Kele – The Waves Pt. 1

Kele Okereke lässt sich selbstreflektierend durch die Isolation treiben: The Waves Pt. 1 ist als typisches Zeichen seiner Zeit eine Platte, die ohne Pandemie so wohl nicht entstanden wäre. Fortsetzung inklusive?
Im Lockdown auf einsamen Spaziergängen erdacht, hat der Bloc Party-Frontmann und sich selbst als Solomusiker immer wieder neu erfindende 39 jährige erstmals ein Album komplett auf sich alleine gestellt aufgenommen, was sich dezidiert in der ästhetischen Form von The Waves Pt. 1 widerspiegelt: Okereke setzt seine Stimme überlegt und mit Haltung ein, streift immer wieder durch Spoken Word-Passagen, loopt neben einigen wenigen Piano-Stupfern und Samples jedoch vor allem Gitarrenspuren, setzt oszillierenden Reverb und Effektpedale ein, um eine Symbiose aus Indie und Ambient zu kreieren.
Nicht nur in How to Beat the Lie Detector oder dem kompletten They Didn’t See It Coming skizziert er, dass hier auch knackige Songs für seine Stammband entstehen hätten können, doch erinnern die Basteleien meist eher an Postrock-Score-Welten aus der Perspektive von Kollegen wie Alt-J auf der Achse zu Eno/Hopkins, Peter Silberman und Phillip Glass im aufgeräumten Minimalismus.
Introspektiv, ein bisschen poetisch und reif (mag Okereke da auch stellenweise sogar Peter Pan-Leitsprüche bemühen) perlen die Gitarrenlinien und sinnieren meditativ, gönnen sich wie in The One Who Held You Up mal düstere, mal dröhnende, mal hoffnungsvoll schimmernde Texturen, während der Gesang sich bis zum Chor erhebt, die Katharsis ist zart ins ruhig. Durch geschickt in den Details verschobenen Facetten entsteht auch keine erdrückende Gleichförmigkeit.
Dennoch hätte es die Vorzüge und Konturen des Werkes besser akzentuiert, wenn Kele das Material destillierter aufgearbeitet hätte.
Dass viele instrumentale Stücke das Geflecht von The Waves Pt. 1 durchziehen, vertieft zwar die imaginative Wirkung einer somnambulen Wanderung zusätzlich, im Umkehrschluss ist jedoch eine leicht entrückte, zurückgenommene Interpretation des Bronsky Beat-Hits Smalltown Boy – dystopisch mit beklemmender Grandezza und leise verzweifelnder Dramatik ausgestattet tauchen gar Ahnungen von Beats auf, um eine Drone-Ballade zu entwerfen – genau genommen die konkretest nachhallende Komposition hier. Wo einige schöne Melodien und Hooks verschwimmende Ideen in einem fragmentarischen Kaleidoskop bleiben, steht hier trotz vieler fesselnder Ansätze die Atmosphäre doch über der Griffigkeit des Songwritings und verliert sich so ein bisschen in seiner eigenen Komfortzone. Das macht diesen persönlichen, distanzlosen Soundtrack stets angenehm und charismatisch anziehend zu hören, in der richtigen Stimmung gar deutlich mehr als nur das, selbst wenn nicht nicht über den vollen Verlauf die Gravitation mit erfüllender Substanz aufgewogen wird – und alleine ein gefühltes Interlude wie Intention doch zu viel mäandernden Raum einnimmt, um entlang weniger leerer Meter eine rundum fesselnde Dynamik im flüchtigen Wesen der Platte zu entwickeln.
Mit einigen wirklich aufwühlenden, und nicht nur subversiv verführenden Szenen, die die emotionale Kraft dieser Sinnsuche auch einmal kompromissloser fokussiert hätten, wäre die Elegie noch packender gewesen. So bleibt vorerst offen , ob es in dieser Ausrichtung mehr als ein Album brauchen wird, um zum Kern der aktuellen Befindlichkeit vorzudringen, steht Okereke die Wiederentdeckung der Gitarre, der melancholischen Tiefe, eine beinahe esoterische Spielwiese und der Abschied vom pulsierenden Clubleben absolut versöhnlich. Oder: The Waves Pt. 1 ist eine der wohligeren Begleiterscheinungen der Pandemie, in die man nur zu gerne eintaucht.
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