Muse, Dinosaur Pile-Up [29.05.2019: Stadthalle, Graz]

von am 31. Mai 2019 in Featured, Reviews

Muse, Dinosaur Pile-Up [29.05.2019: Stadthalle, Graz]

WAS! FÜR! EIN! SPEKTAKEL! Knapp 14.500 Besucher dürfen in der Stadthalle Graz nach absurden Superlativen ringen, wenn Muse auf ihre Simulation Theory World Tour die Standards für Arenashows mit viel Effektgewitter neu vermessen.

Vor beinahe zwei Jahrzehnten war das Szenario noch ein anderes, als Muse zuletzt in Graz waren – am 4. Februar 2000 als Support von Bush in der vergleichsweise enorm heimeligen Intimität des Orpheum. (Nette Anekdote nebenbei: Damals versuchte ein junges Mädchen vor dem Konzert das nötige Geld zusammenzuschnorren, um sich die Eintrittskarte doch noch leisten zu können – und bekam es von einem vor der Location herumlungernden Briten, der sich wenig später als Sänger der damals noch nicht so populären Vorband erweisen sollte).
Von derart intimen Nahbarkeiten ist das Brimborium in der restlos ausverkauften Stadthalle freilich weit entfernt – Dinosaur Pile-Up können als Support zudem auf keinen Intimitätsbonus hoffen (oder darauf, vom nachfolgenden Programm nicht komplet eindruckslos erdrückt zu werden). Aber Hand aufs Herz: Es hat schon seinen Grund, warum diese Jungs seit knapp zehn Jahren nicht über den Status einer Vorband hinauskommt. Ihr Alternative Rock klingt, als würde eine Sum 41-Coverband es mit halbgar-metallischen Foo Fighters-Schablonen nicht auf einen American Pie Soundtrack schaffen, zumindest das Weezer-Zitat sammelt Punkte. Jeder Refrain wird tausendmal wiederholt, was dafür sorgt, dass man den Job auch ohne erinnerungswürdige Melodien oder Hooks grundsolide (erst auch mit massiven Soundproblemen kämpfend) und souverän erledigt, im Grunde aber nur der jeweiligen Hauptband schmeichelt und an diesem Abend mehr als sonst (und gerade für eine Show dieser Größenordnung) wie eine billige 0815-Lösung wirkt. Die Fans der nachfolgenden Konzerte müssen in England selbst etwa in wenigen Tagen Tom Morello und seine Geschmacklosigkeiten ertragen, während weiter im Osten Kiefer Sutherland seinen netten Country-Rock anbieten wird.

Ob Muse einen Anheizer aber überhaupt nötig hätten, sei ohnedies dahingestellt. Im Grunde reicht schon die Einstimmung mit Songs von John Carpenter, Jan Hammer, Jordan F oder Kalax, um sich ästhetisch auf den neongrellen 80er-Anachronismus der längst in der Stadio-Elite angekommenen Briten einzulassen.
Es braucht jedenfalls keine Aufwärmphase zur Betriebstemperatur in der schlagartig vollständig gefüllten Halle, wenn Muse mit dem besonders episch veranlagten Algorithm (in der besseren Alternate Reality Version) gar nicht erst unter der epischen Hymnik starten, mit blinkenden Brillen und perfekt choreografierte Posaunen-Armee auf der Bühne erscheinen, wo der von 23 Trucks angekarrte Stroboskop-Irrsinn sofort alle Stücke spielt. Die High Tech-Videowall schickt kristallklare Bilder irgendwo zwischen Westworld-Intro und Terminator-Design, später werden Tänzer von der Decke gelassen und turnen mit imposannten Nebelwerfern über die bis in den Zuschauerbereich ragende Bühne. Was hier an unfassbar unterhaltsamer Show geboten wird, ist beispiellos – und doch auch ein wenig übersättigend.

Denn das hier das Entertainment über allem steht und der Abend eher als Event auf einem Transformer-in-geschmackvoller-Niveau funktioniert, als auf musikalisch-emotionaler Ebene Seele zu zeigen und emotional zu berühren, wird vor allem dann deutlich, wenn auffällt, dass das rundherum stattfeindende Spektakel bei den für sich selbst stehenden Klassikern zurückgefahren wird, während neuere Songs mit unterstützenden Showeinlagen zugekleistert werden.
Zwar macht sowohl das eine (mehr) als auch das andere (weniger) Spaß, doch sich ohne ablenkenden Zirkusleidenschaftlich in Time is Running Out hineinsteigern zu können, ist eben subjektiv doch substantieller und nachhaltig erfüllender, als beispielsweise das verspulte Feuerwerk rund um The 2nd Law: Unsustainable staunen macht.
Überhaupt lässt die Setlist nach persönlichen Maßstäben durchwegs Wünsche offen und präsentiert sich entlang eines zerissenen Spannungsbogens generell zu unausgegoren. Schade etwa, dass ausgerechnet Something Human als bester Song vom dominierenden Simulation Theory fehlt und Showbiz sowieso komplett ausgepart wird, während nicht nur die Game of Thrones-Solonummer Pray (High Valyrian) wie willkürlich eingetreut wirkt. New Born gibt es dagegen nur als beschnittene Version hinter dem Druck machenden Drones-Doppel Reapers und einem egalen The Handler, das Prelude-Intermezzo zwischen einem überhasteten Take a Bow und dem dezent deplazierten Starlight als Schlusspunkt hätte wie manches Zwischenspiel (und das oft zu schwerfällige Schlagzeugspiel) für mehr straffe Stringenz gekürzt werden können.
Und wenn man schon am Erbsenzählen ist: Die Getränkepreise in der Stadthalle sind obszön, die staubildende Lage von WC und Garederobe bei einem Konzert dieser Größenordnung erst Recht suboptimal und die Tatsache, dass man selbst bei annähernd 15.000 Menschen offenbar keine zusätzlichen Kapazitäten beim öffentlichen Verkehr ordert, doch ziemlich provinziell.

Egal. Was trotz all der vielen kleinen Haaren in der oppulenten Suppe aber bleiben wird, sind Eindrücke eines unvergesslichen Abends auf überwältigendem Blockbuster-Niveau, der immer wieder durch individuelle Highlights besticht. Wenn in Plug in Baby etwa die Gitarre ein bisschen ekstatischer heulen darf und das Publikum den Chorus textlicher trägt, oder die soulige Gospel-Version von Dig Down für einen erhebenden Moment sorgt. Wenn Madness aus seinem synthetischen Korsett zur kraftvollen Ballade ausbricht oder Hysteria das Spotlight auf Bassist Chris Wolstenholme lenkt, um dann virtuos nach vorne zu ziehen. Wenn das hingebungsvolle Mercy an der Spitze des Bühnenstegs umringt von Zuschauern eine Candlelight-Dramatik im intimen Rahmen zu erzeugen versucht oder die Band durch kurze Tribute an Steven Spielberg, AC/DC, Ennio Morricone und die Deftones ihr popkulturell breitgefächertes Referenz-Spektrum destilliert, dem man die in diesem perfekt durchgeplanten Umfeld (natürlich) fehlen müssende Spontanität ansatzlos verzeiht.

Zumal nach dem nicht mehr enden wollenden Konfettiregen des regulären Sets ohnedies eine Zugabe folgt, die Massstäbe in Sachen Inszenierungs-Overkill setzt und phasenweise wie die irrste Songcontest-Show aller Zeiten anmutet. Plötzlich bewegen sich da zwei stationäre Roboter in bester Aliens-Tradition auf der mit rettofuturistischen Spielautomaten ausgestatteten Bühne; seilen sich Akrobaten (optisch irgendwo zwischen Cyberspace-Ninja und Darth Vader von Vulkan-Outfit) von der Decke ab und tanzen mit Leuchtstäben um einen für Kameramänner in Pose geworfenen Matt Bellamy, damit auch niemand auf den Videowalls übersieht, dass die Brille des Frontmannes vorab programmierten Lyrics in Echtzeit widerspiegelt: Wieviel Kohle die Band in die Inszenierung der Simulation Theory World Tour gesteckt hat (und diesmal zumindest am allgemeinen Status Quo gemessen trotzdem halbwegs humane Eintrittspreise verlangt), ist zu jeder Sekunde offensichtlich.
Und während man sich trotzdem (oder gerade deswegen) in einem stetig wachsenden Verlangen nach Mehr noch fragt, wie Muse diesen überwältigenden Start in die Zugabe im weiteren Verlauf noch toppen wollen, baut sich über der Bühne ein gigantisches, später Lichtsalven spuckendes Metalskelett auf, das nach Iron Maidens Giant-Eddie eigentlich keinen Originalitätspreis verdient, aber eben in Dimensionen operiert, die mit beinahe absurder Megalomanie sprachlos machen.
Dass Knights of Cydonia als elaboriertes Finale dann den Fokus ohne Wahnsinn alleine auf die Performance lenkt, ist danach ebenso symptomatisch wie angenehm befreiend hinter all der Reizüberflutung, die einem letztendlich über allen Erwartungen genau das gibt, wofür man gekommen ist – allerdings trotzdem ein bisschen unerfüllt entlässt. Dass sich Dominic Howard am Ende augenzwinkernd bei einem großartigen australischen Publikum bedankt, lässt dann zwar nichtsdestotrotz erahnen, dass Muse sich hinter alle dem Spektakel doch zumindest ein gewisses Maß an Nahbarkeit und Humor bewahrt haben. Doch über eine knapp zweieinhalb Stunden dauernden Show der Superlative ist davon leider kaum noch etwas spürbar ist.

(Für bessere Konzertfotos sei übrigens ein Abstecher zu Volume.at empfohlen!)

Setlist:

Algorithm (Alternate Reality Version)
Pressure
[Drill Sergeant]
Psycho
Break It to Me
Uprising
Propaganda
Plug In Baby
Pray (High Valyrian)
The Dark Side
Supermassive Black Hole
Thought Contagion
[Interlude]
Hysteria
The 2nd Law: Unsustainable
Dig Down (Acoustic Gospel Version)
STT Interstitial 1
Madness
Mercy
Time Is Running Out
[Houston Jam]
Take a Bow
Prelude
Starlight

Encore:

Algorithm
Stockholm Syndrome / Assassin / Reapers / The Handler / New Born
Knights of Cydonia

 

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