Matt Berninger – Serpentine Prison

von am 19. Oktober 2020 in Album

Matt Berninger – Serpentine Prison

Matt Berninger war 2019 auf I Am Easy to Find entlastet genug, um Zeit für sein erstes Soloalbum zu finden. Auf Serpentine Prison spielt er befindlichkeitsorientierte The National-Songs ohne die Dessner– und (eine Hälfte der) Devendorf-Brüder als kreative Reibungspunkte im Hintergrund.

Neben den doch von seiner Stammformation mitgebrachten Bassist Scott Devendorf sind dann aber auch einige prominente Kumpels wie El Vy-Komplize Brent Knopf (Menomena), Andrew Bird, Gail Ann Dorsey (die immer wieder als Backgroundstimme auftaucht, im behutsamen Oh Dearie zudem für ein prachtvolles Duett in den Vordergrund tritt) oder Booker T. Jones an Bord. Wie gut Berninger mit der Soul/R&B-Legende harmoniert, weiß man ja bereits seit Representing Memphis; zuletzt wurde dies ja auch mit In Between Days unterstrichen. Auf Serpentine Prison agiert Booker T. nun nicht nur als Produzent, der auf einen wunderbar warmen Sound setzt, sondern auch als Arrangeur und Multiinstrumentalist.

Was sich sich so im Auftreten von stets bescheiden und reduziert bleibenden zehn Songs zeigt. Diese kommen hinter dem tiefenentspannt intonierenden Berninger grundsätzlich mit einem sparsamen Equipment rund um verträumte Akustikgitarren, melancholische Klavier-Akkorde und besenweiche Schlagzeugstreichler aus, werden von Booker T. aber immer wieder ohne jeden Zwang in kammermusikalisches Ambiente gebettet, was die balladesken Indie-Singer-Songwriter-Stücke wohltemperiert in das gedimmte Licht zurückhaltender folkiger und countryesker Nuancen taucht.
Im verspielten Flanieren von One More Second übernimmt der so zwar allgegenwärtige, allerdings niemals wirklich greifbare Jones ausnahmsweise im Rampenlicht einen kurzen orgelnden Ausflug. Auch im wunderschönen Collar of Your Shirt ist es eine Wonne, wie die zerbrechlich kreisende Samthandschuh-Percussion kaum spürbar ganz hinten im Mix einsteigt, eine bittersüße Violine sinniert und Bookers perfekt nuanciertes Tasteninstrumenten einen beseelten Teppich ausbreitet.

Wenn überhaupt ist Serpentine Prison insofern also noch mehr Einkehr, als jedwedes Verlassen der The National-Komfortzone für Berninger. Der 49 Jährige und seine Helfer forcieren in diesem versöhnlichen Raum für Zärtlichkeiten schließlich keine Reibungspunkte, kein raueres Begehren, kein aufwühlendes Zupacken, kein ausbrechendes Drama. Was so auch (zu) spannungsarm ist, um jene genialen Momente seiner Hauptband zu provozieren, die eine unbedingte Gänsehaut zu erzeugen. Spätestens in der richtigen Stimmung treffen die aufgebotenen 42 Minuten in ihrer unspektakulären Überraschungsarmut damit aber keine falsche Entscheidung, sondern sind zutiefst angenehme Gemütlichkeiten – intim, wohlig und heimelig. Simpel gestrickt und unaufdringlich zurückhaltend, ehrlich einnehmend und ein bisschen wie das nach Hause kommen, um sich in eine flauschige Decke zu kuscheln.

Ohne Ausfälle gibt es deswegen auch so viele unscheinbare Lieblingsszenen hier, sobald das bedächtige My Eyes Are T-Shirts zurückgenommen die unaufgeregte Atmosphäre vorgestellt hat. Durch Loved So Little geistert mit Tabla- Rhytmen, Mundharmonika-Akzenten ein Americana-Flair, irgendwo nahe eines verschmusten Duke Garwood, was trotz Streichern und Bläsern niemals überladen wirkt. Das melancholische Take Me Out of Town ist eine tröstend schunkelnde Anmut am Piano, All for Nothing geht in wunderbar schwelgenden Arrangements auf, die vor der großen Geste abdrehen und das Titelstück ist ein repräsentativ fragiles Kleinod, das sich mit seiner subtil-catchy einwirkenden Melodien und Hook anfühlt, als würde man die zeitlose Nummer immer schon nahe am Herzen tragen. Distant Axis hat dann mit seiner nach vorne schrammenden Gitarre ausnahmsweise auch das selbe über den Horizont erhebende Wesen von The National, agiert aber ebenfalls immer noch stiller, als Berninger mit den zwei Brüderpaaren im Rücken die Schrauben ansetzen würde.
Das aufregendste an diesem nominellen Alleingang ist insofern dennoch nicht, dass diese Platte zur absolut richtigen Zeit des Jahres kommt. Sondern, dass sich Serpentine Prison über seine distanzlose Klasse mittelfristig wohl heimlich zum bisher nachhaltigst Einladungen aussprechenden Nebenprojekt von The National-Mitgliedern mausern wird (während etwa ein Folklore bereits wieder in der Egalität abgetaucht ist).

Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen