Bobby Krlic – Midsommar

von am 8. Juli 2019 in Soundtrack

Bobby Krlic – Midsommar

Dass Bobby Krlic die Arbeit zu Midsommar nicht unter seinem The Haxan Cloak-Banner veröffentlicht, macht schon Sinn. Mittlerweile hat sich der Engländer eben weit von den industriell-ambienten Klangwelten seines Alias in Richtung malerisch-strukturoffener Score-Kosmen jenseits der Elektronik verabschiedet.


Eine Reise, die den Produzent von unter anderem LUH, Björk oder The Body über Kooperationen mit Leopold und Atticus Ross als Soundtrackkomponist für Projekte wie Blackhat, Triple 9 oder Almost Holy nun zu seinem ersten Alleingang im Film-Metier in die Fänge des eigenwilligen Horror-Spezialisten Ari Aster geführt hat – führen musste sogar: Das Script zu Midsommar hatte dieser überhaupt erst mit dem bisher letzten The Haxan Cloak-Album Excavation (2013) als Kopfkino-Begleitung geschrieben.
Weswegen es auch nach Asters Durchbruch 2018 niemand anderen als Krlic geben durfte, der seinen zweiten Langfilm musikalisch untermalen sollte. Wofür Krlic natürlich in große Fußstapfen zu treten hatte, denn wir erinnern uns: Zum triumphalen Hereditary schuf im vergangenen Jahr ja Experte Colin Stetson einen delirianten Fiebertraum von einer neben der Spur fantasierenden Meditation.

Während die Kritiken zu Midsommar im Gegensatz zum allgemein gefeierten Hereditary nun weit auseinandergehen und polarisieren (eben dadurch aber auch abermals keinen austauschbaren Baukasten-Genrefilm versprechen), lassen sich selten aber doch durchaus noch Anknüpfungspunkte in den musikalischen Motiven zwischen den beiden Werken finden. Es gefällt Aster bekanntlich, wenn beispielsweise wie in Ritual in Transfigured Time oder Hålsingland das Grauen keimt, kurz vor dem finalen Ausbruch aber die irritierend zurücklassende Stille platzt, vor dem Schnitt in die nächste Szene das Nichts steht. Man begegnet diesem Stilmittel deswegen auch auf Midsommar.
Grundlegend wählt Krilic allerdings einen allgemein anderen Ansatz als Stetson, alleine instrumental, wie er eklärt: „There’s a lot of electronic textures that I made with tape loops and I wanted it to have echoes of musique concrète. Then there’s a 16-piece orchestra with double bass, cello, viola and violins and we recorded all of that at AIR Studios. They would take all of these experiments that I’d been doing with tape. I was taking strings that I’d made at home and putting them to tape and kind of bending all of the pitches of them to the picture and they would take it and replay it and they’d also replay a lot of the electronics that I’d done with strings.
Aber auch sonst orchestriert er das Wesen seiner Midsommar-Platte unorthodox, konstruiert ein ganzheitliches Gefüge: „I didn’t want it to be just 20 cues from the film as they appear in the film in sequence. What I wanted to do was be able to tell the story and offer some insights in to the film that you might not get from just watching the film alone. There are pieces that extend longer than they do in the film, there are extra melodic passages and the whole thing is mixed differently. I wanted the soundtrack to take you on as much of an enveloping journey as the film does.

Das Ergebnis ist ein erstaunliches, bisweilen auch ziemlich unkonventionelles gar – in Form und Inhalt. Wo das überspannende Narrativ Midsommar tatsächlich eher wie ein Album-Album auftreten lässt, widersetzt sich Krlic ästhetisch nämlich immer wieder den gängigen Normen und Erwartungshaltungen, wie ein klassischer Horrorfilm-Soundtrack zu funktionieren hat.
Zwar prägt ein allgegenwärtiges Unbehagen die Klanglandschaften, scheint das dräuende Unglück hinter jeder Ecke lauern zu können. Doch gibt es neben einigen Ausnahmen (wie dem ohne Panik klampfenden Suspence gleich zu Beginn in Gassed, dem atonal-diffusen Chor im zum schmerzhaften Lustspiel gesteigerten Doppel aus Chorus of Sirens und A Language of Sex sowie dem Richtung skizziertem Entsetzen kippenden Hårga, Collapsing hinten raus) kaum mit klassischen Mustern die nervenkitzelnde Spannung intensivierende Szenen, praktisch keine handfesten bedrohliche Verdichtungen, wie man sie aus typischen Genre-Vertretern kennt.
Midsommar ist stattdessen über weite Strecken trotz seiner ins Ungewisse ziehenden Beklemmung immer wieder verdächtig zugänglich und vergleichsweise friedlich geraten, wiegt in eine harmonische Sicherheit und lässt die angsteinflößende Atmosphäre nur gedeihen – niemals wirklich schwerelos, aber selten düster und bedrohlich.
Währenddessen artikulieren Nummern wie die träumende Grandezza The House That Hårga Built (samt perfidem Terror-Twist nach seinem Sonnenaufgang), das versöhnlich aus dem Piano tröpfelnde Murder (Mystery) oder das in hoffnungsvollen Arrangements geschmiegte The Blessing sogar ganz offenkundig eine irritierende Wohltat, sind erhebend emporsteigende Grazien.

Das Gefühl ist nicht gut, man glaubt wachsam bleiben zu müssen, bevor etwas schreckliches passieren könnte – aber man fühlt sich andererseits eigentlich auch ständig zu willkommen, um nicht auf das in Aussicht gestellte Happy End zu vertrauen.
Spätestens wenn das überragende Finale Fire Temple über knapp zehn Minuten sogar förmlich in einer gleißend schwelgenden Schönheit badet, gelöste Zuversicht zu spenden scheint, hat der Score zu Midsommar nur wenig von einer per se typischen Horrorfilm-Musik, sondern könnte problemlos auch eine optimistische, anachronistische Romanze untermalen – es beginnt mit Prophesy ja sogar alles wie ein leise in den Wahnsinn schlitterndes, folkloristisches Märchen.
Man wird diesen Zugang eventuell auch deutlicher im Hinterkopf behalten, als etwaige griffige melodische Motive oder explizite Augenblicke der versammelten 41 Minuten, wo Krlic seinen Kollegen Stetson im internen Aster-Rennen wohl auch nicht zwangsläufig überholen kann. Allerdings gelingt ihm nicht nur im Kontext betrachtet eine erstaunliche Arbeit, die durchaus erklärt, warum der Soundbastler hier von seiner bisher erfüllendsten Arbeit spricht. Als Fan würde man halt langsam auch gerne einmal hören, wie sich all diese Erfahrungen auf das Wesen von The Haxan Cloak auswirken.

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