Godspeed You! Black Emperor – G_d’s Pee AT STATE’S END!

von am 4. April 2021 in Album

Godspeed You! Black Emperor – G_d’s Pee AT STATE’S END!

Was für ein Jahr für den zuletzt arg ins Hintertreffen geratenen Postrock: Nach einer tollen Liveplatte von Mono und einem  abermaligen Schaulaufen von Mogwai krönen Godspeed You! Black Emperor den Genre-Output 2021 mit G_d’s Pee AT STATE’S END! – und nebenbei auch gleich ihr eigenes Schaffen seit der Réunion.

Was weniger deswegen keine unbedingte Überraschung sein sollte, weil das synonym mit der gesamte musikalischen Spielweise stehende kanadische Kollektiv sich auch nach der Rückkehr 2010 eine konstante Unfehlbarkeit bewahrt hat (ja, selbst der 2017 nicht unbedingt euphorisch aufgenommene direkte Vorgänger Luciferian Towers hat sich mit ein wenig Abstand als kleiner Triumph über die Routine erwiesen), oder wegen der bestechenden Form, die Rädelsführer Manuel Efrim Menuck zuletzt auf Solopfaden zeigte.
Sondern wegen Glacier und Cliff, zwei Stücken, die Godspeed You! Black Emperor auf ihrer durchwegs begeisternden 2019er Tour auf dem Inkubator Bühne wachsen ließen, und die hier in ihrer Studio-Versionen ausformuliert als die beiden Monolithen der Platte nun auch die Essenz und das Gewicht von G_d’s Pee AT STATE’S END! tragen.

Glacier – oder in voller Länge: A Military Alphabet (five eyes all blind) (4521.0kHz 6730.0kHz 4109.09kHz) / Job’s Lament / First of the Last Glaciers / where we break how we shine (Rockets for Mary) – kämpft sich aus einem Geflecht der desorientierten Field Recordings wach. Die Gitarren und Streicher müssen erst in einem avantgardistischen Einigungsprozess zueinander finden, um schließlich ihre Kräfte zu bündeln, in einen psychedelischen Groove zu verfallen, der gleichzeitig schleppend, subversiv aufgekratzt, krautig maschinell und mit vermeintlichen Synthies schraffiert wie ein hypnotischer Organismus brütet. Die Gitarren lassen Melodien aus dem Geflecht heraustrahlen und artikulieren damit auch einen markanten Charakterzug von G_d’s Pee AT STATE’S END! im Gesamten: Das siebte Album der Band ist schneller zugänglicher als seine Vorgänger, denn es trifft in kritischen Momenten durchwegs Entscheidungen, die sich konventionelleren Formen anbieten und eine weniger weitschweifenden Gangart zur Griffigkeit bieten.
Der Opener von G_d’s Pee AT STATE’S END! beruhigt sich vor der jubilierenden Extase so jedoch zu einem kontemplativer schwelgenden, versöhnlich schunkelnden Nachtschattengewächs, schmiegt sich an eine beschwichtigende und beschwingende Harmonika, bevor die Nummer das Schlachtfeld nicht hinter sich lässt, es jedoch bei Tageslicht aus der Ferne betrachtet, im trügerischen Vogelgezwitscher betrachtet, und seiner Epiphanie damit einen nüchternen Realitätsabgleich dirigiert.

Bereits hiernach lässt sich erahnen, dass G_d’s Pee AT STATE’S END! seine Achillesferse als Tugend auslegt, wenn der Vorwurf zwar durchaus gerechtfertigt ist, es „nur“ abermals mit zutiefst typischer Godspeed-Musik zu tun zu haben, die an sich abseits ihrer unmittelbar erschließbaren Nahbarkeit keinerlei Überraschungen parat hält, selbst in den Strukturen und Spannungsbögen die bekannt verinnerlichte Laut-Leise-Dynamik zelebriert – dies aber eben mit einer solch aufopferungsbereiten Hingabe und nunmehr auch vergleichsweise schnörkellosen Effektivität tut, dass etwaige Ermüdungserscheinungen oder eine formelhafte Abnutzung ihrer ureigenen Ausdrucksform praktisch keine Rolle spielen.
Besonders deutlich wird dies in „Government Came“ (9980.0kHz 3617.1kHz 4521.0 kHz) / Cliffs Gaze / cliffs‘ gaze at empty waters‘ rise / Ashes to Sea or Nearer to Thee, dem zweiten überlangen Manifest der Platte. Das beginnt in entrückter Trance flanierend und in sedativen Wellen flirrend wie der diffus-nebulöse Rahmen, den The Mars Volta seinerzeit um Amputechture legten.
Mystisch, vielleicht sogar ein wenig jazzig, schwingen sich Godspeed mit ungezwungenem Schlagzeugspiel auf, deuten eine lebensmüde Hymne an, der eine verzweifelt-flehende Aufbruchstimmung inne wohnt. Eine latente Dramatik ergreift die Nummer fast panisch, beschwört die Schrauben immer schockierter enger ziehend, in den Tendenzen gar psychotisch – nur um sich als coitus interruptus plötzlich in eine vom Tumult abgeschottete Ruhephase im Auge des Sturm einzuigeln, intim schimmernd.

Und natürlich ist das das demonstrative Luftholen vor dem großen Finale, dem so absolut vorhersehbar im den Verlauf hinein konstruierte Höhepunkt des Werkes. Doch sieht die Band die bisweilen sklavischen Benimmregeln des Genres nicht als Geiselhaft. Stattdessen lassen Godspeed den Klimax seine Rolle als Erlöser mit purem Genuss annehmen. Es erstaunt und befriedigt, versetzt gar in Hochstimmung, mit welcher Direktheit  die Band dem Abspann und proklamierten Happy End so gelöst entgegen galoppiert; wie unsubtil, aber euphorisierend alleine die Arrangements regelrecht plakativ auftreten – als würden Manchester Orchestra neuerlich im orchestralen Wesen von Simple Math baden herrscht definitive Klarheit, dass dies die geschmeidige Eruption ist, die seit Anbeginn in Aussicht gestellt wurde: Es gibt keine unorthodoxen Wendungen, dafür Simplizität; tiefe Befriedigung und  Genugtuung, wenn auch auf Kosten jeder Offenbarung, denn dafür operiert die Auflösung einfach zu sehr auf Schiene.
Wenn abrupt abgedrehtes Glockengebimmel den Song beendet, funktioniert das dennoch – oder gerade deswegen! – als heroische Endorphin-Abfahrt, Halleluja!
Stichwort Halleluja. Zwischen den zwei knapp vierzig der insgesamt 53 Minuten Spielzeit einnehmenden Monolithen erinnert die Beschaffenheit und Form des freilich wieder explizit politisch aufgeladenen G_d’s Pee AT STATE’S END! an jene des Comebackalbums von 2012, mit seinen zwei langen Herzstücken und den ergänzenden Drones.

Allerdings lässt sich hier nun gerade anhand der beiden kurzen Passagen, den vermeintlichen Überbrückungsstücken, ein erheblicher – und eben auch wieder symptomatisch für den installierten straighten Fokus im Songwriting der Platte geltender – Optimierungsprozess feststellen, wenn die kompakten Bindemittel nicht nur auf Augenhöhe mit Glacier und Cliff agieren, sondern so ergiebig ausformuliert schlichtweg die fabelhaften Sternstunden des Gesamtwerkes darstellen und selbst aus dem Kontext gerissen zum besten gehören, was Godspeed in ihrem zweiten Leben erschaffen haben. Mindestens.
Fire at Static Valley beginnt im Donnergrollen eines erahnbaren Polizeieinsatzes (auch wie die verblasste Erinnerung an Life is a Pigsty) lässt seine patentierten Gitarren aber unmittelbar über den cineastischen Ambient pendeln und nachdenklich oszillieren, sie von unendlich ruhig pulsierenden Kriegstrommel über eine apokalyptisch verbrannte Erde führen, deren imaginative Schönheit etwas verstörendes und erhebendes hat. Die Nummer findet schell zu ihrem Punkt, vermisst aber lieber den Raum darum, destilliert die Atmosphäre und Botschaft der Platte mit ebenso beklemmender wie astraler Fassungslosigkeit, steuert mit sakraler Anmut einem Klimax entgegen, der dann aber doch lieber ausgelaugt abgeblendet wird.
Der Epilog Our side has to win (for D.H.) wirkt dagegen wie ein Basinski-Traum von Androiden, die von Schafen und Origami-Pferden träumen, und obgleich ein luzides Bewusstsein entwickelnd, sich langsam und vorsichtig dazu entschließend aufzuwachen. Zu einem Soundtrack, der eine optimistischere Welt verdient hätte, letztendlich aber doch vermisst, wie viel Traurigkeit und Schönheit und Melancholie auf Schultern passen, die die Last der Welt tragen – als hätten Sigur Rós ihren Frieden mit der Dystopie geschlossen.
Schwer zu sagen, ob G_d’s Pee AT STATE’S END! so auf eine besonders versöhnliche und tröstende, oder doch unterminierend deprimierende Weise endet. Dass Godspeed jedoch in Summe auch ohne einen Gänsehaut-Geniestreich wie Mladic ihr stärkstes Gesamtwerk seit der monumental-ikonischen Meisterwerke-Phase der 00er-Jahre gelungen ist, passt zu einem Album, das sich in jeder Hinsicht wie ein bestmöglich eingelöstes Versprechen anfühlt.

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