Grimes – Art Angels

von am 23. November 2015 in Album

Grimes – Art Angels

Erfindet sich Claire Elise Boucher auf ihrem vierten Grimes-Album als perfektioniertes Wunderwesen der Pitchfork-Zielgruppen-Popmusik neu, oder wagt sie sich mit ‚Art Angels‚ gar an den Beweis, dass zeitgenössischer, kommerziell orientierter Formatradio-Mainstream durchaus seinen eigenwilligen Charakter haben kann?

Die Wahrheit liegt letztendlich wohl irgendwo dazwischen, steht aber im Grunde ohnedies hinter der durchaus überraschenden Konsequenz, mit der Grimes ihren auf ‚Visions‚ noch so leicht verquer neben der Spur experimentierenden Synthie- und Elektropop auf ‚Art Angels‚ in absolut eingängige und schlichtweg massentaugliche Konturen transformiert hat. Wenn Rihanna ihre Songs nicht nutzen möchte, kann Claire Boucher die waschechten Hits also auch selber inszenieren, offenbar nichts leichter als das: Die 27 Jährige Kanadierin montiert ‚Art Angels‚ zu einer trotzig den Moment feiernden, maßgeschneidert auf den Punkt zielenden Cosplay-Party, die den Ohrwürmern der aktuellen Zeitgeist-Definniererinnen wie FKA Twigs oder Sky Ferreira in den besten Momenten sogar hartnäckig um die Naselänge davongallopiert. Nach dem kindlich verspielten ‚Laughing and not Being Normal‚ mit seinen ausgelassenden Orchestergrundierungen katapultiert Boucher die Sachlage nach dem schwer zu fassenden ‚Visions‚ jedenfalls kurzerhand auf den handfesten Boden der Tatsachen zurück – und nicht selten ist das für sie im Jahr 2015 eben die Tanzfläche.

Schon das mit Handclaps über wummernde Bässe tänzelnde ‚California‚ ist als gefühltes Mash-Up zwischen Vampire Weekend und Miguel praktisch die tongewordene Entsprechung des Regenbogen-kotzenden Einhorns – leichtfüßig, überdreht, niedlich, farbenprächtig und so unbedingt catchy, dass man sich den Hooks und Melodien kaum entziehen kann. „And you’ll never get sad and you’ll never get sick/ And you’ll never get weak/In the Belly of the Beat/ Yeah!“ singt Grimes später im betont unangestrengt mit Akustikgitarre über seinen pumpenden Beat surfende Glanzstück ‚Belly of the Beat‚ und formuliert damit das Credo von ‚Art Angels‚, diesem ausgelassenen Wunderkasten an potentiellen Zielgruppen-Killersongs. Zwingender als im smart zum Indierock die Hüften wackeln lassenden ‚Flesh without Blood‚ wird 2.o-Pop jedenfalls nicht so bald werden, das dürften auch die Haim-Schwestern neidlos anerkennen, während sie frohlockend auf die funky Fingerübung ‚Artangels‚ blicken.

Grimes hat ihr stilistisches Spektrum erweitert, die dunkel schimmernden Introspektion von ‚Visions‚ exaltiert und selbstbewusst auftretend nach außen gekehrt. Mit jeder voranschreitenden Minute, jedem sattmachenderen Durchgang wird allerdings auch klar: Bei einer derart lebendig blinkenden und fiependen Farbpalette tun sich hinter der von Alleskönnerin Grimes jeder millionenschweren High-End-Maschinerie den Finger zeigenden Fassade doch auch Schattenseiten auf, mag die Politur auch nuch so triumphal verarbeitetet sein. Selbst eine auf lose zurückgenommene Klavierakkorde gebaute R&B-Nummer wie das die Platte entschleunigende ‚Easily‚ bleibt textlich flach, ein ‚Pin‚ bietet sich ziemlich beliebig konstruiert an, wo ‚Art Angels‚ spätestens in seinem letzten Viertel Spielzeit  ohnedies gefälligen Unterhaltungswert über jedwede nachhaltig wirkende Substanz stellt – daran ändert auch der mit Janelle Monàe wunderbar harmonierende Bouncer ‚Venus Fly‚ wenig.
Um sich gar zu bereitwillig im 0815-Einheitsplastikbrei feilzubieten, schießt zwar bereits ‚SCREAM‚  mitsamt der rappenden Taiwanesin Aristophanes, einer bellend-brüllenden Grimes sowie nervtötendenden M.I.A.-Brechstangentrillerpfeife über den gängigen Konsens aneckend hinaus. Auch ‚Kill V. Maim‚ ist gleichermaßen noch so ein Paradebeispiel für die Fülle an aufgefahrenen Ausnahmesingles, der seine Funktion als clubtauglicher Smasher wegen der gewohnt gewöhnungsbedürtig hochgepitchen Quietschestimme Bouchers nicht bedingungslos offenbart – aber durch die rundum auf Hochglanz polierte Produktion kann die Nummer in ihrer Zuckerwatten-Cheerleader-Ausstrahlung wie generell  weite Passagen von ‚Art Angels‚ einfach zu glatt daherkommen. Auch die handzahm an Trendsounds angepasste Vorabnummer ‚Realiti‚ verliert im Albumkontext zugunsten einer umgänglicheren Verdaulichkeit an Biss und Dynamik, schärft aber dafür den Sinn für weniger gleichförmige Strukturen und Harmonien. Man darf deswegen wohl durchaus von einer an der öffentlichen Meinung ausgerichteten Neuerfindung Bouchers sprechen, auch wenn diese im Zurücklassen ihrer mystischen Atmosphäre keine Anbiederung sehen möchte.
If you’re looking for a dream girl/ I’ll never be your dream girl/ Living in the real world“ kokettiert Grimes deswegen im abschließenden ‚Butterfly‚, positioniert sich allerdings letztendlich absolut nicht derart subversiv zwischen den Fronten von Indie und Mainstream, wie es die Kanadierin mutmaßlich bezweckt hat. Nicht nur Liebhabern erstklassiger Popsongs wird das ungeachtet der Verortung freilich ohnedies herzlich egal sein.

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