Iceage – Beyondless

von am 1. Mai 2018 in Album

Iceage – Beyondless

Iceage bleiben ruhelos getriebene Geister. Das zwischen den Stühlen brütende Beyondless zeigt die eindringlichen Kopenhagener nach vier Jahren Auszeit dennoch – oder: gerade deswegen! – von einer sesshafteren Seite.

Wir sind eine Band, die niemals ankommt. Wir sind immer auf der Jagd nach etwas, von dem wir selbst nicht wissen, was es ist. Jedes Mal, wenn wir eine neue Platte machen, denken wir, wir erhaschen einen kurzen Blick darauf, aber dann entschwindet es wieder” erklärt Elias Bender Rønnenfelt. Für Beyondless bedeutet dies, die roh-unbändig den Hardcore verführende Postpunk-Direktheit von New Brigade, die sich so ja bereits auf You‘re Nothing (2013) verabschiedete, mittlerweile endgültig gegen eine breitere musikalische Basis getauscht zu haben, die den dekadenten Nihilismus des Quartetts mit theatralischer Geste in eine stilistische Vielseitigkeit übersetzt. Studioalbum Nummer Vier macht insofern dort weiter, wo Plowing Into the Field of Love (2014) bereits die nötigen Weichen im Gravitationsbereich von Marching Church stellte, um das bedrohliche Gedankgut der Dänen mit notgeil brodelnder Spannung lasziv aufzukochen, nunmehr aber auch abseits des angepissten Siedepunktes ziehen zu lassen.

Das bedeutet durchaus auch eine weitere Annäherung an Strukturen, die bei anderen Bands wohl zu konventioneller Verdaulichkeit führen würden. Der Effekt für Iceage ist dagegen ein paradoxer: Mit der grundlegend kaputten Attitüde des Vierers scheint man nach der Sturm und Drang-Periode der Frühphase nun zwar endgültig in einer reiferen Version der selben ungemütlich kapriziösen Leidenschaft angekommen zu sein, doch selbst potentielle Popsongs wie das aufbegehrende Pain Killer hofieren dabei jedoch immer noch ein verstörendes Element.
Wenn eine fast schon opulente Bläsersektion da die eingängigen (auch: übersättigend gallige) Melodien umgarnt, schneiden die Gitarren nur noch dezent im Hintergrund gemein, während Rønnenfelt und Hipster-Liebkind Sky Ferreira im schiefen Duet Arrangements vorneweg stolzieren, die wie ein Amalgam aus aufgetakeltem James Bond-Theme und ranziger Kids-Reunion wirken.

Iceage bleiben eben auch mit kontrollierterer Vision eine impulsiv angetriebene Band. Hurrah gibt da den energisch-straighten Rocker, der nicht nur in der versifften Folterkammer funktioniert, sondern mit klaren Gitarren als stadiontaugliche Interpretation von The Icarus Line mit ordentlich Drive so schmissig und packend daherkommt, dass sich das Quartett in seiner Dringlichkeit beinahe überschlägt – ohne sich dabei aber noch selbst zu verletzen: Wohl ein markanter Unterschied in der Gangart der Selbstkasteiung.
Under the Sun scheint dagegen herrlich schief behelfsmäßig zusammengeflickt und geht dennoch aus dem Leim. Eine dramatische Gun Club-Geste stapft holprig polternd durch die heruntergekommensten Bordelle der Stadt, das Leitbild von Warren Ellis‘ kratzender Violine tanzt wie ein Rattenfänger vorneweg, die Streicher scheinen ohnedies fiebrig zu fantasieren. In The Day the Music Died dirigiert ein strammer Rhythmus mit ordentlich Körperspannung Bläsersektionen und ein klimperndem Piano mit dem Groove alte Queens-Lässigkeiten, bevor Plead the Fifth verträumt sommerlich perlend selbst die militärische Strenge im Schlagzeug locker und luftig klingen lässt: Ein Lalala-Singalong mit gefinkelten Instrumentarium im Hintergrund, der dann ebenso wie der mit variierendem Tempo den Mond von der Honky Tonk-Polka-Veranda anheulende Thieves Like Us die Frage stellt, ob man 2018 tatsächlich eine Art unverbindlichen Spaß an und mit Iceage haben kann.

Zumindest hat sich die Dynamik im Sadismus der Band gewandelt, der Konfrontationskurs ist weniger direkt. Das entschleunigte Western-Flair von Catch it – was für eine schwitzend brütende Predigt! – gibt sich etwa beschwörend dicht und gönnt sich ein toll explodierend eskalierender Finale samt schleppender Kakophonie. Diese fratzenhafte Intensität ist es dann auch, die aufwiegt, das Beyondless gerade hinten raus ein wenig der Zug zum Tor.
Take it All sediert Johnny Marr auf der militärischen Streckbank samt orientalisch flimmernden Streichern und pflegt fast zärtlich und tröstend ein dezent und versöhnlich tröpfelndes Cinemascope. Das klingt auf dem Papier aber spannender und vor allem packender, als letztendlich auf Tonträger. Ebenso der mit jazzig lauernden Trompeten im Umzug durch The Big Easy torkelnde Showtime oder die rauschend-maschinelle Beinahe-Ballade des episch gemeinten Titelstücks mit ihrem launigen Synthie-Überbau, die abschließend noch einmal vorzeigt, dass Iceage kompositionell phasenweise zu zäh auftreten. Durch die Konzentration auf die Ästhetik, die Geste und Inszenierung eines Wachstumsprozess nimmt die Band in Kauf, das unbedingt packende, zwingende Momentum aus den Augen zu verlieren und gelegentlich mit einigen wenigen elaborierten Längen zu mäandern. Auch diese Form der Selbstgefälligkeit ist jedoch nur ein weiteres Element der faszinierenden Evolution einer tatsächlich weiterhin im Aufbruch begriffenen Ausnahmeband: Jeder kurze Blick, den Iceage auf potentielle Ziele erhaschen zu glauben, bleibt zumindest faszinierend eigenwillig.

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