Die Alben des Jahres 2021: 20 – 11

von am 14. Januar 2022 in Featured, Jahrescharts 2021

Die Alben des Jahres 2021: 20 – 11

| HM | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  |

Fuoco Fatuo - Obsidian Katabasis20. Fuoco Fatuo – Obsidian Katabasis

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Seine stärksten Phasen hat Obsidian Katabasis immer dann, wenn die Italiener Fatuo Fuoco die Gewichtung ihres Death Doom betonend auf den Funeral-Aspekt des flächigen Sounds legen. Was dann übrigens, nur der Vollständigkeit halber, nichts damit zu tun hat, dass das Doom-Jahr an sich relativ ungesättigt entlassen hat, sondern alleine mit dem Niveau, auf dem sich die Band aus der Lombardei auf ihrem dritten Studioalbum nach der ersten Viertelstunde des noch nur sehr guten Openers Obsidian Bulwark (Creation of the Absurd) bewegt.
Als hätte man einen Sarg aus seinem modrigen Grab gehoben, um ihn mit der Event Horizon auf den Trip durch ein schwarzes Loch in jene Dimension zu schicken, aus der auch Portal ihre Stimmung ziehen – und genau diese soghafte Atmosphäre ist dann eigentlich auch das beste an Obsidian Katabasis, das mutmaßlich keineswegs endet, wenn die Entwicklungsgeschichte von Fuoco Fatuo abgeschlossen scheint, sondern im Grunde erst dort ansetzt, wo sie wirklich relevant wird.

Plebeian Grandstand - Rien ne suffit19. Plebeian Grandstand – Rien ne suffit

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Es war zwar ohnedies nicht damit zu rechnen, dass Plebeian Grandstand fünf Jahre nach False Highs, True Lows auf Nummer Sicher gehen und dasselbe Album noch einmal aufnehmen würden. Die mentale Belastungsprobe, der sich die Franzosen mit dem exzessiven Maximaltrieb Rien ne suffit aussetzen, überrascht als Psycho-Hygiene mit dem Hochdruckreiniger dann aber doch, wenn der von Power Electronics- und Harsh-Noise (Rock) infizierte Avantgarde Black Metal hier mehr innere Dämonen bis aufs Blut provoziert werden, anstatt sie zu besänftigen.
Diese psychotische Konsequenz und Intensität ist zum einen der filmisch konzipierten Herangehensweise der Band an das Werk zu verdanken, andererseits auch dem Umstand, dass Langzeitproduzent Amaury Sauvé für Rien ne suffit zum vollwertigen fünften Bandmitglied wurde und dabei in jede Pore von Plebeian Grandstand vorgedrungen ist.
Elementar für die Faszination dieses Zuchthaus der „kognitive Dissonanz, Frustration und Entropie“ ist dabei aber vor allem, wie es einem minutiös geplanten und von vornherein durchstrukturierten Werk gelingt, derart instinktiv, impuls, unberechenbar-reizbar und hirnwürtig zu klingen.

Springtime - Springtime18. Springtime – Springtime

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Weil Gareth Liddiard aufgrund der Covid-Situation sekundär damit beschäftigt war pleite zu gehen und primär ohne seinen gewohnten Tour-Alltag absolut gelangweilt war (“I always hoped that if there was a fuckin’ worldwide apocalypse, it would be more action packed.”), holte er seinen während der Pandemie in Australien gestrandeten Kumpel Jim White für ein paar gemeinsame Auftritte an Bord und nutzte später auch die Möglichkeit, dass Chris Abrahams pandemiebedingt verfügbar war.
Fertig war eine Gang, in der Eitelkeiten keinen Platz haben, sondern Demokratie groß geschrieben wird. „No one’s got anything to prove, so everyone’s pretty much doing the right thing. We’re not like young tackers who are.. I’m not trying to play a fucking shredding guitar solo to impress anybody, and neither is Jim and Chris. (…) Some musicians, you need to work ’em like a borrowed horse, until they get it right. But not with Jim and Chris. If you’re talking about a first take band, they are the guys I’d choose.” sagt Liddiard und geht dabei so weit, sich Texte von seinem Onkel zu leihen oder alte Songs aus der Mottenkiste zu ziehen. Am Ende steht jedenfalls ein spontanes, instinktives Album, das wie ein aus der Zeitkapsel gefallener un/moderner Klassiker polternd und rumpelt, den Terminus Supergroup schnoddrig auf eine leichte Schulter nehmend, die unter dem Gewicht der menschlichen Existenz taumelt.

Ethereal Shroud - Trisagion17. Ethereal Shroud – Trisagion

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Alle Jahre wieder kommt im Dezember zumindest diese eine Platte, die auf den letzten Drücker die bereits in Angriff genommenen Jahrescharts durcheinanderwirbelt. 2021 übernimmt diese Rolle das Zweitwerk – und wie man mittlerweile weiß auch der Schwanengesang – von Ethereal Shroud, das ohne große Vorwarnung (und trotz der durch They Became the Falling Ash und Absolution|Emptiness eh bekannten Qualitäten der Spielweise von Joe Hawker) zwischen Primordial Arcana und Geister platziert selbst an zahlreichen bereits fix als Black Metal-Highlights verbuchten Kollegen vorbeizog: Das ist gerade auch im Verbund mit dem Schlussstrich potentielles Material für Legenden.
Und weil die digitale Tinte, die dem ziemlich triumphalen Weg dieser 64 ihren Mini-Szene-Hype mühelos rechtfertigenden Minuten an das Firmament des jüngeren Black Metal huldigt, ohnedies noch nicht trocken ist, sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass die physische Version von Trisagion aufgrund seines Bonus Tracks Lanterns absolut essentiell ist, dies aber auch ein absolutes Versäumnis in die Auslage stellt: Musik wie diese gehört (auch aufgrund der Kombination mit einem prachtvollen Artwoek) unbedingt auf Platte ins Regal – vinyltechnisch besteht bei Ethereal Shroud aber nach wie vor schwerer Aufholbedarf.

Godspeed You! Black Emperor - G_d’s Pee AT STATE’S END!16. Godspeed You! Black Emperor – G_d’s Pee AT STATE’S END!

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Was Godspeed You! Black Emperor mit Nick Cave & The Bad Seeds, Holy Fuck, The Haxan Cloak, Ween und Aphex Twin (sowie auch noch „Korean barbeque, sushi, Mexican food, trashy seafood, fajitas“ oder „mountain biking, blacksmithing and collecting oddities„) gemeinsam haben? Dass die Chancen gestiegen sind, bei einer Suche nach der Bedeutung des Begriffs Snacky Poo aufzutauchen.
Ob der seit einiger Zeit eine beachtliche Hochform beweisende Manuel Efrim Menuck von dieser absoluten Ehre überhaupt Notiz genommen hat, steht derweil zu bezweifeln. Auch, weil sich der kosmopolite Kanadier mit Godspeed weiterhin primär den angestammten Kernkompetenzen seines Kollektivs widmet: politische Revolutionen und ausschweifendem Postrock. Zweiteren Punkt sogar so bestechend, wie lange nicht. Denn auch wenn die direkten Vorgängerplatten keine verklärende Nibelungentreue verlangten, um gemocht bis verehrt zu werden, ist doch erst G_d’s Pee AT STATE’S END! das glückselig machende Album geworden, auf das man von der synonym für das Genre stehenden Gruppe seit ihrer Rückkehr gewartet hat.

Grouper - Shade15. Grouper – Shade

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2018 tat Liz Harris kund, noch rund 200 unfertige Songs in ihrem Repertoire zu haben. Drei Jahre später bündelt sie sieben davon zu Shade, einem kohärenten Einblick in 16 Jahre Karriere, der fragmentarisch und skizzenhaft in den Äther gehaucht exakt jene erstaunlich dichte Atmosphäre entfaltet, für die Grouper immer bürgt: Musik, die schon seit Ewigkeiten bestehen könnte oder auch erst im Andenken erdacht worden ist, um durch die verlassenen Ruinen einer einsamen Welt zu geistern, die bereits lange ausgestorben ist.
Mit verwaschener Magie zeigt Harris dabei auch das prolongierte Gespür, ihre Songs zum richtigen Zeitpunkt freizulassen („It’s about a really intuitive sense of when something’s ready. I often feel, more and more so, that things just have to sit for a long time while I think about them and what I’m gonna do with them„), auch wenn sich jede Pause zwischen Grouper-Alben subjektiv zu lange anfühlt, weswegen Shade als Rückkehr zum minimalistisch gitarrengezupften Folk allerdings auch niemals wie das Sammelsurium von Ausschussware wirkt, sondern einmal mehr wie zeitloser Ambient, den man immer schon zu kennen meint und nie mehr missen will.

First Fragment - Gloire Éternelle14. First Fragment – Gloire Éternelle

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Die Lektion, wie gut Flamenco-Gitarren und ein bundfreier Funk-Bass zu technisch virtuosem, neoklassizistisch das Rad schlagenden Death passt, der mit einem halben Bein im truen Epic Metal steht und den Zähne zeigenden Thrash dabei trotz aller Pirouetten nicht nur vom Hörensagen kennt, die gibt es von Alleskönner Phil Tougas im Genre-Alchemie-Kurs für Fortgeschrittene als ausführliches Schaulaufen exerziert.
Obwohl die geblockte Marathon-Veranstaltung trotz der elaborierten Spielzeit ohnedies keinen wirklich lange Atem benötigt – höchstens die Nonchalance darüber hinwegzusehen, dass das aufgefahrene Material als kompakteres Geniestreich-Album samt brillanten Trabanten noch besser funktioniert hätte – kann der immer neue Wunderwerke ausbrütende Moloch auch Quebec zudem schon einmal in aller Ausführlichkeit zelebrieren, dass man offenbar eine goldene Formel besitzt, wie Ingredienzien, die als Amalgam zumindest am Papier ein grotesk-frankenstein‘sches Ungetüm ergeben müssten, tatsächlich zu einer wahren Wollmilchsau mutieren.

A Beginner's Mind13. Sufjan Stevens & Angelo De Augustine – A Beginner’s Mind

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Die Geschichte, in der Sufjan Stevens nach durchwachsenen (Kooperations-)Indietronica-Halluzinogenen und einem vielbeschäftigten Jahr des Ambient-Experiment-Mammutprojektes durch den seit langer Zeit protegierten Angelo De Augustine endlich wieder magische Momente in seinem Songwritings entdeckt (oder ist er es umgekehrt, der seinem Asthamtic Kitty-Mündel hier den sensiblen Zauber unsterblicher Harmonien beibringt?) beginnt wahrhaft märchenhaft: Es waren einmal zwei Kumpels, die sich mangels sonstiger Beschäftigungen verdammt viele Filme reinzogen –  etwa All About Eve und Wings of Desire, The Silence of the Lambs und The Thing, Bring it On und Return to Oz oder einfach die gesamte Hellraiser-Reihe – und ohne großen Masterplan irgendwann instinktiv über das Gesehene zu schreiben begannen; jeder Song bekennt sich hinter dem musikalischen Amalgam der beiden Handschriften zu einer filmischen Inspiration.
Das führt zum Kontrast von Zeilen wie „Now covered in chains (now covered in chains)/ My skin is ablated with bleeding incision/ And still, life remains, my cadaver imprisoned/ As you shall retain me and raise me from Hell“ aus der Perspektive von J.P. Monroe und engelsgleicher Melodien von unverdorbener, purer Schönheit. Dass 45 Minuten später zugänglichere, kompaktere  Ohrwürmer stehen, als man sie von De Augustine, aber auch Stevens gewohnt ist, beweist dann vielleicht auch, dass A Beginner’s Mind mehr als ein Kräftemessen seiner Urheber ist, sondern unverfälschte Synergie mit potthässlichem Cover-Anlitz.

Cassandra Jenkins - An Overview on Phenomenal Nature12. Cassandra Jenkins – An Overview on Phenomenal Nature

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Auch wenn man im Gedanken zumindest ein Mosaikstück der nachgereichten Appendix-EP an den Fluss dieser Platte anhängen muss, um An Overview on Phenomenal Nature zu einer wirklich runden Sache zu machen, ist das Zweitwerk von Cassandra Jenkins auch so schon mehr als nur ein einziger Glückshormon-Rausch für Anhänger von St. Vincent bis Aimee Mann.
Weil die Musikerin aus Manhatten in den meisten Momenten der Platte an diesen allgegenwärtigen Assoziationen (zumindest gemessen an den heurigen Releases) locker vorbeizieht – dann aber auch noch Szene wie den Spoken Word-Therapie-Trip Harddrive mit einer solch hypnotischen Sogwirkung kreiert. Das smoothe, butterweiche Spektrum des kammermusikalischen Sophisti-Pop geht jedenfalls abenteuerlustig über den warmen, unheimlich angenehmen Sound der wunderbaren Produktion von Josh Kaufman hinaus und reiht die charmant ans Herz gehenden Sellenstreichler bis an den Ambient und Folk. Am Ende steht deswegen auch ohne Eingriffe des Hörers regelrecht märchenhaftes Kleinod.

11. Archspire – Bleed the Future

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Das die hinuntergeklappte Kinnlade sich zu einem ungläubigen Grinsen wandelt dauert in der Regel nur wenige Sekunden – doch das ist Zeit, in der Archspire gefühlt tausend Takte und Griffe weiter sind. Die Tech Death Metaller, die schneller (und virtuoser) als ihre Schatten sind, machen dafür auf dem Album nach dem Durchbruchsalbum einfach alles noch richtiger als ohnedies bereits, zertrümmern jeden Bpm-Messer mit einer irren Leistungsschau, die weder dem Fehler macht, mit übertriebenem Ego entlang einer zu langen Spielzeit an die Reizüberflutung zu gehen, noch auf die nötige Substanz vergisst, um auch abseits des technischen Spektakels zu fesseln: Wie engagiert einen alleine gleich die Titel-Hook von Drone Corpse Aviator mitreißt, jedes Mal aufs Neue zum unbedingten Mitbrüllen maßgeschneidert, ist in diesem süchtig machenden Wirbelsturm eigentlich fast schon absurd.
Das Erfolgsrezept der Platte ist insofern ein ebenso einfaches wie schwer zu realisierendes: Die eigene Freude am komplizierten Muckertum-Spektakel so unkompliziert wie möglich auf den Hörer überspringen zu lassen. Notfalls auch mit einem brachial amüsant aus der Rolle fallenden Anrufbeantworter-Sample.

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