Tool, Fiend [05.06.2019: Stadthalle, Wien]

von am 6. Juni 2019 in Featured, Reviews

Tool, Fiend [05.06.2019: Stadthalle, Wien]

Annähernd zwölfeinhalb Jahre nach ihrem letzten Österreich-Gastspiel und 86 Tage vor der eventuell kolportierten Platten-Rückkehr am ominös angeteaserten 30. August geben Tool in der Wiener Stadthalle eine rundum zufriedenstellende Standortbestimmung an, worum sich da für Metalfans trotz aller hochgekochter Hysterie durchaus das Ereignis des Jahres anbahnen könnte.

Bevor Danny Carey, Adam Jones, Maynard James Keenan und Justin Chancellor dann aber auch wirklich auf der Bühne stehen, erledigen die Franzosen Fiend allerdings noch einen verdammt undankbaren Job, indem sie den Vorband-Posten mit einem grundsolide rockenden Set beliefern, das wohl niemand wirklich schlecht findet, aber im Grunde eigentlich auch niemand wirklich hören will.
Zumindest nicht die bereits Anwesenden im Publikumsraum. Abseits derer tummeln sich nämlich so einige lieber an den Merchständen herum (die auch Tool-Devotionalien um 1500 Euro anbieten – die Unterschrift macht den angeblichen Wert) oder bleiben noch vor der Stadthalle, wohl auch aus finanziellen Gründen: Wo die Deutschland-Termine der Tour innerhalb von Minuten ausverkauft waren und viele Fans nur noch über etwaige Scalper-Plattformen Karten bekommen konnten, waren für den Wien-Stopp ein paar Stunden länger Karten verfügbar. Ob hier manch einer ein Geschäft gewittert haben mag, bleibt reine Mutmaßung. Fest steht aber, dass am Konzerttag exorbitant viele Karten zum Wiederverkauf angeboten wurden und teilweise zu Schleuderpreisen die Besitzer wechselten.
Nicht alle sind also in der Halle, als Tool bereits um 20.45 Uhr auf der Bühne stehen – und damit eine Vierstelstunde vor dem von offizieller Seite kommunizierten Timetable. Zeitmäßig also so, wie das auch an den vorherigen Terminen der Tour der Fall war, wo der Wien-Auftritt überhaupt kaum aus dem standadisierten Programm (hinsichtlich genormten Punkten wie Setlist, Performance oder Auftreten) der bisherigen Konzertreise zu fallen scheint, wenn man etwaigen Berichten glauben darf: Ein „Vienna“ als Mittelding zwischen obligatorischer Feststellung und Begrüßung von Maynard bleibt neben dem Aufheben des Foto-Embargos zum finalen Stinkfist (samt der überraschend redseligen Erwähnung, dass Wien schon beinahe ein zweites Zuhause für ihn sei) einer der gravierendsten Alleinstellungsmerkmale des einzigen Österreich-Termins.

Stichwort Fotoverbot: Dieses wird praktisch ausnahmslos beherzigt (nur zu Beginn gibt es wohl als Erziehungsmaßnahme eine mehrminütige Pause zwischen The Pot und Parabol) und steigert das Konzerterlebnis doch rigoros. Was für eine unheimliche Wohltat es ist, nicht permanent Dutzende Handys vor dem Gesicht zu haben, wird vor allem in Stinkfist eindrucksvoll klar, als da eben zahlreiche Displays auftauchen dürfen und dies auch tun. Wäre fein, wenn Tool mit dieser restriktiven Praxis zumindest bei den Anwesenden ein anhaltendes Bewusstsein für diese Problematik geschaffen hätten.
Irgendwo paradox, dass sich diese an sich so befreiende Maßnahme gefühltermaßen aber so gar nicht auf die Bewegungsfreude der anwesenden Besucher überträgt. Denn das Publikum in der Stadthalle ist weitestgehend statischer Beobachter des Geschehens auf der Bühne. Nicht distanziert, aber ohne hemmungslose Leidenschaft ist das Konzert für das Gros offenbar eher eine geistige, denn eine körperliche Erfahrung. Man taucht in die atmosphärischen Visuals ein, versinkt in der Tiefenwirkung der Musik. In der ohnedies unangenehm heißen Halle kommt es allerdings jedenfalls nie zu um sich greifenden Bewegungen. Das beste Beispiel dafür ist vielleicht der eigentlich für ausbrechende Intensität prädestiniere Übergang von Parabol zu Parabola, dessen aufplatzender Druckabbau hier jedoch eher andächtig mit mäßiger Nackengymnastik bestaunt wird. Ob ein Pit in diesem haltungsbewussten Schauspiel angebracht wäre ist freilich eine andere Frage.

Eventuell sind es aber auch nur eine sich summierende Abfolge von Kleinigkeit, die dafür sorgen, dass sich einfach keine bedingungslos hingebungsvolle Euphorie einstellen will. Wie eben die längere Pause, nachdem der Herzschlag von unsterblichen Ænema mit The Pot immer packender an Fahrt aufgenommen hat und Ausgelassenheit ins Spiel gekommen ist. Noch eklatanter wiegt jene mit projizierten Countdown hinablaufende Total-Unterbrechung nach dem schlicht furios ausholenden Forty Six & 2, der die Dynamik komplett aus der Show nimmt und im Zugabenblock länger braucht, um die abgeebbte Stimmung wieder mitzureißen.
Schamanen-Irokese Maynard ist zudem stimmlich sehr gut, aber doch nicht überragend drauf – dass er Vicarious wieder/immer noch mit Megaphon interpretiert, nimmt der Nummer zudem verdammt viel Direktheit und Energie. (Gar nicht so heimlicher Held des Abends ist aber übrigens ohnedies Bass-Magier Chancellor, der aus dem technisch virtuosen Schauspiel nicht nur durch seine immense Spiellfreude signalisiert, wieviel Bock er derzeit auf Tool hat, sondern auch bis zu einem gewissen Grad die charismatische Interaktion mit dem Publikum sucht und mehr noch mit Schlagzeuger Carey einen so unfassbar mächtigen (nein, MÄCHTIGEN!) Sound kreiert, der seinesgleichen sucht: Was für eine markerschütternd laute Physis!).

Schwierig ist zudem auch die Lage rund um das nahtlos eingeflochtene neue Material.
Descending setzt auf einen langen, zutiefst atmosphärisch-spiritueller Aufbau. Erst spät steigt Carey ein, baut die Nummer langsam um Maynard hinter Stimmeffekten und dem typischen Signature-Zusammenspiel von Bass und Gitarre auf. Doch die Nummer wird ohnedies auf über zehn Spielzeit wachsen und mit formvollendeten Zusammenspiel der Musiker beeindrucken, obwohl alles erst getragen lauert, ohne auszubrechen. Für den ausufernden instrumentalen Korpus verlässt Maynard sogar die Bühne, während Trademark-Riffs die Spannung anziehen und irgendwann plötzlich Cult of Luna‘eske Synthieschwaden im Nebel brüten. Das einsetzende Laser-Spektakel in der bis dahin schon effektiven Licht-und Video-Show treibt die angestrebte Katharsis von Descending dann auch auch optisch auf seinen Climax. Letztendlich ist das ein progressiver Leviathan, der sich als How-to-Tool-Feuerwerk ohne Bruch in die restliche Setlist einfügt, aber doch den Funken Magie vermissen lässt.
Überwältigender macht seine Sache insofern Invincible, das schon durch seine interessantere Klangpalette ambitionierter wirkt, mit griffigeren Hooks und einnehmenden Gesangsmelodien  ohnedies näher dran ist am Klassiker-Material. Zudem gibt es ein tolles Solo über dem martialisch kletternden Rhythmus und auch wieder rettofuturistische Keyboardflächen – und spätestens bei der gigantisch rollenden Groove-Abfahrt lassen Tool hier all ihren Jüngern aus der Hand fressen. Wahrhaftig großes Tennis!

Dass als CCTrip geführte nominell dritte neue Stück ist hingegen eher eine Mischkulanz aus mystisch-perkussiver Tempelmusik und jammenden Schlagzeug-Solo, aus dem Alleinunterhalter Carey ein rhythmisch gelooptes Gerüst bastelt, das stellenweise wie ein elektronisch pulsierender Minimal-EDM klingt – bevor die tonnenschweren Kraken-Drums alles über den Haufen walzen. Mit Guardian Alien im Hinterkopf bleibt vorerst unklar, wohin dieses unausgegorene Stück will, ob es überhaupt irgendwohin führen soll – an diesem Abend ist das Ziel zumindest in ein ambientes Meer, das als Intro für Vicarious dient. Auch wenn diese avantgardistische Skizze an der Grenze zum atemberaubenden Solo an diesem Abend nicht restlos überzeugt, steigt durch dieses neue Material die Spannung auf den 30. August doch überraschend stark an, ist doch höchstens vage abzusehen, wohin sich die Band in den vergangenen 13 Jahren entwickelt haben könnte – doch dass sich Dinge geändert haben dürften, erscheint klar.
Wobei das mit Erwartungshaltung so eine Sache ist. Ohne diese wäre die Rückkehr von Tool wohl ein Start-Ziel Sieg sondergleichen, der sich praktisch von Highlight zu Highlight hangelt: Denn wie präzise ist bitte alleine Jambi, bei dem Jones auch einmal den Posten der explizit niemanden in der Frontmanrolle im Bühnenarrangement verorten Aufstellung verlässt und ein bisschen Impulsivität zulässt? Wie brillant gerät der irre Ausbruch im anbetungswürdigen Schism? Wie problemlos hält das frühe Intolerance zwischen den Klassikern und Ausnahmesongs mit? All das sind kaum Wünsche offen lassende Bestandteile eines Schaulaufens an der puren Perfektion. Und subjektiv bleibt da trotzdem ein bisschen die irrationale Enttäuschung darüber, dass die jahrelange Abstinenz die Ansprüche an das Phänomen Tool womöglich überhöht haben.
Aber daran, dass diese Ausnahmeband in ganz eigenen Maßstäben gemessen werden muss und diesen gleichzeitig kaum und geradezu spielend gerecht werden kann, ist sie ja in erster Linie auch selbst schuld. Und beweist mit ihrem Wien-Gastspiel, wie man mit dieser Bürde verdammt leben kann. Einigen wir uns also auf einen Triumphzug mit kleinen Schönheitsfehlern.

Setlist:

Ænema
The Pot
Parabol
Parabola
Descending
Schism
Invincible
Intolerance
Jambi
Forty Six & 2
[Pause]
CCTrip
Vicarious
Stinkfist

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