Slut – Alienation

Allerspätestens mit dem gefinkelt betitelten ‚StillNo1‚ begann sich abzuzeichnen, dass das verinnerlichte Indierock-Korsett dem Ingolstädter Quintett zu eng werden würde. Mit welcher Konsequenz sich Slut fünf Jahre später ein ganzes Stück weit neu erfunden haben überrascht dann allerdings auf den Erstkontakt doch.
Vielleicht doch nicht auf den Erstkontakt, denn der fällt mit der Vorabsingle ‚The Next Big Thing‚ noch weitestgehend in der der einstigen Komfortzone der Band statt: mit fett groovendem Bass und shuffelndem Rhythmus ist das jene Art von todsicherem Ohrwurm, von der noch jede Slut-Platte zumindest in den letzten eineinhalb Jahrzehnten so einige im Angebot hatte. Die leichte Psychedelik-Note sitzt dabei perfekt im Indie-Untergrund und dennoch fallen die dreieinhalb Minuten ein klein wenig aus dem Albumkontext, der sich so trotz fünf verschiedener Produzenten auf ganz Deutschland verteilt erstaunlich homogen und schlüssig präsentiert. Denn in Summe wäre ‚Alienation‚ wohl das, was man ein Umbruchalbum nennt – würde es nicht bereits so klare und detailiert akzentuierte Vorstellungen davon formulieren, wo Slut fast 20 Jahre nach ihrer Gründung hinwollen: ‚Alienation‚ ist die bisher deutlichste Hinwendung der Band zum rhythmuslastigen, organischen Digitalen, ein zündendes Amalgam aus ihrem klassisch melancholischen Indierock mit elektronischen Elementen als Grundgerüst.
Wenn also ‚Broke My Backbone‚ mit wummernden Bässen und hektisch fiependem Laptop immer rasanter wird und letztendlich im reinsten Jungle-Acid-Jam explodiert kann ein unterkühlter, aber in Summe variantenreicher denn je agierender Christian Neuburger noch so oft reklamieren „I never had a strong backbone“ – Slut haben sich für die elementare Neujustierung in der Herangehensweise nicht verbiegen müssen, die Frischzellenkur, sie wirkt nie verbissen, sondern wie eine natürliche Entwicklung. Eine, die natürlich polarisieren kann. Aber wenn sich Slut auf ‚Alienation‚ einen Vorwurf gefallen lassen müssen, dann eher jenen, dass man sich (vordergründig von Produzent Olaf O.P.A.L.) etwas zu deutlich an erkennbaren Klangvorbildern hat anlehnen lassen: an The Notwist, vor allem aber an Radiohead und der Thom York’schen Auffassung von Elektronik im Rockkontext. ‚Anybody Have a Roadmap‚ darf mit Steel Drum-Sound im Loop-Modus, klickernden-klackernden Beats samt aufkeimender Woodkid-Martialität und sich nach den Tiefen des Ozeans sehnenden Gitarren jedoch durchaus augenzwinkernd verstanden werden, denn: am Duell mit den bisherigen Jahresbesten von Atoms for Peace muß man erst einmal derart grandios scheitern, wie ‚Alienation‚ es tut.
Zumal sich das siebente Studioalbum der Deutschen nicht auf diese eine Ebene festnageln lässt, zwischen Einflüssen und Charakteristiken mühelos umherwandelt: der ‚Silk Road Blues‚ führt feierlich in den Orient und ist Sitar-getrieben eventuell genau das Stück prunkvolle Progressivität, dass sich manch einer auf dem aktuellen The National-Streich wünschte, während ‚Idiot Dancers‚ zwar leider den Entwicklungsgang vieler Songkollegen vermissen lässt, dafür aber auch ungemein catchy Richtung wohliger Tanzfläche blickt. Ein derart in Lauerstellung pulsierender Synthierocker wie ‚Never Say Nothing‚ ist den Editors aktuell zu wenig subversiv, eine solch betörende Nummer wie die zurückgenommene Pianoelegie ‚Holy End‚ haben Slut seit dem unsterblichen ‚Something to Die For‚ nicht mehr vorgelegt.
Überhaupt liegen die überragenden Momente von Slut nach wie vor im Stillen. Wenn etwa ‚All Show‚ sich zu einem anmutigen Klangmeer ausbreitet, mit seinen perlenden Jonny Greenwood-Gitarren, verträumten Pianotupfern und dem verspult marschierenden Schlagzeugspiel von Drummer Matthias Neuburger, dem eigentlich heimlichen Helden der Platte: ‚Alienation‚ lebt über weite Strecken von seiner energetischen, verschaltelt-unmittelbaren, vielseitigen Rhythmusarbeiter. Auch nachzuhören im wunderbaren Titeltrack, der auf Synthie- und Bläserflächen treibt und eine neue Form der bedrückenden Schönheit im hiermit weitreichend ausgedehnten, Slut’schen Soundkosmos offenbart.
Während ‚Remote Controlled‚ mit Joy Division-Basslauf und 80er-Postpunk-Ansätzen liebäugelt, hadert Christian Neuburger mit dem Schicksal: „Get up early, but always to late„. Was allerdings nur zum Teil richtig ist. Denn andere Bands mögen durchaus bereits vor Slut an dem Verknüpfungspunkt gestanden sein, an dem ‚Alienation‚ die Band ablichtet. Nicht viele hatten dafür aber (trotzt Luft nach oben: ungefähr das dritte Viertel der Platte kann nicht ganz mit dem Rest mit!) ein ähnlich starkes Geflecht an heterogen gebastelten, stringent verflochtenen Songs auf Lager. Richtiger ist deswegen die Rede von der „search for the time of our lives„, wenn das beste Album der Ingolstädter seit ‚Nothing Will Go Wrong‚ Slut alle Türen öffnet, um einer Zukunft entgegenzublicken, die vielleicht noch zu keinem anderen Karrierezeitpunkt spannendere Möglichkeiten in Aussicht stellte.
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