Philip H. Anselmo and The Illegals – Walk Through Exits Only

von am 5. August 2013 in Album

Philip H. Anselmo and The Illegals – Walk Through Exits Only

Wenn Soloalben dazu dienen intime Innenansichten mit persönlichem Fokus zu ermöglichen, dann darf man sich spätestens jetzt ernsthafte Gedanken über die Gemütsverfassung von Philip Hansen Anselmo machen.

Als zart besaitete Seele ist der Ausnahmesänger ja grundsätzlich nicht bekannt, in keiner seiner unzähligen Wirkungsstätten – von Pantera über Superjount Ritual bis hin zu Down. Dennoch: was Anselmo mit Hilfe seiner unheimlich versierten Backingband The Illegals – Gitarrist Marzi Montazeri, Bassist Bennett Bartley und Schlagzeuger Joe Gonzalez – hier als erstes Soloalbum vorlegt, das tritt einen dann doch mal eben ohne Vorwarnung aus den Schuhen. ‚Walk Through Exits Only‚ ist ein chaotischer Ritt  durch den brutalen Fleischwolf des Metal, in der von Thrash-Ahnungen über Hardcorepunk-Ansätze bis zu Sludge-Anleihen alles vorbeirasen darf, was sich nicht mit Konventionen, gängigen Song-Strukturen oder zugänglichen Passagen aufhält: was für ein zerschossenes, hasserfülltes Monstrum von einer Platte!

Eines, das man sich nicht schönhören kann, vielleicht nicht einmal eines, mit dem man umzugehen lernen will. ‚Walk Through Exits Only‚ bolzt kompromisslos und ohne Gefangene zu nehmen von der ersten Sekunde an, pflügt in einem wahlweise vollkommen (w)irren oder sich  progressiv sperrenden, wütenden Fluss aus tollwütigen Riffs, hirnwütig vertrackten Breakdowns und infernalem Gitarrengeheule (Dimebag und Zakk Wylde lassen grüßen!) durch Songs, die wirken, als wäre Anselmo schlichtweg viel zu angepisst und geladen gewesen, um das alles in halbwegs eingängige, nachvollziehbare Formen zu bringen.
Bis der Mann aus New Orleans im repetierenden ‚Betrayed‚ mit „I’ve been betrayed/ Revolt, revolt, revolt!“ zumindest ansatzweise eine Catchphrase in das stakkatohaft sich selbst die Beine brechenden Metalgebräu hackt, darf hier mit Schaum vorm Mund verstörende Verweigerungshaltung betrachtet werden: das geisteskrank marschierende ‚Music Media Is My Whore‘ ist gleich wenig Song wie Intro, das folgende ‚Battalion Of Zero‚ kommt einem Freefight im Irrenhaus gleich. Noch schwerer verdaulich der infernale Bombenangriff ‚Usurper Bastard’s Rant‚, der in seinen knapp vier Minuten Spielzeit gefühltermaßen keine Sekunde an der selben Stelle verweilen will, sowie der 12 Minuten lange, abschließende Schlagabtausch aus Metal, Drone und Noise in ‚Irrelevant Walls And Computer Screens‚.

Everybody ruins music/ Not just me“ brüllt Anselmo augenzwinkernd im Titeltrack, der tatsächlich der am schnellsten greifbare Song ist, weil er sich mit bestialisch schnellem Gitarrenlauf und dem zwischen Grindore und Black Metal rasendem Schlagzeug tatsächlich so etwas wie Eingängigkeit forciert. Denn ‚Walk Through Exits Only‚ hat durchaus seine humoristische Seite. Etwa wenn ‚Bedroom Destroyer‚ und die durchaus nachvollziehbare Single ‚Bedridden‚ die notorische Faulheit des 45 jährigen Horrorfilmfans anprangern – freilich ist die Musik an sich auch hier vollkommen von jedwedem Lächeln befreit und verprügelt seine Hörer lieber mit Nägelbeschlagenem Zaunpfahl windelweich.
Strahlt ‚Walk Through Exits Only‚ dabei über lange Zeit erst einmal „nur“ die gewalttätige Faszination eines besonders abstoßenden Verkehrsunfalls aus, werfen die 40 Minuten an blankem Hass mit jedem Durchgang doch nach und nach ihre Widerhaken aus und irgendwann belohnen abzeichnende Strukturen die zwangsläufige Selbstkasteiung.

Alleine für die knallharte Konsequenz ein derartig unbarmherziges, unorthodoxes Biest von einer unzugänglichen Platte rauszuhauen, die es schafft, Anselmos bisherigen Schaffenskanon beinahe handzahm wirken zu lassen, gebührt dem Enfant Terrible des Metal natürlich schon mehr als nur unbedingter Respekt. Dass Anselmo auf ‚Walk Through Exits Only‚ jedoch eine seiner am wenigsten variablen Gesangsleistungen auffährt – neben dem keifenden Geschrei und unnachgiebigen Gebrüll scheint über allem ein dumpfer Schleier zu liegen – verstärkt jedoch die über die volle Distanz doch etwas monotone, beinahe abstumpfend wirkende Brachialität der Platte. Da ändert auch der verstörende Alptraum-Ambient-Anhang an ‚Betrayed‚ wenig.
Die ideale Musik für die Zeit, wenn das Weiße in den Augen längst blutunterlaufen ist, haben Anselmo und die Illegals mit ‚Walk Through Exits Only‚ natürlich trotzdem abgeliefert. Und das kränkste Metalalbum des Jahres wahrscheinlich gleich dazu.

07

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