KEN mode – NULL

von am 1. Oktober 2022 in Album, Heavy Rotation

KEN mode – NULL

Vier Jahre nach dem grandiosen Loved injizieren KEN mode ihrem sludgig am Hardcore aufgeriebenen Nihilismus-Noise Rock auf NULL eine beunruhigende Dosis an Industrial- und No Wave-Tendenzen.

Seit dem schwächelnden, aber den Kanadiern einen gehörigen Aufmerksamkeitsschub bescherenden Success haben KEN mode die mutmaßlich ideale Laufzeit von rund 37 Minuten für ihre Langspieler gefunden und behalten diese auch für Album Nummer 8 bei, treiben die Evolution der 2018er-Platte Loved darauf aber weiter – das lässt sich alleine daran ablesen, dass die damalige Gastmusikerin Kathryn Kerr die Band nunmehr zum Quartett aufwertet und NULL am Piano, Keyboard, Percussion und Saxofon zusätzliche textuerierende Tiefen in der Atmosphärearbeit des wieder herrlich räudig, dreckig, pessimistisch und garstig daherkommenden Sounds (in dem höchstens die Gitarren ruhig noch giftiger und kräftiger ausfallen hätten können, wiewohl das aufgeräumte Szenenbild der Gruppe gerade was die Vocals angeht toll steht) beschert, ohne dabei aber die akkurate Präzision, mit der die tonale Katharsis KEN mode immer schon in offene Wunden und blutende Herzen vordringen aufzuschwemmen.

Dass da mittlerweile Referenzen wie Einstürzende Neubauten und Swans neben solchen wie Botch und Today is the Day stehen, ist ebenso schlüssig, wie die Kategorisierung des verzweifelt intensiven, gnadenlos heavy drückenden Albums als „quintessential statement of mental collapse and despair (…), a direct psychological reaction to the collective experience of the last two and a half years.
A Love Letter poltert in stoischem Groove über psychotische Saxofon-Hirnwut (ja, irgendwie schon schade, dass so viele Bands das Blasinstrument nur als atonale Dissonanz einsetzen) und walzt seinen Menschenhass mit massiv kasteiend Pseudo-Jazz-Sehnsucht dorthin, wo die Daughters ihren skandierten Hass mit Zähne fletschendem Gebrüll so vielleicht ohnedies nicht mehr veranstalten werden, derweil Kowloon Walled City und vor allem Chat Pile bereits im Windschatten hyperventilieren. KEN mode kotzen sich derweil hinter ihrem Sprachrohr Jesse Matthewson so eindringlich aus, dass sich die Hook fast catchy ins Hirn fräst: „This was a mistake/ Something is broken, something is fucked!

Throw Your Phone in the River forciert das am Ausnahmezustand kratzende Adrenalin in der manisch konzentrierten Rhythmik, bevor The Tie erstmal zeigt, wie weit NULL bereit ist hinauszuschwimmen: Da setzt die Band den Presslufthammer dezidiert am Harsh Noise und Industrial an, liebkost eine kasteiende Lärm-Orgie als beängstigenden Dark Ambient-Alptraum der immer weiter in das fiebrige Delirium taucht. Wer das als Interlude missversteht, bleibt diesmal womöglich zurück im Bußgang.
Dabei bietet der Eklektizismus ansatzlos Reibungsfläche für prominente Assoziationen. Die zornige Entschlossenheit des Hassbatzen-Doppels aus dem gedrosselten Mahlstrom But They Respect My Tactics und dem markant den Bass kurbelnden Not My Fault wiegt Loved etwa so unkaschiert mit der Math-Ästhetik von Converge (ca.: You Fail Me) und dem Stoizismus von Unsane auf, während die zäh malmenden Drone-Salven von Lost Grip dem heiser-ausgemergelten Post-Hardcore der Self Defense Familie experimentell strukturoffen nahe kommen – nur dass hier ein trostloses Klavier gedankenverloren in der Tristesse klimpert und die Stimmung einer 80er-dystopischen Post-Apokalypse sich selbst geißelnd den Sisyphus-Hügel hinabrollt, der die „I don’t believe that you mean well“-Anklage so verzweifelt ins Gewissen frisst, die Kasteiung als Gemeinschaft-Programm serviert.

Nach diesem schwarzen Loch von einem Herzstück, kann The Desperate Search for an Enemy (quasi eine hässliche Bastardisierung von Metz im kaputten Punkrock-Noise, mit schlenzendem Gift rumorend, bis auch wieder das schizoiden Saxofon für einige kurze willkürliche Sekunden auftaucht) nicht das unbedingt nötige Gewicht erzeugen, um mit dem starken Schlusspunkt Unresponsive (der als Industrial-Ambient-Chain-Gang-Abgrund maschinell walzend wie eine am Songwriting festhaltende Alternative zu House of Lull . House of When) noch für eine ausgewogene Balance für das Vor- und Hinter- dem Longtrack der Platte zu sorgen. Weswegen ein bisschen mehr Laufzeit womöglich die letzten Quäntchen begeigesteuert hätten, um NULL unbestreitbar zum besten KEN mode-Werk bisher zu machen. Ein Umstand, der gerade im Angesicht dieser Platte freilich ein leicht auszuhaltender ist.

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