Chat Pile – God’s Country

von am 11. August 2022 in Album

Chat Pile – God’s Country

Nach zwei grandiosen EPs hat spätestens das Zusammentreffen mit Portrayal of Guilt den Hype um das erste Studioalbum von Chat Pile in enorme Höhen getrieben. God’s Country hält diesem Erwartungsdruck nun weitestgehend stand.

Obwohl gerade Remove Your Skin Please die Daumenschrauben der Erwartungshaltung schon ziemlich hoch angedreht hat, spürt man einfach, dass sich die Band aus Oklahoma ihrer Nischen-Sache mit einer unverrückbaren Selbstverständlichkeit sicher ist – sie provoziert etwas ebenso hungriges wie abgeklärtes. In einer ständigen inneren Unruhe haben Chat Pile jedenfalls früh so formvollendet ganz bei sich selbst angekommen ihren eigenen eklektischen Charakter ausgebrütet, und nehmen dieses Momentum auf dem Debütalbum nun neunmal in asozialer Misanthropie mit – schlendern in der Planierraupe durch ein realdystopisches God’s Country, um einen garstigen Hybrid aus Noiserock, Sludge und Industrial, einen Bastard zwischen Nirvana, Godflesh und Jesus Lizard, zu gebähren, dessen Ästhetik und Songwriting so dreckig kasteiend ist, das es einer erfüllenden Katharsis gleichkommt. Schuld und Sühne bleiben Motor, Antrieb und Wirkung gleichermaßen, kein Entrinnen: „If we could only fly away now/ …/ And there is no escape/ No motherfucking exit/ Hammers and grease/ Pounding/ And the sad eyes, goddamnit/ And the screaming/ There’s more screaming than you’d think“ heißt es gleich zu Beginn in Slaughterhouse repräsentativ.

Dort packen Chat Pile gleich mal die Ellenbogen aus, um sich in der Kampfzone von Metz, Alexis Marshall und The Body martialisch hämmernd Raum zu verschaffen. Raygun Busch aka Randy Rulz skandiert auf der Rasierklinge der Lethargie im psychotischen Rezitieren. Atonal und dissonant schrammt der Rock, als würde er unter einer Treibhaus-Glocke giftiges Gas schappatmen, während Cap’n Ron (drums), Stin (bass) und Luther Manhole (guitar) ein plättendes Volumen aus minimalistischem, spartanischem Handwerk erzeugen, das stoisch flehend und eindringlich beschwörend irgendwo mit betäubender Intensität drangsaliert.
Why waltz postapokalyptisch über ein griffiges Gitarren-Muster und eine immer noch tonnenschwer nihilistische Rhythmussektion, ist eine ausrufende Spoken Word-Anklage ohne Fragezeichen im Titel, freilich an die Gesellschaft und nicht an Obdachlose, ein zynischer geistiger Verwandter von Eyehategods Everything, Everyday. Der postmoderne Retrofuturismus von Pamela peinigt dagegen atmosphärischer und kontemplativer, setzt eine besoffene Melancholie neben die Spur schizoider, finsterer Ecken des Grunge, trägt den Schmerz des Verlustes. Dass die Trance einer phlegmatisch Depression trotzdem rgendwie catchy und, nun ja, romantisch (Wonder if all this pain I carry is/ Strong enough to lift your body from the water/ And make you be alive again/ I think stupid things like this all the time, but/ I would gladly trade my life for yours/ If only the water could bargain/ If only they had been watching/ I can’t turn back, only face forward, but/ …/ So, I stare at the lake/ Biding my time/ Waiting to die) ist, ist nicht grotesk, sondern aufwühlend tragisch!

Für Wicked Puppy Dance schnallt die Band rostigen Stacheldraht um den Punkrock im hämmernden Tempo und kalten Klang, bringt das Distanzgefühl endgültig aus der Fassung und öffnet im Gesamtverlauf der Dynamik energischer das Ventil, growlt hinten fast am Death, entscheidet sich dann aber doch für unbequeme ambiente Soundscapes. Der Industrial Grunge von Anywhere bekommt einen hymnischen Synth-Anstrich vor der melodischen Einkehr – Marke: Silverchair und Vitro tragen Heart Shaped Box als Magengeschwür aus? – und taucht an, um auf Autopilot nach vorne dahin zu kurbel, traumwandelnd in bösen Gedanken versunken. Der Schweine-Rock von Tropical Beaches, Inc. ist eine hibbelige Hatz, die mit Korn(!)‘schem Groove tief gestimmt slapt – eine überraschende Assoziation, die besonders in diesem Schraubstock eines Abgangs besonders zur Geltung kommt. Naheliegender ist da schon, dass The Mask eine Adaption von Radio Friendly Unit Shifter von Young Widows sein könnte – dabei aber primär ein ganz eigenes Ding durchzieht.
I Don’t Care If I Burn ist insofern auch die einzige wirkliche Phase zum Durchatmen. Die  sorgenvolle Ruhe vor dem Sturm klopft in der Dunkelheit am Korpus, während die Elektroden unter Strom gesetzt knistern und das Fell längst über die Ohren gezogen wurde – quasi eine Acoustic Ballade, nur eben ohne Acoustic. „Just lookin for some peace“ kotzt die Mörderfantasie ihren innigsten Wunsch heraus, doch stattdessen braut das Konglomerat grimace_smoking_weed.jpegalle plakative Tugenden und verdorbenen Eigenschaften der Platte noch einmal ausgewalzt auf, suhlt sich im doomigen Feedback einer wärmenden Drone-Kakophonie, einer nicht ungefälligen Anti-Komfortzone, und macht keinen Hehl daraus, dass die bittere Pille God’s Country auf unterhaltsame Weise gar nicht so schwer zu schlucken ist.

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