Jeff Tweedy – Love is the King

von am 24. Oktober 2020 in Album

Jeff Tweedy – Love is the King

Das Cover mag mehr Abenteuerlust in Aussicht stellen, letztendlich spielt sich auf Love is the King, dem vierten Album von Jeff Tweedy seit 2017, aber alles in heimeliger Komfortzone für Wilco-Boss ab.

Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 20 hat Tweedy sich nicht nur im Titel auf elementare Fundamente konzentriert, sondern auf dieser Basis – der Liebe und den Liebsten – auch kurzerhand eine Platte mit Produzent Tom Schick sowie seinen Söhnen Spencer (mittlerweile eigentlich zu jedem Anlass unverzichtbar für das Soloschaffen des Vaters) und Sam (diesmal ausnahmsweise kurz dabei) im Wilco Loft von Chicago aufgenommen. So unmittelbar und spontan kann man arbeiten, wenn man zwar keine Risiken eingehen will, seinen MO und vor allem auch Sound aber bedingungslos gefunden hat.
Love is the King bietet insofern im weitesten Sinne keine Überraschungen, klingt aber vertraut und warm, wohlig-melancholisch und reduziert-aufgeräumt, erzeugt keinerlei Distanzgefühl und transportiert ein ursprüngliches, tröstend-umarmendes Gefühl. Die charismatische Stimme Tweedys wandert wieder mit leicht abwesendem Vortrag, ohne Aufregung und in sich ruhend, über sanftes Gitarrenspiel und ein so weich schmeichelndes Schlagzeug. Der Rahmen bleibt intim und stets ein bisschen fragil, zeigt Grandezza und Bescheidenheit, Klasse und zeitloses Songwriting-Handwerk, wenn sich die Tweedys ohne tatsächliche Herausforderungen anzustreben zurücklehnen, Geduld haben und auch fordern, dem Rock stets die Präfixe Country und Folk vornewegschicken. Hier sind kompetente Meister ihres Fachs zu hören.

Freilich ist der 53 Jährige dabei jedoch weiterhin schlau genug (ohne deswegen abgeklärt aufzutreten!), um das Szenario mit kleinen Geistesblitzen zu spicken, immer wieder die Aufmerksamkeit entlang des roten inhaltlichen Fadens zu provozieren, um nicht in die Gefälligkeit des Hintergrund abzudriften. Auf Love is the King setzen gerade E- und Slide-Gitarren diese Akzente, schleichen sich die  unter Strom stehenden Verstärker nach Warm und Warmer wieder prominenter in das Geschehen. Einige Songs gönnen sich mit ihnen in der Hinterhand gar herrlich kaputt-liebenswerte Soli mit abgekämpft Euphorie, gleich der Einstieg exemplarischerweise: Das ein bisschen weise Titelstück driftet als angeschlagener Boxer in den Ringseilen des Lebens hängend mit wunderbar schrägen, aber behutsame-schroffen Gegniedel ab, Nels Cline nickt anerkennend von Sky Blue Sky her.
Bevor die Assoziationen am Ende der Platte schlüssig gesetzt Richtung Wilco rückend noch einmal deutlich in der Vordergrund geraten, verschiebt Tweedy die Akzente in seiner Nische immer wieder, zeigt in Opaline oder Natural Disaster eine besonders beschwingte Leichtigkeit in der Schwermut, was natürlich auch mit der luftig-fördernden Spielweise von Spencer zu tun hat. A Robin or a Wren agiert sogar noch munterer, ist ein ruhiges Vergnügen, wie sich alle Beteiligten butterweich in die Harmonien legen, während Guess Again diese flirtete Gangart besonders gelöst und relaxt praktiziert.

Das tolle Aushängeschild Gwendolyn liebäugelt dagegen mit den schrulligen 70ern und Bad Day Lately rumpelt entschleunigt aus der Schlaftrunkenheit. Das liebenswert minimalistisch gezupfte Even I Can See ist eine unkaschierte Liebeserklärung von Jeff an seine Gattin, voller Nostalgie und Dankbarkeit, hinter der man schlapftend-pfeifende Klampfer wie Save it for Me im Kontext ohne Murren mitnimmt, auch wenn hier deutlicher als sonst keine essentiellen Bereicherungen der Tweedy-Diskografie passiert.
Darum geht es auf Love is the King aber auch gar nicht, wie spätestens dann klar ist, wenn Troubled als sehnsüchtig flimmernde Kontemplation eine (kaum experimentelle) Erinnerung an Yankee Hotel Foxtrot sein könnte, um das seine Handbremse irgendwann liebenswert lächelnd lösende Half Asleep wie ein Nachhall von Come With Me auftritt: Diese Platte ist kein Suchen, sondern Angekommen – gemütlich und selbstreferentiell, aber nicht bequem oder kantenfrei. Man muss also gar nicht so genau hinblicken, um zu erkennen, dass schon das Artwork keineswegs dem neuerlichen Abenteuer auf der Spur ist, sondern dieses längst hinter sich hat, Geschichten zu erzählen weiß und insofern eher wie ein angenehmes, erfahrenes Nachhausekommen ohne Ermüdungserscheinungen funktioniert.

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