Die Alben des Jahres 2023: 40 – 31
| HM | EPs | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 | Playlisten |
40. Big Garden – To the Rind
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Der Hum-Backkatalog wird von Polyvinyl aktuell neu aufgelegt, die ohnedies niemals unpopulären Deftones sind dank Tik Tok auch jenseits ihres bisherigen Marktes ordentlich am wachsen: Space- und Gaze-Spielarten boomen!
Und obwohl sich die Thou-Splittergruppe Big Garden (mit einer gehörigen Portion Blackmail und Alice in Chains in der DNA) im grungig-metallischen Alternative Rock Revival-Sound zwischen diesen Leitsternen bewegt, fühlt sich dennoch nichts an To The Rind an, als würde hier eine Band als Trittbrettfahrer auf einen Trend aufspringen.
Anstatt ein Momentum zu nutzen oder gar zu generieren, scheinen Big Garden ohne Geltungsdrang eher entspannt abzuwarten, während sie ihr Ding so oder so durchziehen. Dieses aus starkem Songwriting und charakterstarker Performance gezeugte Debüt in seiner offenkundigen Unscheinbarkeit deswegen zu übersehen, wäre allerdings ein Frevel, den Szene-Fans sich kaum erlauben sollten.
39. Zach Bryan – Zach Bryan
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„They said I’s a wanna-be cowboy from a cut throat town With tattooed skin and nobody around/ „Your songs sound the same, you’ll never make a name for yourself“/ But I been scrapin‘ by my whole damn life/ And granddaddy worked a double ‚til the day he died/ Said, „Never let this worlds earthly pride get you down“ und „And I wanna stay humble, I wanna stay hungry/ …./ So hold on tight/ ‚Cause I’ll be working ovеrtime“ schwingt sich Zach Bryan gleich im Statement Overtime mit einer erhebenden Dramatik und Larger-Than-Life-Attitüde zur Hymnik auf, die den vorläufigen Klimax seiner seit den ersten auf YouTube hochgeladenen Lo-Fi-Smartphone-Aufnahmen im ständigen Wachstum befindlichen Karriere keine andere Möglichkeit ließ, als endgültig durch die Decke zu gehen.
Folgerichtig ist Zach Bryan spätestens jetzt, mit seinem aus Red Dirt, Country und Singer Songwriter-Hemdsärmeligkeit gebastelten selbstbetitelten Viertwerk ein verdienter Superstar, der von der Spitze der Charts Rekorde vermeldet. Dass die schnell nachgeschobene Überraschung-EP Boys of Faith rund um den Übersong Deep Satin sogar noch besser ist, ist nur die logische Arbeitsethos-Konsequenz des in Okinawa geborenen US-Selfmade-Workaholics.
38. Chepang – Swatta
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Am Hirs Collective und We’re Still Here mögen Chepang vielleicht nicht vorbeigekommen sein, was die imposanteste Gästeliste auf einem aktuellen Grindcore-Album angeht. Wenn es jedoch darum geht, welche Band als Schmelztigel-Katalysator rund um eine illustre Schar an Features das konstantere Gesamtwerk abgeliefert hat, haben die US Nepalesen aktuell doch die Nase vorne (wiewohl Swatta genau genommen ja bereits seit 2020 auf seine Veröffentlichung wartet).
Dabei löst sich das Drittwerk der Bqnd als konzeptionelles Tetraptychon (über dessen einzelne Segmente es hintergründiges zu berichten gibt) explizit von der Einheitlichkeit eines engen Rahmens, vermengt kooperative Elemente mit eigenen Perspektiven und fächert sich nach seinem noch relativ konventionellen ersten Genre-Drittel auf, assimiliert individuelle Akzente und lässt von der Avantgarde über den Free-Jazz und Noise-Phasen bis zum AI-Programmier-Exzess über insgesamt 49 Minuten über 29 Tracks allem Irrsinn freien Lauf.
37. Maria BC – Spike Field
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Man findet zur Welt von Maria BC, dem Spike Field, vielleicht wegen dieser Musik, die so weit in das Grouper-Territorium hineinreichend abholt, dass es als Fanboy von Liz Harris eine wahre Wonne ist. Womöglich spielt auch die Sacred Bones-Prägung des Artworks eine Rolle (was schon verständlich ist: das Qualitäts-Label hat heuer u.a. von Sqürl über die Boris & Uniform-Kooperation bis zu Constant Smiles auch mit den digitalen Aufbereitungen von Townes Van Zandt- und Blaze Foley-Alben gezaubert – da macht man nie was falsch, wenn man ein Ohr riskiert).
Doch bleibt man letztlich gerade auch wegen der Texte, die auf manchmal abstrakte, manchmal entrückt universell greifbare Weise berühren, aufwühlen und einen verzweifelten Trost aufsteigen lassen, der dem ambienten Singer-Songwriter von Maria Bobbitt-Chertock in eigenen Sphären dunkel strahlen lässt.
36. Ostraca – Disaster
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Ausgerechnet Ostraca fehlen auf der prachtvoll von Jeremy Bolm zusammengetragen Parade Balladeers, Redefined. Im Grunde absurd, womöglich aber nur schlüssig.
Denn der Kategorisierung als Screamo-Band entziehen sich Gus Caldwell, Brian Russo und John Corgan mit ihrem vierten Studioalbum eigentlich ohnedies: Emoviolence ist hier vielleicht noch die Basis, darauf baut das Trio aus Richmond aber Songs, die vom Grindcore, Crust und Black Metal ebenso wenig Scheu kennen, wie vom Postrock.
Das besondere daran ist, dass all diese Facetten jedoch mit einer selbstaufopfernden Hinhabe bedient werden. Wo andere Bands über den Tellerrand blicken, um ihrer Komfortzone Schraffuren beizubringen, gehen Ostraca in jeder stilistischen Nuance so intensiv auf, als wäre es seit jeher ihr angestammtes Metier. Dass Disaster dabei nicht seinem Titel folgend zum unaugegorenen Franstein mutiert, sondern ein homogen verwobenes Ganzes erschließt, ist nicht weniger als ein kleines Wunder der jüngeren, naja – trotz allem!, Screamo-Geschichte.
35. Hasard – Malivore
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Das Pariser Enigma Hazard spaltet seine Identität und löst eine alternative – gar schizophrene oder eher den Kern seines Selbst unbarmherziger freilegende? – Version aus der Existenz von Les Chants du Hasard, dessen vom Black Metal infizierte Aufarbeitung der Klassik des 19. Jahrhunderts bei Hasard eine chaotischer mit der Dissonanz liebäugelnden Identität in geradezu umgekehrt proportionaler Ausgangslage annimmt.
Sinfonische Elemente, Bläser und das Piano von Wreche-Gast John Steven Morgan stürzen sich als Akzente in den finsteren, unablässigen Blastbeat-Mahlstrom, doch letztendlich destilliert Malivore die Essenz bitterböser französischer Genre-Kunst inmitten von Blut aus Nord und Deathspell Omega über die Repetition defragmentierender Strukturen, kultiviert praktisch ohne Erholungspausen eine menschenverachtende Intensität durch seine faszinierend dicht beklemmende Atmosphäre und eindringlich apokalyptische Stimmung.
Da hat I, Voidhanger mal wieder ein Juwel in sein Portfolio aufgenommen.
34. Gia Margaret – Romantic Piano
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Der im Zentrum von Romantic Piano stehende, an Julia Holter erinnernde City Song verdeutlicht, wie schade es ist, dass Gia Margaret seit ihrem Debüt There’s Always Glimmer nur noch selten Lust darauf hat, ihre Kompositionen zu konventioneller veranlagten, von ihr mit Gesang ausgestatteten Nummern zu strukturieren.
Noch besser ist deswegen der Umstand, dass die restlichen rund 23 Minuten dieses Drittwerks keine Stimme missen lassen, sondern als naturalistisch veranlagter Nachfolger zu Mia Gargaret wie tröstende kleine Erinnerungen in ihren imaginativen Bann ziehen, Wachträume im milden Sonnenschein zaubern, die selten mehr brauchen als ein wohltemperiertes Klavier vor Vogelgezwitscher und anderen Field Recordings, manchmal aber jazzige Bläser, weiches Zupfen an der Akustikgitarren oder sanfte Beats installieren.
33. Daily Worker – Autofiction
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Seinem Lo-Fi-Projekt Daily Worker hat Cotton Mather-Gitarrist („and prize winning poet“) Harold Whit Williams namenstechnisch die vergangenen Monate alle Ehre gemacht und hochfrequenter als ohnedies bereits im Akkord veröffentlicht.
Und mag er in diesem Arbeitsrausch auch kein ansprechenderes Artwork als jenes von – dem mit Cheapo-Keyboard-Flimmern mitunter auch zum Wave gerichteten, dann wieder zum Blues schielenden und samt Punk-Übung in Summe sicher mehr Bandbreite zeigenden – Burn It All Down (Songs for Corey) vorgelegt haben, bietet Autofiction anhand zehn ausnahmslos schmissiger kleiner Hits und Ohrwürmer die entwaffnendste Gelegenheit, um sich in Williams kurzerhand selbst in die Wirklichkeit umgesetzt habenden Wunschtraum zu verlieben, wie es wohl geklungen hätte, wenn sich Wilco zwischen Star Wars und Schmilco mit Ty Segall daran gemacht hätten, eine fiktive Beatles-Platte aufzunehmen, die ungefähr vor George Harrissons erster Reise nach Indien stattfände.
32. Swarrrm – 焦がせ -Kogase-
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Dass niemand, wirklich niemand Grindcore derart absurd und weit weg vom Grindcore interpretiert wie die Band aus Kobe, muss man zwei Jahre nach I Dreamed und fünf nach Beginning to Break wohl nicht mehr extra erwähnen.Dass Swarrrm aber auch auf ihrem siebenten Album noch Ausdrucksformen für ihren Weirdo-Appeal finden, die in ihrer exzentrisch überdrehten Kreativität einmal mehr überraschen soll dann schon hervorgehoben werden.
Da purzelt Kogase mal in Schieflage durch eine Art schunkelnde Red Hot Chili Peppers-Lounge samt chilligem Solo, erwägt mitgröhlbare Bar-Szenarien oder croont pathetisch vom leisetretenden Schmalz zur Chaos-Attacke, entscheidet den grotesken Leidenschafts-Spießrutenlauf aber für eine Art Ohrwurm, bevor 青い花 mit gequetschtem Kehlkopf zur Stadion-Animation stampft.
In einem stärkeren Zug zum rumpelnden Avantgarde-Punkrock stürzen sich Swarrrm dabei wie gewohnt im Vorbeihetzen auf eingängige Szenen, doch waren sie dabei selten so straight wie in 青い花 oder leicht nachvollziehbar strukturiert wie in カケラ, wo wohl sowas wie die mathy Indierock-Vision der Band entworfen wird.
Richtig gut wird das alles aber auch dadurch, dass Kogase deutlich besseren Sound hat, als die meisten seiner Vorgänger jüngeren Datums.
31. Harp – Albion
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Tim Smiths Stimme zu hören, ist wie in einen nebelverhangenen Zeittunnel zu einer mystischen, naturalistisch in wehmütiger Unschärfe der Schwermut liegende Vergangenheit zu steigen. Es ist durch Albion aber auch eine Demonstration dessen, was Smiths ehemalige Band Midlake seit über einem Jahrzehnt vermissen lässt und alleine nicht aufwiegen kann. Es ist insofern wohl kein Zufall, dass ein Song dieses Solo-Debüts nun den Titel Seven Long Suns trägt – auf diesen Namen sollte dereinst das niemals mit Smith fertiggestellte vierte Studioalbum der Texaner hören.
Für Harp ist Smith (unterstützt von seiner Frau Kathi Zung, die neben dem allgemeinen Entstehungsprozess für die Programmierung der Drums verantwortlich zeichnet; zwei Einspielungen vom ehemaligen Midlake-Bassist Paul Alexander sowie einem elektrifizierten Solo von Hollow Hand-Gitarrist Max Kinghorn-Mills) selbst jedenfalls angekommen. In einem mittelalterlichen Britannien, das jenseits von The Courage of Others Faith von The Cure als Nationalhymne auserkoren hat. Das lässt hinter herausragenden Stücken wie Daughters of Albion endlich Frieden mit Smiths Ausstieg bei Midlake finden.
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