Madonna – Madame X

von am 25. Juni 2019 in Album

Madonna – Madame X

Den Zeitpunkt zum Aufhören hat Madonna spätestens mit Confessions on a Dancefloor 2005 verpasst – daran ändert auch Madame X nichts. Allerdings muss man ihrem vierzehnten Studioalbum doch zugutehalten, dass sich die einstige Queen of Pop seit langer Zeit nicht mehr derart aus dem Fenster zu lehnen getraut hat.

Das Konzeptalbum über eine „Geheimagentin, die um die Welt reist, die Identitäten wechselt, für die Freiheit kämpft und Licht an dunkle Orte bringt“ ist absolut gaga und an sich doch besser, als es der katastrophale Song Contest-Auftritt erwarten ließ, auch überzeugender, als es die allgemeinen negativen Rezeptionen in Aussicht stellen.
Aber gut, diese Platte will bedingungslos polarisieren. Mit massiven Vocodereinsatz und Effekten auf nahezu jeder Gesangsspur, anbiederten Trend-Maßnahmen wie austauschbar-uninspirierten Trap-Beats und dazugehörigen Talent/Vakuum-Features (Maluma, Swae Lee, Quavo von den Migos und Anitta), multikulturellen Stil-Zitaten sowie einem kaum zu bändigenden Zeitgeist-Potpourri. Und provoziert damit eben auch eine durchaus überraschende Unkonventionalität und kreative Ambivalenz, die man in dieser Kompromisslosigkeit so nicht mehr von Madonna erwarten musste.

Madame X macht keinen Unterschied zwischen Latino Pop nach dem Vorschlaghammer-Reißbrett und Rap-Versatzstücken; zwischen karibischem Dancehall, so hüftsteif wie catchy (Future), oder Stammes-Rhythmen und schiebenden Subbässen samt Call and Response-Begeleitung (Batuka); zwischen versöhnlichen Gitarrenpop mit viel zu austauschbar zappelnder Hi-Hat (Crave) und Bläsern aus der Steckdose samt sakralen Chören (Come Alive) oder einem Mittelding aus Tabla-Tempelmusik und 80er Pianoballade (extreme Occident). Da probt der Afrobeat irgendwann den Clash mit Fado-Elementen, Hip Hop torkelt um klassische Ansätze in Englisch, Spanisch und Portugisisch, notfalls als unausgegorener Clusterfuck, der seine potentielle marktwirtschaftliche Erfolglosigkeit als künstlerisch zu gewagten Overkill deklarieren kann.
Gerade der Beginn von Madame X will als WTF-Suite aufrütteln. Medellín eröffnet als nett tänzender Mamacita-Tropical-Downbeat, der das entspannte Potential verschwendet und seine mangelnde Griffigkeit nicht als Pluspunkt ansetzt, sondern über Gebühr ausreizt. Dark Ballet beginnt dagegen als Pianoballade, wird zum Synthplätschern mit stacksendem Beat, bevor ein feines Klaviermotiv aus dem Orchestergraben in den Ballsaal voller Daft Punk-Vocoder fliegt, wie eine Vaudeville-Märchenerzählung gestikuliert. God Control übernimmt dort mit theatralisch-epischem Chor, kippt mit Schüssen und Streichern in eine retrofuturistische Cyberpunk-Disco inklusive pumpendem Beat, Gitarrenlicks und überkandidelte Arrangements auf Speed, später kommt der Chor zurück – eine fast schon proggige Megalomanie, rund um den Globus, jenseits aller Routine.

Dass die dahinter liegende Rechnung trotzdem nicht aufgeht, hat dann primär damit zu tun, dass Madame X mit 15 Songs über 64 Minuten viel so lange ausgefallen ist, sich neben einigen wirklich grässlichen Totalausfällen (wie dem ohne jede Identität auskommenden Faz Gostoso oder den einfallslos-penetranten Bitch I’m Loca) auch zahlreiche leere Meter bewandert werden, in denen deutlich wird, dass Madonna hier per se praktisch keine wirklich nachhaltig guten Kompositionen gelungen sind: Madame X überzeugt eher als Summe seiner Teile, durch seine Ästhetik, nicht aber durch seine Substanz, geschweige denn durch starkes, erinnerungswürdiges Songwriting.
Zwar gibt es Szenen wie den nett-subtilen Pop von Crazy mit seinen bunt-zurückhaltenden Arrangements oder die rundum gelungene, politisch-sozialkritisch diverse Elektronik des Highlights Killers Who Are Partying, die angenehm unaufgeregt sinnierend über das inhaltliche Epizentrum Madonna hinausdenkt, all das Brimborium wohlüberlegt inszeniert.
Symptomatischer ist aber Looking for Mercy: Ruhig pulsierend bekommt die Nummer ihre stillen PS leider einfach nicht auf den Boden und setzt lieber auf leere Gesten und einen komplett egalen Refrain – der supernervig über die Steppe galoppierend auch noch bis zum Erbrechen repetiert wird. Funktionieren Madonnas Ideen (was gerade in den ruhigeren Momenten im zweiten Drittel der Platte der Fall ist) wissen Sie durchaus zu gefallen. Greift sie allerdings in die Grütze, tut sie es so ungeniert und geschmacklos, dass es weh tut. Dass die Platte genau genommen auch nur im Kontext ihrer Urheberin herausfordernd ist, geht im eklektischen Gesamtwerk durchaus erfolgreich unter.
Die meisten Momente hier sind dann nämlich Teil von etwas, das man Madonna so nicht mehr zugetraut hätte: Ein durchaus individuelles künstlerisches Statement und Konzeptwerk, eine geradezu bizarre Oper der skurrilen Groteske, das frustrierende Orientierungslosigkeit und faszinierenden Über-Ambition nahtlos verbindet. Es ist wieder interessant, Madonna zuzuhören, lohnenswert ist es jedoch nur in den besten Szenen der Platte. Zu einem gelungenen Album wird Madame X deswegen leider noch lange nicht.

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