Lisa O’Neill – All Of This Is Chance
Nach all den Auszeichnungen, die Heard a Long Gone Song eingefahren hat – und spätestens der Aufmerksamkeit, die ihre fabelhafte Interpretation von All the Tired Horses im Rahmen von Peaky Blinders aufwirbelte – bekommt All of This Is Chance schon vorab mehr Beachtung geschenkt, als die bisherigen Veröffentlichungen von Lisa O’Neill.
Dennoch wird der irische Kritiker-Liebling wohl vor allem eine Nische-Sensation bleiben, gehen die Songs von All of This Is Chance doch gefühlt den Weg in eine formoffenere, avantgardistischere und weniger greifbare Richtung weiter. Wo der Nährboden nunmehr auf einer etwas persönlicheren Sichtweise und weniger traditionsgespeistem Storytelling ausgerichtet zu sein scheint, wächst der anachronistische, kulturell geprägte Folk von O’Neill nun zu dystopischen Klanglandschaften: mysteriös und mystisch, zeitlos und poetisch, strukturfrei in einer keltischen Äquivalent-Ästhetik zwischen 16 Horsepower, A Silver Mount Zion oder Warren Ellis wandernd.
Hinter der eigenwilligen Stimme der 41 jährigen wuchern die Instrumente naturalistisch, fast brutalistsch, oft nur als ganz weit am Horizont flimmerndes Unbehagen in den Texturen, und eine ungezähmte Wildheit in warm einnehmende Melodien kleidend. Trauer und Melancholie sind dabei oft der Antrieb, niemals aber die Verzweiflung der Ausdruck in malerischen, eigenwilligen wie auch schrulligen Welten.
Der Titeltrack rankt sich dunkel wie ein düsteres Harmonika-Dickicht eines Drone-Arrangements von Fiedler Colm Mac Con Iomaire (The Frames) um die Poesie von The Great Hunger. Eine rostige Acoustic-Gitarre schrammelt über den fast postapokalyptisch heimeligen Untergrund. O’Neill erzählt und rezitiert erst mehr, als dass sie auf ihrer Pirsch singt, doch zur Mitte hin lüftet sich der ambitionierte Opener, nähert sich die Stimme der vertrauten kindlich-schrillen Neugierde und legt sich mit Fortdauer geschwungener in die Melodien, lässt den theatralische Vortrag zur melodramatischen Brandung kommen, wirkt freundlicher – als hätten Crippled Black Phoenix und Efrim Manuel Menuck einen Song für Natalie Pratt erdacht.
Grundlegend wird das Geschehen einladender. Silver Seed addiert danach nämlich ein Cello samt Banjo und wirkt unmittelbar zugänglicher in der Einsamkeit, die wie ein tiefe Höhle den Raum hinter dem Geschehen füllt, während der Gesang nur Augenschein eine unbeschwerte Feierlichkeit zeigt: „Colleen, be careful when wishing/ Because love is not a decision“.
Die ambiente Fläche von Old Note ist geradezu meditativ, pflegt ein verträumtes Klavier über dem so friedlich flimmernden Klang-Kosmos, der wundersam tröstend spätestens über das abschließende Sample von Sadie-Mae, O’Neill’s Nichte, versöhnlich im Herzen der Platte willkommen heißt: zu diesem Zeitpunkt wird das Geschehen längst nicht mehr nur immer dichter, sondern insgeheim auch immer besser.
Deswegen wirkt in Birdy From Another Realm die zurückhaltend beschworene Dramatik aus Drones, David Coulters singende Säge, Gitarren und Gesang, die durch ein Klavier und seine flehende Dramatik leidenschaftlicher, cinematographischer und intensiver wird, auch keineswegs verstörend, sondern einladend, das thematische Motiv der Vögel destillierend, bevor The Globe ruhig durchatmet, friedlich wogend, sogar einen subtilen Chor aufbietet, und auf seine Weise schlicht ätherisch und schön bezaubert. If I Was a Painter ist dort ein andächtiges Folk-Sehnen, dessen gespenstische Harmonien einen gar märchenhaften Aufbruch in die Feierlichkeit zelebrieren. Whisht, the Wild Workings of the Mind als längste Nummer sucht entschleunigt müde das Prinzip Hoffnung, schwillt an und bettet sich weich, lässt einen Chor durch das Kopfkino schweifen, als würde Nick Cave durch die imaginativen Highlands streifen, derweil Goodnight World mit dem Piano von Ruth O’Mahoney und körperlosen Brass-Nuancen als Ballade aus einer ewigen, universell vorhandenen Erinnerung pfeift. Zwar mag All Of This Is Chance damit in Summe gerade in Relation zu False Lankum im Nacken nur bedingt überwältigend aufgetreten, doch ist auch ohne überragend nach oben ausbrechende Genieblitze klar, welchen zeitlosen Grower O’Neill da erschaffen hat.
Kommentieren