Interview: Old Lines
Old Lines sind die neue Band von Mitchell Roemer, schon klar. Das Quartett aus Baltimore aber rein auf die prägenden Arbeiten des Gitarristen bei Ruiner und vor allem Pulling Teeth zu reduzieren, würde angesichts eines fulminanten Einstands wie ‚الشعب يريد إسقاط النظام‘ jedoch allen Beteiligen – namentlich Roemer, Jake Berry, Matt Taylor und Patrick Martin – Unrecht tun. Denn auf den Errungenschaften der Vergangenheit will sich hier niemand ausruhen: viel eher brennen Old Lines auch ohne Label, Vertrieb – oder im geringsten – Bandfotos darauf, ihre Botschaften in die Welt zu tragen.
Heavypop: Könnt ihr uns ein bisschen was darüber erzählen, wie es zu Old Lines kam?
Mitch: „Als Band gibt es Old Lines jetzt seit ungefähr zwei Jahren. Ich habe die Band damals mit unsern Drummer Jake Berry im November 2013 gegründet, danach probierten wir fünf bis sechs verschiedene Konstellationen aus, bevor wir überhaupt an dem Punkt waren ein Album aufzunehmen oder Shows zu spielen. Das alles war ein ziemlicher Krampf, aber auch alle Mühen wert, weil ich persönlich noch niemals glücklicher mit irgendeiner anderen Platte war, an deren Entstehung ich beteiligt war. Nichts davon wäre aber möglich gewesen ohne all die Zeit, die jeder einzelne investiert hat, der mit dieser Band zu tun hat. Aber da gibt’s auch zu viele schmutzige Details über die ich dir nichts erzählen kann, sorry!“
Ich kann mir vorstellen, dass ihr eine ziemlich solide Fanbasis allein wegen Ruiner und Pulling Teeth habt – aber dann erscheint alles an Old Lines – allein der Verkauf eurer Platte ausschließlich über eure Bandcamp – ziemlich DIY. Ist diese Band in dieser für dich auch eine Reise zurück zu deinen Wurzeln?
Mitch: „Das kann man vielleicht so sehen, aber selbst mit der Hilfe eines Label wären die Dinge deswegen nicht gleich immer leichter. Mit größeren Labels kämen auch größere Erwartungen und Zugeständnisse beim Touren, Aufnahme-Deadlines, Scheiß-Verträge und so weiter. Wie auch immer, ich will damit nicht sagen, dass jedes Label mit dem ich bisher die Freude hatte zusammenzuarbeiten eine große böse Geldmaschineri gewesen wäre. Es ist diesmal halt einfach mal angenehm, sich Zeit nehmen zu können und so an etwas zu arbeiten, auf das man wirklich stolz sein kann.
Was die Sache mit unserer „Fanbase“ angeht, ich weiß nicht…ich bin immer wieder überrascht positive Rückmeldungen von Leuten zu bekommen, die unsere Platte gehört haben oder sonst irgendeine, auf der ich mal gespielt habe. Nichts kann dabei das Gefühl beschreiben, Menschen aus anderen Ländern zu begegnen, die einen weiten Weg auf sich genommen haben, um deine Band spielen zu sehen. Das ist verrückt, vor allem wenn etwa der Schlagzeuger von Sigur Ròs auf einer deiner Shows auftaucht und plötzlich darum bittet, dass du im eine Platte signierst. Da fiel mir die Kinnlade erst einmal runter….!“
Wenn wir schon von der Vergangenheit sprechen: wie reagieren denn „Langzeitfans“, die du praktisch von deinen alten Bands zu Old Lines mitgebracht hast live auf das neue Material?
Mitch:“Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, aber wir haben bisher ja nur ein paar Shows gespielt. Ich hoffe natürlich, das diejenigen, die meine Arbeiten in den letzten Jahren zu schätzen wussten auch Spaß an dieser neuen Band haben werden, aber damit befasse ich mich eigentlich nicht wirklich. Uns geht es eben nur darum Platten rauszubringen, auf die wir stolz sein können. Wenn das jeder toll findet, super. Wenn das jeder scheiße findet – ist es mir auch nur recht.„
Apropos Live-Shows: Wann werden eure Fans in Europa denn die Möglichkeit haben euch auf der Bühne zu sehen?
Matt: „Hoffentlich bald! Wir haben und schon oft darüber unterhalten, dass wir versuchen sollten nach Europa zu kommen, es ist eben nur verdammt schwierig mit all den Verpflichtungen die wir haben, auch eine Geldsache und so weiter. Aber es ist definitiv ein Ziel von uns, das wir lieber früher als später in Angriff nehmen würden. Ich hatte immer eine tolle Zeit auf Reisen – außerdem sind die Biere bei euch einfach großer!“
Mitch: „Wenn wir je die Chance bekommen rüberzufliegen um ein paar Shows zu spielen, könnte das gar nicht bald genug passieren. Ich liebe es, durch Europa zu reisen, Menschen kennenzulernen bzw. alte Bekannte wiederzusehen. Das ist jedesmal eine unbezahlbare Erfahrung.„
Schlagwort „Zukunftsziele“?
Matt: „Das Album war für sehr lange Zeit unser absolutes Hauptziel, dass es sich nun beinahe komisch anfühlt, es fertig zu haben. Der Fokus liegt nun denke ich darauf, aus der Stadt rauszukommen, mehr Shows zu spielen, neues Material zu schreiben. Und eben Europa.„
Mitch: „Liebes Europa! Wenn irgendwer uns bei einer Europa Tournee helfen wollen würde – habt keine Angst euch zu melden!„
Vom Albumtitel bis zum Artwork: man kann euch sicher als politische Band bezeichnen, oder? Aber so düster, um nicht zu sagen hoffnungslos ‚الشعب يريد إسقاط النظام ‚ musikalisch wie textlich ausgefallen ist muss man sich schon fragen: kann eine Band heutzutage überhaupt diesbezüglich irgendetwas bewirken?
Matt: „Ich würde natürlich sagen, wie sind eine politische Band, absolut. Einer der Punkte, die für mich persönlich an Punkrock immer am wichtigsten waren ist der, ist die Möglichkeit Einfluss auf die Menschen nehmen zu können. Das Album ist düster, weil wir nun einmal in düsteren Zeiten leben. Ich glaube nicht, dass ich soweit gehen würde es als „hoffnungslos“ zu bezeichnen, aber viel fehlt dazu wohl nicht. Ich denke, unsere Botschaft ist viel mehr ein dringender Aufruf umzudenken, und wir uns Ignoranz einfach nicht mehr leisten können. Die Erde stirbt, Menschen sterben, Tiere sterben – alles unter dem Banner des Kapitalismus, direkt vor unseren Augen. Mit der Zeit wurde alles immer schlimmer und im Moment kommt es mir so vor, als würde uns allen das Wasser wirklich schon bis zum Hals stehen. Firmen drehen durch, völlig unkontrolliert. Religionen schicken Menschen gehirngewaschen in Kriege. Aktivisten werden als Terroristen gebrandmarkt. Was muss passieren, dass die Menschheit endlich aufwacht? Werden wir uns dafür entscheiden zu sagen „wir nehmen all diesen Scheiß nicht mehr hin!“ oder apathisch dasitzen und dabei zusehen, wie alles um uns zu Asche zerfällt?
Eine der großartigen Dinge in einer Band zu sein ist eben der, all diesen Gedanken Ausdruck verleihen zu können. Du hast 20 Minuten und eine Bühne, und kannst all deinen Ärger aus dir rausschreien. Vielleicht erreichst du dabei jemanden und kannst ihn anregen über Dinge nachzudenken, an den er bisher noch keinen Gedanken verschwendet hat. Oder du erreichst Leute denen du zeigst, dass sie nicht alleine sind. Oder inspirierst andere dazu, aktiver zu werden. Alles beginnt damit Ideen auszutauschen und sich zu unterhalten, aber es ist auch wichtig zu realisieren, dass reden alleine einfach nicht mehr genug ist. Wir müssen für uns und unser Umfeld aufstehen!„
Könnt ihr einstweilen ein bisschen was über das Artwork und den Albumtitel erzählen?
Matt: „Der Titel stammt von einem Slogan aus dem Arabischen Frühling. Wir alle haben uns ziemlich inspiriert gefühlt von dieser Masse an Menschen, die in die Proteste involviert waren und vor allem der Macht, die sie als vereinigte Gruppe plötzlich hatten. Es ist einfach unglaublich zu sehen, was Menschen erreichen können, wenn sie zusammenarbeiten. Wir wollten uns diese Ideale für unsere westliche Welt und Kultur aneignen und sie so auch für unsere Leben relevant machen.„
Wie kann man sich den Songwriting-Prozess dabei vorstellen?
Mitch: „Also das folgt jetzt keiner bestimmten Formel, bei der man sich Berge von Drogen reinpfeifen muß oder irgend so ein Schwachsinn. Ich sitze meistens einfach herum, spiele Gitarre für mich selbst und vielleicht entsteht dabei ja ein Riff, das ich dann zur nächsten Probe mitnehmen kann um zu sehen, ob Jake es mag. Oder Jake spielt etwas auf dem Schlagzeug und ich schreibe dann was dazu passendes. Für mich besteht der einzige Unterschied zu meinen bisherigen Bands hierbei darin, dass ich diesmal eben der einzige Gitarrenspieler bin, was eine ziemliche Herausforderung ist. Aber ich liebe es!„
Zum Abschluß noch eine Frage über den ersten Song auf eurem Album, der ja einem gewissen „Tim“ gewidmet ist….aber wer ist denn nun „Tim“?
Matt: „Tim ist nur so ein Typ, der mir in meinem bisherigen Leben hier und da über den Weg gelaufen ist und mit der Zeit zu sowas wie einem Symbol für alles geworden, wogegen ich stehe. Nämlich ein geschwätziger, religiöser Homophober aus der rechten Ecke. Der immer am lautesten geschrien hat, aber am wenigsten kapiert. Einer von jener Art, die wohl in so ziemlich jeder Stadt leben, mit denen manirgendwann zwangsweise das Vergnügen hatte, schon mal reden zu müssen. Kein Mitgefühl. Keine Liebe. Keine Ahnung von Gleichheit oder zumindest dem Verlangen all das verstehen zu wollen. Nur selbstbezogener, egomanischer Bullshit, der niemandem nützt, genau genommen nicht einmal ihm selbst. Aber sogar dafür ist er zu ignorant, um das zu kapieren.
Ich schrieb die Texte zu dem Song nachdem ich eine seiner „Gegen Schwule, für Chick-fil-A: Gott schütze Amerika, wenn’s euch nicht passt könnt ihr ja verschwinden„-Reden gehört habe. Es macht mich einfach krank zu hören, wenn sich Menschen mehr um Fast Food scheren, als um Menschenrechte.„
Hier geht es zum Interview im O-Ton.
Kommentieren