Scott Walker – The Childhood of a Leader

von am 11. September 2016 in Soundtrack

Scott Walker – The Childhood of a Leader

Scott Walker liefert mit 46 Streichern und 16 Blasinstrumenten im Rücken den Soundtrack zu Brady Corbets Regiedebüt – einer Annäherung an das Satre-Stück The Childhood of a Leader. So psychotisch malträtierend das Ergebnis letztendlich auch sein mag: Zugänglicher waren die faszinierenden Soundgebilde des Wahl-Briten schon lange nicht mehr.

Nach dem genialen 2012er Avantgarde-Wahnsinn Bish Bosch mutet freilich alles aus der Teufelsküche von Scott Walker wie ein Erholungsprogramm an. Und dennoch lässt sich anhand von The Childhood of a Leader konstatieren: Abseits seiner regulären Studioalben steigt nicht nur die Output-Rate des 73 Jährigen Noel Scott Engel nicht nur eklatant – seine Veröffentlichungen geben sich auchwieder  zunehmend „versöhnlicher“ – relativ gesehen, freilich.
Vielleicht liegt es daran, dass Walker sein Hauptaugenmerk nach dem zerschossenen Polarisierer Bish Bosch vorerst nicht auf die eigene vogelfreie Stammdiscografie legt, sondern seine Fähigkeiten auf Nebenschauplätzen mehr oder minder in den Dienst der Sache stellt. Auf Soused könnte dies etwa der gelungene Versuch gewesen sein, die überwältigenden Drone-Welten von Sunn O))) mit einer operettenhaften Theatralik zu assimilieren und die Pfade von Bish Bosch mit beinahe konventionellerer Nachvollziehbarkeit zu erden; auf The Childhood of a Leader untermalt Walker nun äußerst zweckdienlich Brady Corbets erste Regiearbeit, die fiktive Biographie eines heranreifenden Diktators.

Ohne die dazugehörigen Bilder kann The Childhood of a Leader zwar den Eindruck einer nicht restlos fokussierten, umhertreifenden Fingerübung erwecken, die nicht die überwältigende Präsenz der sonstigen Arbeiten der Exzentrikers erreicht  – im selbstreferentiellen Mikrokosmos des Scott Walker lassen die 18 Teilstücke dieser Scorearbeit aber durchaus faszinierende Schlüsse zu: Als hätte Walker nur noch die ausschmückenden Streicherarrangementsseiner letzten Arbeiten übergelassen und sich den traumhaften Orchesterparts der Walker Brothers aus einer egozentrisch experimentierenden Perspektive beäugt, hat The Childhood of a Leader die rein instrumentale Annäherung zu Tilt und The Drift gefunden.
Das Ergebnis ist eine schizoid in die Klaustrophobie treibende Odyssee, hypnotisch und dunkel schimmern. Walker dirigiert sein Instrumentarium behände durch variierende Spannungsbögen, Dynamiken und Nuancen der Eindringlichkeit, die jedwede Schönheit mit psychotischer Schlagseite umzingeln. Gleich im ausführlich anklingenden Opening dekliniert Walker so die gesamte Bandbreite durch: Das ist dramatisch, launig, bedrohlich, majestätisch; auf altmodische Art und Weise epochal, ein Mittelding aus spannendem Suspence und atemlosen Thriller. Alleine wie das penetrante Schnurren der Streicher die Nerven attackieren kann, ist zudem ein beeindruckendes Zeichen für das originäre, unorthodoxe Trademark-Handwerk, das Walker beherrscht.
Wenn in weitere Folge ungemütliche Ambientlandschaften (Dream Sequence), maschinelle Rhythmik (Printing Press) und fast schon triumphale Percussion in das Geschehen streifen, erteilt The Childhood of a Leader letztendlich nicht nur unkonventionellen Quereinsteigern wie Jonny Greenwood durchaus lehrreiche Lektionen, es macht die zweite Soundtrackarbeit von Walker nach Pola X auch zur vielleicht am unkompliziertest nebenbei zu hörenden Veröffentlichung des Meisters seit 1995 – in diesem Fall nicht als Abwertung zu verstehen, sondern als nicht unwillkommene Annäherung an eine vollkommen beispiellos unbekömmliche Bekömmlichkeit.

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