Ulver – Sic Transit Gloria Mundi

von am 14. November 2017 in EP

Ulver – Sic Transit Gloria Mundi

Mit The Assassination of Julius Caesar haben ausgerechnet (oder wahrscheinlich eher: natürlich, wer sonst?) die norwegischen Gestaltenwandler von Ulver das bisherige Synthpop-Album des Jahres vorgelegt. Der Nachschlag in Form von Sic Transit Gloria Mundi ist vielleicht weniger essentiell, aber insofern eine absolut willkommene Überraschung.


The sad remains from our Caesarean banquet. Two songs we kind of left on the drawing board but resumed work on this summer.“ Auch, wenn das Material von Sic Transit Gloria Mundi tatsächlich nicht restlos das Niveau von The Assassination of Julius Caesar erreicht (was aber auch daran liegt, dass das elfte Studioalbum gerade im Ganzen exzellent funktioniert und nicht den Stückwerk-Charakter der EP in sich trägt), grenzt soviel Pragmatismus natürlich an pures Understatement: Andere etablierte Genrebands würden für derartige Ausschussware töten.
Was dann auch Ulver selbst spät aber doch durchaus bewusst geworden sein durfte. Bevor etwaige physische und sonstige digitale Veröffentlichungswege abgeklärt werden konnten, werfen die Norweger die drei nun endlich doch fertig gestellten Songs schließlich gleich in der Woche ihrer Fertigstellung auf Bandcamp – und bescheren damit einen wunderbar ergänzenden Appendix zum Hauptwerk.

Echo Chamber (Room of Tears) legt sich nachdenklich und melancholisch treibend über die analogen Keyboardschichten und den sehnsüchtig-galligen Grandezza-Gesang von Kristoffer Rygg. Die Produktion ist unwirklich, aber klar; verschwimmt psychedelisch pulsierend. Irgendwann flimmert eine Spoken Word-Passage vorbei, die aber von leise schiebenden Gitarren aus dem sorgsam texturierten Klangräumen verdrängt wird, die ätherische wallende Anmut fiept und leuchtet schimmernd, macht unmittelbar dort weiter, wo The Assassination of Julius Caesar kaum Wünsche offen ließ.
Das Highlight Bring Out the Dead beginnt dagegen wie das Stranger Things-Intro von Kyle Dixon & Michael Stein und strömt dann mit Streichern aus der Dose im vollen Pop-Modus hinein in die stille Schönheit, in die Dramatik und verhaltende Opulenz. Das hat etwas von der Weite, die beispielsweise auch Sias Breathe Me seinerzeit den letzten Atemzügen von Six Feet Under verabreicht hat – eine seltsame Gradwanderung aus melancholischem Optimismus und erhebend bedrückender Aufbruchstimmung. Wie grandios Ulver jedenfalls die Balance halten können, mit Stil arbeiteten und die richtig große Gesten eher vage andeuten und nur vor dem inneren Auge des Hörers evozieren, anstatt sie wirklich ausformulieren zu müssen, das ist wunderbar anachronistische Kunst inmitten einer zeitlosen Atmosphäre und starkem Songwriting.

Kurz bevor das majestätische Bring Out the Dead in die astrale Disco abbiegt, lassen Ulver den Song in den Weltraum driften und legen sich stattdessen mitten rein in den Tribut. Das Cover des Schmalzklassikers The Power of Love hält sich aus den Sound von The Assassination of Julius Caesar kommend relativ dicht an das Original von Frankie Goes to Hollywood und funktioniert ähnlich wie das Material von Childhood’s End: Ulver folgen dem ursprünglichen Songmaterial, beschwören herum allerdings eine eigenwillige Aura, die der Nummer letztendlich einen eigenen Charakter verpasst.
The Power of Love wächst also aus der streicherschwangeren Pianoballade über Keyboardnebel, verknotete Gitarrenansätze und Orchesterbombast (wie immer von Ulver meisterhaft arrangiert) zu einer wunderbar verletzlich und nichtsdestotrotz filigran inszenierten Wucht – als hätten Kayo Dot rund um Coffins on Io (2014) gemeinsam mit dem Spandau Ballet einen Schmachtfetzen für Bond geschrieben, der sich zu einem wehmütigen Vampirdrama wandelt – das Ende kommt jedoch wie schon bei einigen The Assassination of Julius Caesar-Songs schlichtweg zu abrupt.

Additionally, a cover of a childhood favourite – one we actually started some twelve–thirteen years ago – from the time we first started thinking about making “pop” music“ beantworten Ulver dann auch gleich noch bis zu einem gewissen Grad, wie die unberechenbaren Wölfe quasi aus dem Stand heraus derart formvollendet, selbstbewusst und konsequent in die 80er affinen Landschaften des Wave-geprägten The Assassination of Julius Caesar und dem (auch aufgrund seiner Masse) weniger essentiellen, aber ähnlich starken Sic Transit Gloria Mundi unterwegs sein können: Hier wurde nichts dem Zufall überlassen, einer der vielleicht faszinierendsten Entwicklungsschritte von Ulver ist zu gleichen Teilen der Leidenschaft verpflichtet, wie er von langer Hand geplant und akribisch erarbeitet ist – alles kein Mysterium also, auch wenn es so klingt.
Mirror, mirror on the wall….“ fragt Rygg im eröffnenden Echo Chamber (Room of Tears) hinten raus in den Äther. Eine Antwort darauf muss er aktuell aber eigentlich ebenso wenig abwarten – Ulver lassen den Song ohne Spektakel in weicher Industrial-Watte schlichtweg wohlwissend verschwimmen und agieren weiterhin eine Nasenlänge vor Depeche Mode und Co.

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