Jamie xx – In Colour

von am 27. Mai 2015 in Album

Jamie xx – In Colour

Dass der zur Gleichförmigkeit neigende, dunkle Melancholie-Minimalismus seiner Stammband nicht alles für Jamie Smith sein kann, stellt der 26 Jährige Londoner bereits mit dem titelentsprechenden, schillernden Artwork von ‚In Colour‚ klar. Die dazugehörigen elf Songs seines Debütalbums entwickeln sich folgerichtig auch zu einem vielfältigen Stilamalgam, dessen Ursprung im The xx-Sound transzendent bleibt.

So unaufhaltsam das Farbspektrum am Cover rotiert, so wenig will sich Jamie xx mit den Erfahrungen unzähliger Remix-Ausflüge im Rücken nun auf eine Gangart festnageln lassen: ‚In Colour‚ hat seine Basis, verweilt jedoch niemals länger als nötig an einem Fleck, flicht mit spielerischer Leichtigkeit ein abwechslungsreiches Songsammelsurium, das sich frei zwischen Genres und Ambitionen bewegt. ‚Hold Tight‚ richtet seinen vage bleibenden Fokus etwa auf den Grenzbereich der UK-Clubszene, ‚The Rest Is Noise‚ sucht sich seinen Weg von der intimen Piano-Zauberei zum friedfertig pulsierenden Electrosog. Mal verneigt sich Smith vor der Jon Hopkins’schenTanzbarkeit  eines ‚Immunity‚ (‚Sleep Sound‚), dann vor der schlafwandelnden Schönheit der ‚Asleep Versions‚ (‚Just Saying‚). ‚Obvs‚ hypnotisiert hingegen mit nebulöser Steel Drum als marschierender Kalypso-Ausflug, der all seine Möglichkeiten fein säuberlich durchdekliniert, dabei vor allem vorführt, was Smith längst sein Eigen nennen kann: einen unverkennbaren Trademark-Sound, der auf ‚In Colour‚ die klassische The xx-Stimmung zudem ohne Berührungsängste in viele Richtungen weiterdenkt, in die Beine geht und in seinen weiten Klangwelten verlieren lässt, diese enorme atmosphärische Dichte entfaltet, die sich nach der Einsamkeit in großen Menschenmassen anfühlt.

Dabei ist ‚In Colour‚ durchaus ein Werk geworden, das zumindest geistig immer wieder den Schulterschluss sucht. Der stacksend-hechelnde Downbeat-Opener ‚Gosh‚ arbeitet sich etwa zum potentiell idealen Grundgerüst für M.I.A.-Großtaten hoch und stellt wie einige der vorwiegend instrumental bleibenden Tracks in Aussicht, welch grandiose Szenarien und nach oben hin offene Spielwiesen Jamie Smith hier theoretisch für andere Künstler entworfen hätte – gerade auch weil die Songs mit Gastfeatures eklatant aus dem Gesamtwerk hervorstechen: Young Thug und Popcaan feiern auf dem polarisierenden ‚I Know There’s Gonna Be (Good Times)‚ eine Dancehall-Party mit anachronistischem Charme, ‚Seesaw‚ mit Romy Madley Croft wird von Four Tet zum nach vorne treibenden Tagtraum aus weicher The xx-Romantik und sich im Nebel bewegender Körper.
Bezeichnenderweise sind ohnedies gerade die Kollaborationen mit seinen angestammten Bandkollegen die harmonischsten: ‚Stranger In A Room‚ hat als Wechselpol Oliver Sims Stimme und dessen bittersüß abgedämpfte Nacht-Gitarre an Bord, strahlt als hybride Verbindungsbrücke zu ‚Coexist‚. Und gerade all jenen, die dem zweitem The xx-Album künstlerischen Stillstand vorwarfen, grätscht ‚Loud Places‚ mit einer melancholischen Romy und dem konträr aufmachenden, geradezu feiernden (und aktuell sehr gefragten) Idris Muhammad-Sample von ‚Could Heaven Ever Be Like This‚ auf umarmende Weise in die beine und zelebriert ganz wunderbar die Eleganz zeitloser Popmusik. Dass Jamie xx an dieser Platte Jahre geschraubt hat merkt man – sie hört sich beeindruckenderweise nur nie nach dieser harten Arbeit an.

Dabei hätte ihr etwas mehr Konsequenz im Forcieren wirklich überragender Augenblicke mitunter nicht geschadet. Denn als unverkrampfter Ideengeber im Hintergrund zu agieren, das beherrscht Jamie xx zwar makellos. Und es ist durchaus auch einer der Kniffe von ‚In Colour‚, den Tüftler Smith nicht nur als stichwortgebenden Atmosphäremeister, sondern auf sich alleine gestellt als Songkonstrukteur formidabel in Szene zu setzen. Neugierig streift das Debüt also sowohl detailiert ausformuliert gebastelt und dennoch hungrig hinterlassend umher, inszeniert dabei allerdings doch auch vor allem eine ambivalente Anziehungskraft.
Weil einige Trackausflüge (ohne jemals unbedingt das Gefühl einer dringenden Abgängigkeit oder missenden Ingredienz zu vermitteln) nur zu gerne um ihren eigentlichen Kern schwänzeln und es damit vermeiden, tatsächlich zum Punkt zu kommen, dezent im Schatten der wahrhaftig süchtig machenden Brillanz der Highlight-Entwürfe hier stehen, weswegen die Platte auch nicht zu jedem Zeitpunkt das selbe Maß an Intensität und Stringenz kultivieren kann – beispielsweise der eindruckslos verglühende Schlusspunkt ‚Girl‚ will mutmaßlich sogar beinahe als Aufforderung verstanden werden, gewisse Momente der Platte nur als Ausgangspunkt für zukünftige Erweiterungen wahrzunehmen.
Womit das lose verwobene Stückwerk, gleichzeitig kohärent und stimmig umschlossene ‚In Colour‚ eine bisweilen paradoxe Expedition ohne klares Ziel bleibt, für seine 44 Minuten an farbenprächtiger Reisezeit jedoch einen betörenden Zauber verstrahlt, mehr als alles andere aber die Spannung darauf erhöht, welche Tore Jamie xx mit dieser Wundertüte von einem Album für das dritte The xx-Release geöffnet hat.

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1 Trackback

  • The xx - I See You - […] alles andere im kräftigeren Gewand, dass Jamie xx der Band mit dem Rückenwind seines Solodebüts In Colour auf den…

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