Jonathan Wilson – Rare Birds

von am 11. März 2018 in Album

Jonathan Wilson – Rare Birds

Laurel Canyon-Pilger Jonathan Wilson war immer schon ein Kind der ausklingenden 60er und freischwebende 70er – spirituell wird er dies auch bleiben. Sein viertes Studioalbum Rare Birds hat er nun allerdings durchaus überraschend konsequent in synthielastige 80er-Produktionswatte gepackt.

Ob Wilson nach Jahren des relativen Darbens als gefeierte Nischensensation des Indiesektors und klangvirtuoser Liebling von Musikerkollegen nun auf der Suche nach breitenwirksameren Erfolgen ist?
Dafür sprechen zumindest einige Hinweise auf Rare Birds. Wie etwa die Tatsache, dass der 43 Jährige – ansonsten in der zweiten Reihe von Conor Oberst bis Roger Waters zu finden – auf die Gästeliste von Rare Birds nicht nur sein 2017er-Pure Comedy-Protegé Father John Misty (für 49 Hairflip, ein ambienter Minimalismus an den Tasteninstrumenten samt sorgsamen Texturen, doch wenn das romantische Dösen endlich seine Eruption findet, ist es kein In the Air Tonight-Moment, sondern eine weichgespülte Zahnlosigkeit) schreiben hat lassen, sondern auch Sepia-Vintagequeen Lana Del Rey, die dem schwülstig verwehten Hauch des im Refrain griffigen Living with Myself unheimlich subtile Backingvocals beisteuert.

Stilistische Anhaltspunkte, die bereits verdeutlichen, dass sich die prägenden Referenzen für Wilson von Neil Young, Joni Mitchell und Co. weg verschoben haben. Und tatsächlich kann es als wieteres Indiz für eine Erweiterung der Zielgruppe angesehen werden, dass Wilson seinen Sound für Rare Birds drastisch adaptiert hat. Mehr noch: Er ist quasi von der ersten Anlaufstelle für authentisch aus der Zeitkaspel geborgene Produktionen im Spannungsfeld zwischen psychedelischem Folk und transzendentalem Americana mit der trendbewussten Zeitmaschine schnurstracks in jenes Fahrwasser gewandert, das Adam Granduciel durch den Soft- und Heartlandrock der gradierenden 80er Revivalmode gezogen hat. Gitarren spielen da kaum mehr eine Rolle, dafür aber funkeln nun auf Rare Birds überall entspannte Neon-Synthies, das Design des Brechreiz-Artworks spiegelt die Stimmung doch irgendwo adäquat wider und die Drummachine läuft nicht nur in der ersten – viel zu langen – Single Over the Midnight mit einer schimmernden Unaufgeregtheit auf dem endlos in die Sehnsucht führenden Highway Richtung Dylan und Springsteen dahin, den The War on Drugs in den vergangenen Jahren salonfähig gemacht haben.

Über weite Strecken der Platte stimmt es schon: Plakativer haben bisher wohl nur Palace Winter die Klangästhetik von The War on Drugs kopiert, doch lässt sich Rare Birds ohnedies nicht nur auf diese Szenen reduzieren. Wilson flaniert scheuklappenbefreit durch die 80er und saugt dabei alles auf, was sein geschultes Ohr aufnehmen kann – gedämpfte Bassdrums und analoge Keyboards, Hammond Orgel und Zither, Banjo oder Glockenspiel umgarnen Spurenelemente von Genesis und den Eagles, von Phil Collins und Pink Floyd, von Dennis Wilson, Don Henley oder Fleetwood Mac.
Dieses neue Soundkonzept funktioniert zwar einerseits, weil Wilson ohnedies immer schon ein reproduzierender (Ana)Chronist war, der als Studiofuchs weiß, was und wie er es tut. Dennoch muss man feststellen, dass er seine eigene Handschrift auf Albumlänge bisher doch eigenständiger zu artikulieren verstand, man all die – bei 80 Minuten Spielzeit reichlich vorhandenen – Längen in den Kompositionen deswegen auch phasenweise als Lamentieren in einer gewissen Identitätskrise wahrnimmt. Denn was an der Oberfläche durchaus betörend klingt, lässt darunter in den schwächsten Momenten ein gewisses Maß jener Authentizität vermissen, das dem eklektizistischen Wesen von Wilsons Arbeit ansonsten immer erhalten geblieben war. Vor allem aber kann das neue Produktionsgewand einfach nicht kaschieren, dass das Songwriting an sich auf Rare Birds stellenweise äußerst durwachsen ausfällt und nach seiner enorm stimmungsvollen Eingangsphase und ersten Hälfte trotz einiger netter Wendungen zu selten seine elaborierte Ausführlichkeit rechtfertigt.

Das tolle Trafalgar Square dreht den Dylan-Barometer in der Intonation vor dem The Dark ­Side Of The Moon-Hintergrund hoch, schlapft mit stumpfen Bass stoisch und gibt sich im Refrain doch ausgelassener feiernd, behält sich aber die Option in ätherischen Ambientwelten wandern zu gehen und eine leise Gospel-Ahnung von dort mitzunehmen. Im barocken Kammermusikpop Me unterspült ein organisches Schlagzeug vorsichtig eine verletzliche Pianonummer, die sich nachdenklich dösend durch den Hall treiben lässt und ein Saxofonsolo findet.
Im gelösten Westcoast Pop von There’s A Light find ein überquellendes Instrumentarium rund um Slidegitarren, Fender Rhodes, Chöre, Streicher und Vocoder Platz, ohne überladen zu wirken und schunkeln damit munter aufgeweckt in den Frühling, während Sunset Blvd als melancholische Ballade am Klavier Platz nimmt – Wilson haucht und schwelgt nostalgisch in Erinnerungen, subtil blüht der Song im immer opulenter werdenden Instrumentarium auf, und erzeugt eine bildgewaltige Assoziationstiefe.
Miriam Montague wird mit Streichern in Richtung Beatles getrieben, kleine Brüche wie ein spontanes Saxofon holen sich die Aufmerksamkeit zurück, wenn der Song in purer Langeweile zu versanden droht – wieviel Leerlauf und Füllmaterial Wilson hier nur ob eines megalomanischen Grundgedankens zulässt kann schon frustrierend sein. Selbst die orientalische Färbung und Disco-Lässigkeit von Loving You entpuppt sich deswegen als Wolkenschloss am Trittbrett von Granduciel, wohingegen das feine Hard To Get Over eine innere Unruhe über seinen stacksenden Beat transportiert und sich eine beschwörende Coda vorbehält. Hi Ho To the Righteous forciert schließlich einen durchaus kurzweiligen Country mit nervtötend-abstrusen Effekten und wohliger Melodie, bevor das zärtliche Mulholland Queen in einem Meer aus bittersüßer Melancholie badet und das Panorame leise glimmernd in den Nachthimmel strahlen lässt, letztendlich aber eindruckslos verpufft. Gelungene Flächen und schöngeistige Ausfälle wechseln sich in der zweiten Hälfte von Rare Birds eben enervierend ab, verschwenden das immer wieder aufzeigende Potential zwischen alterloser Eleganz, meisterhaften Arrangements und überhöhtem Balast. Es mangelt dem guten, aber im Hintergrund passierenden Rare Birds schlichtweg an Balance, Selektion, herausragenden Songs und dem markanter auf den Punkt findenden Fokus.

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