Viagra Boys – Cave World

von am 31. Juli 2022 in Album

Viagra Boys – Cave World

Pulp Non Fiction: Die Viagra Boys liefern mit ihrem Drittwerk Cave World neue Geschichten aus dem zeitgenössischen Zwielicht einer gespaltenen Welt der egozentrischen Kleingangstern und großen Verschwörungstheorien.

Dafür bündeln die Schweden gleich zum Einstieg all ihre Stärken: Baby Criminal ist fett treibender Dance Punk mit einem hedonistischem Saxofon und unwiderstehlichem Groove, der unmissverständlich klar macht, dass die Viagra Boys mittlerweile auf alles ein State-of-the-Art-Referenzwert-Patent haben, was mit Street Worms noch anachronistisch-unmodern ein Jahrzehnt zu spät gekommen zu sein schien.
Der Einstieg in die dritte Platte der Gang klingt dazu nicht nur so frisch und hungrig wie eh und je, sondern will auch das Momentum so zielsicher fokussieren: Sänger Sebastian Murphy pirscht durch eine von Impfdebatten zerriebene Welt der Trickbetrüger und Aushilfsgangster, suhlt sich im übergeordneten Konzept aus demonstrativ primitiv-simplen Texten im fast infantilen Party-Modus, satirisch ätzend, voller schmissiger (pop)kultureller Hooks a la „They said that he was tryna build a nuclear device A nuclear device, man/ I Used to be a baby, now I’m just a criminal“ – auch wenn der wirklich giftige Biss hinter dem humoristischen Unterhaltungswert steht.

Das schließt allerdings nicht aus, dass der YouTube-Algorithmus die augenzwinkernde Aluhut-Ebene von Creepy Crawlers, in dem Murphy seine extrem pointierte Präsenz einmal mehr unter Beweis stellend fiebrig croonende durch die Psychedelik-Maschine einer abgedämpften Psychose taumelt, nicht als solche erkannt hat und die Allgemeinheit vor den Viagra Boys beschützen musste: „They got kids growing up with animal tails man/ They’re putting microchips in the vaccine/ And they’re putting creepy crawlers in the microchips/ The kids without the vaccines are getting harvested/ Because their blood is untainted/ Oh their blood is pure/ …/ Can you believe it, lizard people/ Oh, they’re harvesting our children/ My children are growing up with lizard gills/ And animal hair
That ain’t normal baby hair/ That’s animal hair/ You can tell if you touch it/ Oh, it’s disgusting/ I can’t believe it/ When I was younger none of this existed/ Everything was fine/ Everything was perfect/ And now it’s ruined/ It’s ruined ‚cause you voted on the wrong motherfucker/ Because you didn’t believe him/ You wouldn’t believe the sources that I linked you/ I told you to read/ I told you to do your research!„. Dass das in Summe trotzdem – und gerade deswegen – wieder einen weiteren Ohrwurm der Viagra Boy’schen-Kanons ergibt – irgendwo klar!

Derweil Cave World phasenweise (etwa im stereotypisch gebauten, mit eindimensionalem Storytelling sinister-funkelnd auf die knarzende 08/15-Tanzfläche drückenden Ain’t No Thief) und gerade hinten raus (mit dem sich aufbäumenden Standard Return to Monke sowie dem subkutan pumpenden, zwanglos plätschernden ADD) ein klein wenig die Luft auszugehen scheint, reihen sich zu zwei Drittel neue bandinterne Instant-Hits aneinander.
Das zügige Troglodyte provoziert den Kontrast mit dem tempogedrosselten Punk Rock Loser im zurückgelehnten Gang of Four-Stacksen, poltert mit dröhnenden Blues-Gitarren und tief erzählenden Timbre sowie einem zu oft repetierten catchy Refrain, bevor die dunkel gedrosselte, ruhig walzende Evolutionstheorie The Cognitive Trade-Off Hypothesis ein 80er-Goth-Ambiente mit herrlich gefistelten Pop-Refrain zum deliranten Industrial-Singalong begleitet, das durchatmende Globe Earth dort stellvertretend für das feine Pacing steht, dass die überall verteilten kurzen Interludes der homogen fließenden Platte bescheren, und das bluesig unaufgeregt (mit Jason Williamson auf der Gästeliste) schippernde Big Boy dank seiner finalen Chipmunk Soul-Barbershop-Beats-Ambitionen als direkter Anschluß besser gepasst hätte, als das zumindest deplazuierte Ain’t No Thief: Lauter stimulierende Gassenhauer, die das Niveau der Truppe konstant hoch halten.

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