The War on Drugs – Live Drugs

von am 21. November 2020 in Livealbum

The War on Drugs – Live Drugs

Adam Granduciel visiert bereits vage das fünfte Studioalbum von The War on Drugs an, schiebt vorerst allerdings noch ein aus verschiedenen Quellen zusammengetragenes, im besten Sinne überraschungsresistentes Tourdokument ein: Live Drugs.

Als Bandleader möchte ich immer wissen, wohin ein Lied gehen kann“ sagt Granduciel, meint damit aber auch, dass er, wie schon im Studio, gar nicht wirklich wissen will, wo seine Songs ankommen. Was so ja einen Gutteil der Faszination des krautig davonlaufenden Heartland Rock von The War on Drugs ausmacht und auf Live Drugs insofern als unterstrichenes Charakteristikum aufzeigt, indem der 41 Jährige die Zügel im niemals unkontrolliert-impulsiven Rahmen loslässt, sie aber lockert.
Die Stücke seiner Band dürfen die Augen auf der Bühne stets ein bisschen länger geschlossen halten und auf die letzten Meter gar von einer weitschweifenden Improvisation träumen. Nicht nur dem Opener An Ocean Between the Waves werden die gelösten Jam-Ansätze dann aber doch justament abgedreht, wenn es exzessiv zu werden droht. Das ist eben auch symptomatisch für den von Granduciel artikulierten Forscherdrang.

Eine Gangart, mit der The War on Drugs ihre Jünger ansatzlos abholen und knapp vor die erhebende Gänsehaut leiten. Pain verlässt seine E-Piano-Grundierungen selbst in den nostalgisch in den Nachthimmel abgebenden Soli nicht, das Saxofon bleibt in den Texturen hallend und das absolut wundervolle Strangest Thing lässt sich in aller Ruhe durch die unendliche Zeitlosigkeit seiner schwelgenden 80er-Sehnsucht treiben. Red Eyes bekommt über den Synthieschwaden noch mehr packende Griffigkeit und Drive, einen mitreißenden Verve ohne Schweiß, aber viel Hingabe, und Eyes to the Wind klimpert tröstend, nimmt nur bedächtig Fahrt auf, spielt sich dann aber in einen kleinen (Saxofon-)Rausch.
Thinking of a Place ist in einer frühen Entwicklungsphase vertreten – also ausnahmsweise keine Momentaufnahme, sondern ein Blick in die Vergangenheit – und natürlich trotzdem bereits sehr nahe an der Studioversion gehalten. Granduciel macht im Mittelteil verspielter von seien Classic Rock-Möglichkeiten gebrauch und nutzt den Stop und Neustart der Nummer pointierter, um dann weicher badend zu schwelgen. Für Under the Pressure wählt er hingegen einen fast psychedelischen, formoffenen Zugang und lässt die Soli jubilierend in die Stimmen von 20.000 Fans fallen (wo das Publikum sonst nur zwischen den Stücken zu hören ist, Zwischenansagen auf die Vorstellung der Band und knappen Dank reduziert bleiben), bevor das Geschehen über ein ambient flimmerndes Meer in eine kontemplative Darbietung von In Reverse mutiert, letztendlich im Mundharmonika-Wohlklang so süffig und ergiebig transzendiert.

Am spannendsten ist allerdings wohl Buenos Aires Beach, weil das ehemals dünne Wagonwheel Blues-Stück an den Sound von A Deeper Understanding angepasst wurde, sich aber seine flapsige Dylan-im-Soul-Folk-Rumpeligkeit behält – und leider auch der einzige ältere Song aus der Phase von vor Lost in the Dream (2014) bleibt.
Was das gravierendste Manko von Live Drugs daratellt, wenn sogar all die Juwelen und Hits von Slave Ambient ausgelassen werden. Gerade nach einem Blick auf die Setlisten der jüngeren Vergangenheit muten die hier aufgefahrenen 10 Songs trotz einer Spielzeit von 75 Minuten insofern gar „nur“ wie eine destillierte Zusammenfassung einer tatsächlichen, regulären War on Drugs-Show an: Ohne all die zu Eigen gemachten Fremdkompositionen und Vertreter der ersten beiden Studioalbum ist das jedenfalls nur bedingt repräsentativ für den Status Quo der Band.
Zumindest gibt es mit Accidentally Like a Martyr noch ein Cover eines (als Spotify-B-Seite veröffentlichten) Warren Zevon-Originals, das harmonisch in den Granduciel-Kosmos schunkelt, und ohne essentiellen Beigeschmack gar nicht davon ablenken will, dass Livealben grundsätzlich nicht restlos befriedigen können. Insofern macht Live Drugs atmosphärisch eingefangen, stimmungsvoll dargeboten, toll produziert und homogen (ohne jedwede Nahtstellen) zusammengefüg also verdammt viel richtig – und vor allem Lust auf das nächste Studioalbum.

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