Nathan Gray – NTHN GRY
Jetzt endlich auch in physischer Form erhältlich und mit allerhand Zusatzmaterial aufgestockt: die erste Solo-EP des gefühltermaßen mit jedem Jahr immer umtriebiger werdenden I Am Heresy– und Boysetsfire-Sängers.
Dass Nathan Gray emotionale Posthardcore-Hits nach wie vor am Fließband liefern kann, das hat er mit Platten wie ‚…While a Nation Sleeps‚ in den letzten Jahren ebenso vorgeführt, wie seinen metallisch-berserkernden Hass auf Religionen im Verbund mit Sohn Simon. Neu zum Vorschein kommt im umfangreichen Schaffen des Mannes aus Delaware nun eine Vorliebe für dunkle Folkstücke im beklemmendem Elektronikgewand, für das Erbe von Dead Can Dance und die Ästhetik von Joy Division, für elegischen Darkwave und entschleunigte Postpunkrückzugspunkte, schicken Zwirn und perfekt gestutzte Vollbärte im Schwarz/Weiß-Look.
‚Wolves‘ beginnt dem folgend etwa in der selben Perspektive auf gothschwangeren Horror wie es die letztens AFI Platten in der Schnittmenge mit dem Friedhofambiente des King Dude tun würden: Horrorfilmsamples und Scream Queen-Kreischen gehören zu den Arrangements, das düstere Ambiente hat etwas vom Werwolf von Tarker Mills, wie die naturalistischen Lyrics da unheilschwanger durch ein Moor aus knisternden Sequencern und langsam getragenen Drums schleppen. Die Synthies funkeln dabei dunkel in allen Schattierungen, Gray gibt den beschwörenden Hexenmeister, der jeden sich anbahnenden Ausbruch des Songs genüsslich abwürgt, was dem Ganzen eine irritierend zurückhaltende innere Spannung verleiht. Auch ‚Tomorrow‘ geht diesen Weg mit einer rostig bespannten Akustikgitarre, verspulten Drumbeats aus dem Trip Hop-Computer, dichten Keyboardfäden, melodramatischen Streichern und viel Hall weiter, ‚NTHN GRY‘ bleibt klaustrophobisch. Überhaupt ist es eine ganz andere Art von Energie, die Gray hier im Vergleich zu seinen anderen Projekten transportiert, weitaus stärker auf die Wirkung der unterschwelliger ausgebreiteten Atmosphäre konzentriert, ohne deswegen aber die Brücken zur Vergangenheit vollends kappen zu müssen.
‚Corson‘ quillt so trittsicher zwischen Piano und Streicherwellen badend förmlich über vor galligem Pathos, spannt den Bogen balladesk aber auch am kohärentesten zu Grays anderen Projekten. Obwohl das sicherlich noch da und dort an dezent unausgegoren auftretenden Kinderkrankheiten zu werkeln hat (etwa wenn im über schwere Orgelklänge ausgebreitete ‚Baptismal Rites‘ die eingestreuten Effekte deutlich zu konventionell für die elegische Melodie wirken, nur bedingt essentielles zur Komposition an sich beitragen und deswegen ein bisschen so auftreten, als würde hier jemand mit viel Songwritergespür seine erste Nummer am Keyboard geschrieben haben) ist es doch durchaus beeindruckend mit welcher Ambition Gray auch (und im Grunde: Mehr denn je!) im fortgeschrittenen Alter stilistisches Neuland ergründet, sich konsequent aus seiner Komfortzone pusht. Der Bonustrack ‚Wolves (Swallowing Filth)‘ kann deswegen ein stampfender Disco Remix sein, plump und plakativ agierend im Grunde gar, aber gerade deswegen auf beinahe absurde Art trotzdem gelungen.
Stichwort Bonusmaterial: Damit, dass ‚NTHN GRY‘ auf Platte alleine quantitativ reichhaltiger daherkommt als bei seiner digitalen Erstveröffentlichung, tut Gray sich allerdings paradoxerweise nur einen zerrissen hinterlassenden Gefallen: Weil ‚Tomorrow‘ aus der Ritual Chamber Session eine ganz grandios auf die essentiellen Bestandteile des fertigen Songs entschlackte Version darstellt, die glasklar offen legt, was für ein grandioses Songwriting da hinter der melancholischen Großtat steckt, ‚Wayward Ghosts‘ jene unter die Haut gehende emotionale Punkrock goes Acoustic-Nummer im Stil von Chuck Ragan und Co. ist, die ‚NTHN GRY‘ laut Pressetext eigentlich nicht beinhalten sollte oder ‚Baptismal Rites (Ritual Chamber Session)‘ gar an den mittelfrühen Nick Cave erinnert, unterstreicht das zwar im Grunde doch auch, dass Gray noch einen weiten Weg zurückzulegen hat, um in den hier primär angepeilten Gefilden die Klasse seiner bisherigen Projekte zu erreichen, zeichnet aber bereits jetzt ein enorm stimmungsvolles Bild davon, dass Gray mit der Installation dieser Solospielwiese seinem Gesamtwerk wohl sehr willkommene Facetten hinzufügen wird. Vor allem, da diese Gangart förmlich nach mehr Auslauf schreit, als ihm die kompakte EP-Form bieten kann.
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