Holy Esque – At Hope’s Ravine
So lange sich Holy Esque nach den ersten vielversprechenden Veröffentlichungen 2012 mit ihrem Debütalbum auch Zeit gelassen haben mögen: Pathosschwer in die Breite gezogenen Indierock beherrschen die Schotten anstandslos.
Wüsste man nicht, dass der ehemalige WU LYF-Frontmann James Ellery Roberts nach wie vor damit beschäftigt ist auf weitere Lebenszeichen seiner neuen Majuskel-Akronym-
Tatsächlich gehört die so bekannt klingende, heißer krächzende, flehend predigende und unter den hoch geschichteten Gitarren/Synthiewänden von Holy Esque fiebrig vibrierende Stimme hier aber Pat Hynes. Dieser hat seine Lektionen sicher auch bei den beschwörenden, zitternden Tänzen von Clap Your Hands Say Yeah-Frontmann Alec Ounsworth gelernt, beschwört sein polarisierendes Organ im Grunde aber dann doch zu beinahe jeder Sekunde wie der verloren gegangene Ziehsohn von Roberts. Dass dieser die Newcomer aus Glasgow bereits im Vorprogramm der kurzlebigen WU LYF mit auf Tour nahm erscheint im Rückblick insofern nur logisch, und mag zudem die dringliche Leidenschaft und stetig unter Spannung stehende Intensität der Performance durchaus mitgeprägt haben, die auch Holy Esque in ihrem eklektischen Gebräu ausstrahlen. Das schottische Quartett erweist sich jedoch auch darüber hinaus als gelehrige Schüler. Denn wo Hynes stimmlich nicht mit Anlehnungen spart, machen Holy Esque generell kein Geheimnis um die Referenzen ihrer musikalischen Sozialisierung.
Die Synthies glimmern düster und massiv brodelnd unter dem drückenden Bass und über der präsent anziehenden Rhytmusarbeit; das melodieverliebte Gitarrenspiel arbeitet feingliedrig und scharfkantig über den flächigen, assoziativ ausstrahlenden Klang der Band. ‚At Hope’s Ravine‚ fasziniert mit kühler Distanz, pulsiert vor jener packenden, soundtechnisch so dicht gestaffelte Dramatik, die schottische Bands mit der Muttermilch aufzusaugen scheinen. Zu Kollegen wie The Twilight Sad oder Frightened Rabbit trennen Holy Esque kaum Kilometer auf der Landkarte und noch weniger Distanz in der stilistischen Verortung, den luzid funkelnden, geerbten Gitarrensound der irischen Kollegen JJ72 und die bedrohliche Schönheit der Editors verwebt das Quartett ohne Energieverlust in eine dynamisch den kulminierten Amalgamsound durchdeklinierenden Bandbreite.
Das wummernd stacksende, episch und hypnotisch auf die Tanzfläche halluzinierende ‚Rose‚ bleibt mit seiner zwingenden Rhythmik und den schiebenden Gitarren auch in der Neuaufnahme ein unerbittlicher Killertrack und der größte Hit der Platte – doch potent-himmelstürmende Singles erscheinen hier eher wie ein Nebenprodukt des großen Ganzen. Die 80er-Synthiefelder in ‚Hexx‚ öffnen sich stattdessen etwa für eine kristalline Neonlichtung, wohingegen ‚Tear‚ das Hymnische ähnlich anpackend wie We Were Promised Jetpacks fokussiert. ‚My Wilderness‚ verstellt sein Tempo stufenlos und obwohl die finalen „Ohoho„-Gesänge etwas uninspiriert aufgehen untergraben sie das Muster, dass Holy Esque-Songs in ihrer Getriebenheit nur selten eine erst einmal eingeschlagene Gangart ändern, und sich mit einer gewissen Vorhersehbarkeit ihrem Ziel entgegenzujagen.
Überhaupt fällt auf, dass ‚At Hope’s Ravine‚ immer dann am stärksten ist, wenn sich seine Einzelstücke nicht zu stringent und kompakt aufbereitet präsentieren. Etwa wenn sich das elegant in den Hall drönende ‚Covenant ((Ill))‚ tief in die fesselnde Stimmung zurücklehnt oder auch der abschließende Titelsong ohne Eile die nötige Zeit bekommt, um seine stoische Haltung in zurückhaltender Ruhe und Nachdenklichkeit zu destillieren.
Denn Holy Esque schreiben Songs, die Raum und Zeit benötigen, um sich restlos entfalten zu können – letzteres gesteht die Band ihrem Debütalbum aber nur bedingt zu. Das nach vorne gehende ‚Silences‚ dürfte beispielsweise die No Devotion-Qualitätskontrolle mühelos passieren, zumal die postrockig flimmernden Tremolo-Gitarren einfach ausgezeichnet auftrumpfen; wie schon das gewaltig brodelnde, aber zu unmittelbar und ungenügend demonstrativ aufgelöste ‚Prism‚ wirkt die Nummer für sich genommen aber zu früh abgewürgt. Auch das mysteriös in Lauerstellung gackernde und krähende ‚Strange‚ beendet seine Konzentration abrupt und ohne den nötigen Auslauf im Abgang.
Das sind dann die Momente die einerseits andeuten, dass ein Großteil des hier versammelten Materials live wohl noch besser zünden könnte, sofern es ausführlicher und exzessiver zelebriert wird, und andererseits das Aufzeigen, dass Holy Esque es auf einem nichtsdestotrotz majestätischen Tonträger bei zu detailierter Betrachtung ein wenig verabsäumt haben, die Verbindungsbrücken zwischen den Songs nahtloser auszuarbeiten.
Eine atmosphärisch und stilistisch derart unverrückbar definiert agierenden Band stünde ein monolithisches Ganzes ohne Sollbruchstellen deutlich besser, zumal es die übermannende, auslaugende Wirkung des starken Songwritings potenzieren würde. Nahe der Formvollendung ist das alles dann aber ohnedies bereits auf ‚At Hope’s Ravine‚ nachzuhören: Wenn das melancholisch verträumt perlende ‚Doll House‚ wie Glasvegas (die auf ihrem famosen, danach aber unerreicht bleibenden Erstling ja einen ebenso ausformulierten Sound vorweisen konnten wie Holy Esque es ebenfalls bereits tun) in Nostalgie zerfließt hat das mit über 5 Minuten nicht nur die Spielzeit bekommen, damit man sich restlos in den Song verlieren kann, sondern ruft das Potential der Band auch ergiebiger ab und lässt den majestätischen Albumfluss mit mehr hintergründiger Substanz anschwellen.
Doch nicht nur hier entwickelt die Platte eine verschlingende Sogwirkung und steigert sich mit weiten Spannungsbögen und eng gesteckten Abfahrten in einen betörenden, regelrecht postrockigen Rausch.
Ungeachtet einiger kleiner Kinderkrankheiten erfüllt ‚At Hope’s Ravine“ die hohen Erwartungshaltungen mit beeindruckender Konsequenz, löst gegebene Versprechen mühelos ein. Dass Holy Esque ohne Plagiatsvorwürfe zu provozieren ein potentielles Lieblingsalbum für Fans aller auf der Inspirationsliste aufgefahrenen Bands liefern ist dennoch nur die halbe Wahrheit, denn es lässt sich anhand dieser 46 Minuten bereits jetzt orakeln: Schottland – und im weiteren Sinn die Indiewelt als sich – ist hiermit um eine große Band reicher.
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