A.A. Williams – Forever Blue

Ein in den Postrock, Goth, Dreampop und Slowcore transzendierender Traum des Darkfolk: Die britische Senkrechtstarterin A.A. Williams spinnt ihre ätherische Klangwelt auf ihrem Debütalbum Forever Blue – auch dank externer Kräfte – noch faszinierender als bisher.
Freilich war die Angst gering, dass das Debüt der Londonerin nach der (erst im vergangenen Jahr erschienenen, trotz eines von vornherein erstaunlich selbstsicher verinnerlichten Sounds tatsächlich die ersten Gehversuche im professionellen Musikgeschehen dokumentierenden) selbstbetitelten EP die hohen Erwartungen nicht stemmen können würde: Zu beständig waren die Versprechen, die auch über die Kooperation mit Mono vor wenigen Monaten auf Exit in Darkness bestätigt wurden.
Trotzdem war da nach den Konzerten im Vorprogramm von Cult of Luna und Brutus doch der Funken der Sorge, dass das Songwriting und die Ästhetik der A.A. Williams sich über stets ähnliche Spannungsbögen und Strukturen auf Albumlänge erschöpfen könnte gegeben.
Bedenken, die das wundervoll adäquat betitelte Forever Blue im Verlauf seiner 43 Spielminuten scheinbar mühelos entkräftet. Tatsächlich bewegt sich das erste und letzte Drittel der Platte zwar dezidiert in heimelig vermessenen Bahnen, doch wächst das Einstandswerk gerade in seinem Herzen und Mittelteil über sich hinaus; dort wird A.A. Williams zwar kein Neuland betreten, die Grenzen ihrer Welt aber auch mit der Unterstützung befreundeter Musiker mit einer vor Nuancen und Akzenten verwöhnenden Tiefe praktisch neu ausschmücken wird.
Dirt ist dort ein verträumter, entschleunigter Schwofer, der seine romantische Färbung auch durch den leise kontrastierenden Bariton von Ex-Wild Beasts-Mann Tom Fleming unterstreicht. Ein flüsterndes Zusammenspiel, das sparsam geklampft nie in den Pathos schweifendes Vibrato und hinten raus zudem stärkere Konturen bietet. In Fearless vergeht Williams beinahe vor Melancholie, „please let me go in peace“ fleht sie. Ihr Musik oszilliert wehklagend in Zeitlupe und detoniert dann als majestätisch-kantiger Postmetall, in dem der Cult Of Luna-Muskel Johannes Persson als Naturgewalt über allen Wehmut hinwegbrüllt.
Glimmer sucht nach dieser brachialen Intensität am Höhepunkt der Direktheit wieder die Beruhigung als abgekämpftes Duett am Lagerfeuer, diesmal mit dem schwedischen Tourkumpel Fredrik Kihlberg: „I wasn’t meant to see the sun washed out and pale/ I wait undone /I wasn’t meant to be the one hollow and hurt and meant for none“. Dort taucht Williams mit Streichern und behutsamen Marschschlagzeug in eine kammermusikalisch subtile Dramatik, die letztendlich die fragile Intimität und Stille findet.
Den Rahmen, den Williams in balladeske Getragenheit um diese relative Variabilität mit Drummer Geoff Holroyde sowie ihrem Bassist (respektive Gatten) Thomas Williams in der eigenen Wohnung in North London entsponnen hat, geht dann aber auch über das Verwalten einer etablierten Komfortzone hinaus: Forever Blue streckt sich im Deklinieren eklektischer Trademarks um den aufgefächerten Trademark Sound eher immer wieder von der zuverlässigen Klasse zur vagen Ahnung einer Makellosigkeit, auch ohne erschöpfende Perfektion.
Am überwältigsten lässt sich dies anhand von Melt nachvollziehen: Das Stück kennt man bereits als Live-Version und es fühlt sich, so absurd dies auf einem Debütalbum auch sein mag, deswegen einerseits sofort wie ein Klassiker an, wenn der behutsame pastorale Gesang zurückhaltend in sehnsüchtige Sphären zwischen Marissa Nadler und Lana Del Rey aufsteigt, sich nun in der Studio-Aufarbeitung aber andererseits auch selbst übertrifft, wenn die Komposition durch eine Physis grundiert wird, die an Earth denken lässt, sich aber in eine Leidenschaft hineinsteigert, die sich vor Eindringlichkeit förmlich selbst zu verschlingen scheint. Es ist also auch dieses Optimieren vorhandener Vorzüge, das Forever Blue neben seinem zugespitzten, dynamisch bleibenden Spannungsbogen und Fluß auszeichnet.
All I Asked For (Was To End It All) operiert erwartbar als elegisch schwelgende Schönheit, die alleine schon über die subtilen Streicher zeigt, was Williams bei der Zusammenarbeit mit den japanischen Postrockern gelernt hat. Das funktioniert letztendlich auf die bestmögliche Art typisch, vertraut und auch überraschungsarm, spätestens wenn das Finale mit dunkel dröhnendem Country-Subtext als Nachtschattengewächs erblüht. Diese intrinsische Dynamik im Songwriting beginnt schließlich eine unstillbare Gravitation zu entwickeln, die sogar eine etwaige anfängliche Ernüchterung, oder eher schaumgebremste Euphorie, ob der auf den ersten Blick phasenweisen Unscheinbarkeit von Forever Blue, mit einer sanftmütigen Sucht aufwiegt.
Love and Pain ist deswegen auch weniger Mehr vom Selben, als vielmehr durch seine majestätisch ergebende Grandezza auffällig, gerade wenn die Instrumente mit einer packenden Kraft die Zügel eng ziehen und die Imagination weit schweifen lassen. Wait verdeutlicht dagegen, dass Williams hier beinahe ausnahmslos hinterrücks einnehmende Ohrwürmer geschrieben hat, die mit einer der Zeit gefallenen Anmut in sich selbst ruhen – gerade hier umarmt die Größe der Nummer immerhin wie eine monumentale Kathedrale, sakrale und pastoral, deutet bereits auf Platte eine tröstende Wucht und catchy Massivität an, die zudem knapp an eine erlösende Katharsis kommt. Doch das Narrativ endet ohnedies schlüssig.
Wenn nach dem versöhnlich am Piano die Intimität auslegenden, gleichzeitig bodenlos deprimierend und beinahe verzweifelt den Hoffnungsschimmer findenden I‘m Fine zwitschernde Vögel die Sonne begrüßen, glaubt man Williams, dass sie diese Wanderung durch eine im Ansatz gar magische Nacht nicht nur überstanden hat, sondern sie auch wahrhaftig mit ein bisschen Optimismus in die Zukunft blicken kann.
1 Trackback