsucht für Tiefe sorgt – gekrönt durch den finalen Columbia-Abtritt, der sich an der absoluten Assoziationen vorbeischrammend immer wieder weit genug weg windet, um als Klavier-Elegie in der Regennacht zu verklingen.

Dort übernimmt Silence mit gedrosselten Tempo im ruhigen, kontemplativen Ambiente, dessen verträumt gedimmtes Stroboskop unentschlossen wirken kann, jedoch auch für den schön sequencierten Fluß einer Platte steht, die sich hier im Herzstück mitsamt erhebender Geste der heulenden Coldplay-Gitarre ebenso introspektiv wie exaltiert zeigt. Strawberry Lemonade fiept nahe der Nervgrenze des Techno und belohnt mit einem Chorus, der nicht mehr aus dem Schädel will, was dem zu simpel gestrickte Vibe mit seinem „Hey“-Sample und Gassenhauer-Flair etwas weniger trittsicher gelingt. Aber gut, bis zu diesem Zeitpunkt des homogenen Albums ist praktisch jede Nummer von EBM eine veritable Single.
Das zu lange Educate mäandert danach aber „nur“ um eine niedliche Beschwingtheit, die Robert Smith auch wegen der dystopischen Kante der Nummer gefallen könnte, zumal der Refrain die Zügel enger packt und so ähnlich auch im Back Room passieren hätte können, bevor Strange Intimacy Martin Gore und I Feel Loved Tribut zollt, das organische Schlagzeug vor allem krautig den Groove an düsteren Gitarren und eiligen Synthies vorbeizieht und auf die Transzendenz der körperlichen Bewegung setzend ziellos ins Nirgendwo hetzt – und damit selbst im schwächsten Drittel der Platte für eine über allen Erwartungen liegende, zwingend konzentrierte und beharrlich schlüssige Umsetzung sorgt.

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