Arctic Monkeys, Inhaler [24.04.2023: Tips Arena, Linz]

von am 25. April 2023 in Featured, Reviews

Arctic Monkeys, Inhaler [24.04.2023: Tips Arena, Linz]

Knapp zwei Stunden in der Schwebe aus zeitloser Klasse des unmodernen Anachronismen: Die Arctic Monkeys starten den nächsten Teil ihrer The Car-Tour in der Tips Arena von Linz mit den irischen Inhaler als Support Act.

Inhaler, die Band von Bonos Sohn Elijah Hewson, kommt beim Publikum spitze an und badet letztendlich gar in einem Lichtermeer: es gibt beim ersten Gastspiel der Arctic Monkeys in Österreich seit fast einer Dekade so viel Applaus wie nur selten für einen (wenngleich bereits sehr erfolgreichen) Support-Act.
Warum dem so ist, erscheint subjektiv aber absurd: Die Dubliner klingen wie ein absolut charakterbefreites Kings of Leon-Imitat, marktwirtschaftlich geschickt angereichert mit latenten The View-Indie-Flair und konsumfreundlicher Mona-meets-The1975Kantenlosigkeit.
Was so – relativ gut abgestimmt auf die lange zurückgelassenen Wurzeln der Hauptattraktion – auch 2007 von zugegebenermaßen soliden Trittbrettfahrern konstruiert hätte werden können, musikalisch jedoch damals wie heute so innovativ und spannend wie ein ausgelatschter Schlapfen im Maul eines perfekt durchgestylten Hundes funktioniert. Inhaler spielen jedenfalls simpel gestrickte, eindimensionale Songs, manchmal eingängig, meistens beliebig, und immer schon während des ersten Durchgangs vollends reizlos, wodurch sie mit sattem Sound und effektiver Festival-Vormittags-Ausstrahlung als optische Abziehbilder unvergänglicher Klischees trotz bocklangweiliger 08/15-Substanz eben für leuchtende Augen im Publikum sorgen – ihren Job aber auch ohne jedes Wohlwollen zumindest kompetent erledigen.
Inhaler Linz 1

 

Die ausverkaufte (und phasenweise einem einzigen Geflecht aus filmenden Smartphones gleichkommende) Tips Arena ist an diesem Abend aber ohnedies von einem interessanten, weil tatsächlich gewissermaßen allumfassend erscheinenden Zuschauermenge bevölkert: gefühlt jede Altersschichten auffahrend ist vor allem der große Anteil sehr junger Besucher durchaus überraschend (oder trifft zumindest so gar nicht die eigene Erwartungshaltung, was zumindest die angesprochene Kundschaft der jüngsten beiden Arctic Monkeys-Alben von 2018 und 2022 ob deren stilistischer Ausrichtung angeht). Wie textsicher da praktisch alle mitgehen, egal ob von der Indie-Disco sozialisiert oder von der schummrigen Lounge angelockt, oder damit, dass sogar ein paar Personen aus der Publikumsmenge ob etwaiger Schwächeanfälle getragen werden müssen, damit hätte man in weiterer Folge auch nicht unbedingt rechnen müssen.
Ebenso ein Rätsel bleibt im Umkehrschluß jedoch, warum so viele Menschen dennoch schon vor der Zugabe aus der Halle strömen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Ausgangssituation mit zwei Türen im hinteren Bereich der Halle einfach nur absurd ist, und man es nach der rund eineinhalb Stunden dauernden Show lieber nicht zu eilig haben sollte, vom Gelände zu kommen (gerade wenn man auch noch beim einzigen Merch-Stand in einer nicht enden wollenden Schlange anstehen möchte).

Arctic Monkeys Linz 2

Wie auch immer: Die Stimmung ist sehr gut. Alle Songs werden frenetisch gefeiert, auch wenn sich selbst bei den absoluten Hits wie I Bet That You Look Good on the Dancefloor, Snap Out of It oder Do I Wanna Know? keine wirkliche Ausgelassenheit bei der kultiviert schunkelnden Menge einstellen will. Der Spagat zwischen croonendem Schwofen und packendem Momentum hinterlässt nunmal bekanntermaßen auch ein wenig Ambivalenz, zumeist zündet der zeitlose Anachronismus allerdings fabelhaft. Also ähnlich, wie man das auch von jüngeren Live-Mitschnitten kennt, nur direkt dabei eben schon weitaus unmittelbarer.

Arctic Monkeys Linz 3

Die wenigen Interaktionen von der Bühne mit der Zuseher/hörerschaft sitzen pointiert, während der gute Sound der Halle wirklich solide über den Erwartungshaltungen überzeugt und gerade die Inszenierung der Videowalls mit langsamen Überblendungen und Zooms im grieseligen VHS-Look perfekt zu der Band rund um Alex Turner (als aus den 70ern in einen von Wes Anderson inszenierten Columbo-Film gefallener Serge Gainsbourg-Lookalike-Crooner-Antagonist) passt: Ästhetisch sind die Grenzen der Band, die in ihrer Jugend als die heißeste Zukunfts-Aktie des Rock gehandelt wurde, und nun wie eine Retro-Erinnerung an prätentiöse Vergangenheiten auftritt, in purer, abgeklärter Coolness verschwimmend.

Arctic Monkeys Linz 4

Kaum schwer wiegen insofern ein paar kleinere, wahrscheinlich nur subjektiv störende Schönheitsfehler (das funky ins Rollen kommende neue Outfit von Four out of Five kann etwa ebenso nicht mit seiner Original-Studioversion mithalten, wie die halluzinogener angelegte Überarbeitung von 505; From the Ritz to the Rubble kürzt seinen Appendix symptomatisch leider einfach ab – und wie überragend wäre es wohl gewesen, wenn nicht nur das brillante Body Paint mit jedem Moment weiter dem Hang zum Rock-Exzess nachgegeben hätte, während ein stimmlich gelegentlich danebenliegender Turner Küsschen ins Publikum wirft?). Alle Phasen der Bandgeschichte werden auf Tour schließlich ziemlich erfolgreich ausbalanciert (wiewohl die Amplituden vor allem in den knackigeren Stücken insofern aber auch keine Extreme erzeugen).

Arctic Monkeys Linz 5

Ein retrofuturistisch wummerndes Sculptures of Anything Goes bricht so in das schweißtreibende Brianstorm los, Crying Lightning schleppt sich auch mal zäher, und Don’t Sit Down ‚Cause I’ve Moved Your Chair wird heavier als gewohnt ausgelegt, bevor für die Zugabe zwischen There’d Better Be a Mirrorball und R U Mine? die bis dahin kaum versteckte Discokugel von der Decke holt, und dem Abend die funkelnde Krone auf die Dauerwelle im schicken Zwirn setzt.

Am besten ist dennoch die (auf eine etwas formelhaft die üblichen Verdächtigen abspulenden eröffnenden Passage) zweite Hälfte des regulären Sets, in dem die (auf der Bühne phasenweise gar zum Septett verstärkten, perfekt aufeinander eingespielten) Monkeys einige Überraschungen vom Stapel lassen: Suck it and See wird ebenso wie Fluorescent Adolescent erstmals nach neun Jahren wieder live gespielt (und hier sogar mit einem schönen Acapella-Einstieg zum romantischen Smartphone-Feuerzeug-Schwelgen versehen), das in Linz erstmals überhaupt live umgesetzte Perfect Sense ist in seiner luftigen Melancholie schlichtweg unheimlich schön, und das zurückgekehrte Star Treatment ändert seinen Text um etwas irritierend neben der Spur als psychedelischer Traum intoniert zu werden, derweil die John Cooper Clark-Adaption I Wanna Be Yours wundervoll entschleunigt zum minimalistischen Triumphzug wird, seine generationenübergreifende Klasse über die Euphorie des Momentums gar zur kollektiven Sehnsucht schiebt: die Arctic Monkeys sind wohl mehr denn je einfach ein verdammtes Phänomen.

Setlist:
Sculptures of Anything Goes
Brianstorm
Snap Out of It
Crying Lightning
Don’t Sit Down ‚Cause I’ve Moved Your Chair
Why’d You Only Call Me When You’re High?
Four Out of Five
Arabella
Pretty Visitors
From the Ritz to the Rubble
Suck It and See
Perfect Sense
Star Treatment
Fluorescent Adolescent
Do I Wanna Know?
505
I Wanna Be Yours
Body Paint

Encore:
There’d Better Be a Mirrorball
I Bet You Look Good on the Dancefloor
R U Mine?

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