Grails – Miracle Music

Dass die sich ansonsten viel Zeit lassenden Grails nur knapp eineinhalb Jahre für Miracle Music, den Nachfolger zu Anches En Maat, benötigt haben, grenzt wohl tatsächlich an ein kleines Wunder.
Wenn dem so ist, stellt das mutmaßlich neunte Studioalbum der Amerikaner allerdings ein stilles, beinahe unscheinbares dar.
Immerhin bedeutet Miracle Music für Grails eine Spielart, die den angestammten Trademark Sound auf eine betont minimalistisch gehaltene, geradezu ambiente Ebene ausdünnt, ihn so luftig macht, dass das Songwriting an einem Punkt ankommt, an dem die Nummern des Quartetts wie eine Abfolge meisterhaft aufgefächerter Interludes anmutet, oder wie ein ausführlicheres Flanieren dort, wo die Übergangs-Passagen vergangener Alben schwelgten.
Selbst wenn man von Grails niemals konventionelle Crescendi oder orthodoxe Höhepunkte vorgesetzt bekam, kann Miracle Music insofern einer Geduldsprobe gleichkommen. Wo die Stimmung und Atmosphäre der Platte anzieht und über die gesamte Spielzeit mühelos fesselt, zerrinnen die markanten Szenen auch stets zwischen den Fingern und plätschert das Ganze etwas zu eindruckslos vage und unverbindlich nebenher.
Dabei verspricht der Einstieg erst noch eine hinsichtlich der Opulenz konkretisierte Fortsetzung zu dem von einem Gutteil der Hörerschaft mit zu wenig Liebe bedachten Anches En Maat, wenn Silver Bells mit elektronischer Spannung aufgeladen wummert, im Soundtrack Modus wie ein dringlicher Fiebertraum voll typischem Grails-Mystizismus pulsiert – gar nicht so weit weg von 65daysofstatic. Nachdem sein immer eindringlicher werdender Opener schließlich konsequenzlos verpufft ist, folgt Miracle Music seinem Vorgängerwerk dann jedoch über weite Teile eigentlich genau in die entgegengesetzte Richtung, arbeitet intrinsischer und subtiler.
Earthly Life (symptomatisch eine Art imaginative Spa-Musik ätherische Trance in einem mäandernden Klangmeer), Homemade Crucifix (das wie der Soundtrack eines Agentenfilms eindringlich und entrückt in die Suspense-Lounge schleicht), Harmonious Living (das sich in stiller Andacht entlang eines krautigen, maschinellen Beats wie verschwommene Erinnerungen an den Jazz vorsichtig durch den Orient treiben lässt), Perfect Etercuss (eine klatschende, nostalgische Selbstreferenz-Collage als transzendente Nostalgie mit einem frischen, unverbraucht neuen Raum erschliesenden Gefühl), das tolle Visible Darkness (wo klassischer Postrock wie Nebel über das sphärische Score-Klangland zieht) und vor allem der 93 sekündige, ätherische gen Sigur Ròs gehende Abspann Choir Commencement haben dabei jedoch (höchstens) das Problem gemeinsam, dass alle Stücke zu kurz angebunden sind: Man wäre der Band in jedem einzelnen davon so gerne über die Fünfminuten-Grenze hinweggefolgt; denn dort wäre es für die sich wieder einmal subversiv ein Stück weit neu erschaffenden Gruppe wirklich interessant geworden.
Selbst in den beiden – mit jeweils rund sieben Minuten Spielzeit – längsten (und dabei auch konventioneller strukturierten) Songs der Platte erschöpfen Grails das nach Innen gerichtete Panorama ihrer aktuellen Zustandsform in kompositioneller Hinsicht jedoch nicht restlos.
Dies gilt besonders für Primeval Lite I-III. Dort sinniert die Band an der Acoustic-Gitarre zurückgenommen im Western. Mit minimalistischem Beat hat etwas von Mogwai und Explosions in the Sky. Gedankenschwer fließend macht die Suite mit wirbelndem, organischen Schlagzeug und Bläser-Imitationen fürsorglich auf, zieht ihre Erhabenheit jedoch bald wieder zu abrupt in einen enigmatischen Kokon am Dark Ambient zurück.
Grails kratzen dabei in allen drei Passagen an der Oberfläche, legen eine keinen leeren Meter vermessen wollende Zügigkeit an den Tag, die im Umkehrschluss jedoch durch das Abhaken von Orientierungspunkten im Narrativ nicht effektiver zum Ziel führt. Stimmiger funktioniert da schon das schemenhaftere, weniger exakt ausgelegte Wandern von Strange Paradise, das an den Bläser-Arrangements von Kelly Pratt wächst und das cinematographische Wesen der Platte eindrucksvoller erstrahlen kann.
Mag das von Emil Amos, Alex Hall und ihren Kollegen erzeugte Flair dabei auch einzigartig und unersetzlich sein: Fein wäre es, wenn nach einem guten Dutzend an Durchgängen mehr als dieses hängen bleiben würde. Das Geheimnis dieses faszinierenden Übergangsalbums will sich einfach nicht erschließen.
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