Lord Snow – Shadowmarks

von am 16. Mai 2019 in Album

Lord Snow – Shadowmarks

Mit den aktuell ebenfalls aufdrehenden Kollegen Nuvolascura im Rücken, dem (unsäglich kategorisierten) Skramz-Hype rund um Label wie Zegema Beach Records an der Seite, sowie den (mutmaßlich wohl polarisierenden) Jeromes Dream-Comeback vor Augen, sind Lord Snow mit Shadowmarks weiterhin – und mehr denn je – das beste, was dem anachronistischen Screamo und Emoviolence passieren kann.

Man muss sich wohl keine Sorgen machen, dass die zuletzt in der Versenkung verschwundenen Lord Snow ihre eigene Lebenszeit womöglich tatsächlich an die Spieldauer der aktuell den Bach hinuntergehenden HBO-Serie Game of Thrones angepasst und 2019 den Stecker ziehen könnten – hier wird in die Widmung von Shadowmarks („thank you to everyone whose supported us over the years. this album is sacred to us.“) wohl zu viel hinein interpretiert. Das Trio hat neben der Split mit Le·Mat aus dem vergangenen Jahr einfach nur länger für ihr (in diesem Genre spielzeittechnisch kaum einen Unterschied zwischen EP und Album machenden,) je nach Zählweise dritten „Lang“spieler gebraucht.
Überlegungen, über die man sich aber sowieso auch noch nach der aktuell laufenden Tour Sorgen machen kann. Schließlich verdeutlicht Shadowmarks und seine Titel vordergründig ohnedies (auch) andere Dinge. Etwa, dass Skyrim immer noch die erste Referenz für Lord Snow bleibt und weitere Fantasy-Serien (offensichtlich: The Stormlight Archive von Brandon Sanderson) eine mindestens ebenso prägende Rolle für das Narrativ der um Chicago verorteten Band spielen. Vor allem aber eben, dass die Dinge nicht in Stein gemeißelt sind und sich immer ändern können.

Als man von Lord Snow zuletzt ausführlicher gehört hatte, verzögerten sich die Aufnahmen zur angedachten neuen Platte weniger wegen örtlichen Distanzen, sondern mitunter wegen (spielebedingter) Prokrastination, wie Niko Zaglaras erklärte: „I live in Los Angeles while Steph lives in Chicago and Erik just moved to the bay area. This is good, because I can drive up to Erik and jam with him and then Steph can come out and jam with us. Since it is the new generation you can send riffs over the Internet and stuff. I still have to figure out the riffs. I’m trying to figure out this album. I need to stop thinking about it and just write it. I think that I can do this. Erik and Steph are mad at me because of it.
Ganz generell sah die Standortbestimmung für Vergangenes und Zukünftiges noch ein wenig anders aus: „Sovrngarde was beautiful and endless youth… Solitude was defensive, grounded, yet dark … Winterhold was cold, tired and lonely… and we have plans to name our next LP “Riften.” Even though I haven’t started writing Riften, I know that it will be like the thieves guild… quick, agile, skilled and focused. I still have to write all the riffs though“.

Knapp drei Jahre später ist das proklamierte Riften zwar noch immer nicht erschienen – dafür aber eben Shadowmarks, das nichtsdestotrotz alle der anvisierten Tugenden mitbringt und sich in Verneigung vor der Frühphase von Jeromes Dream, Mihai Edrisch oder La Quiete ansatzlos als Fortsetzung des bisherigen Schaffens der Band platziert – aber auch unmittelbar klar macht, dass Lord Snow in den vergangenen Jahren als Songwriter weiter gewachsen sind.
Wo sie auf Solitude beispielsweise noch 19 Minuten für 11 Songs brauchten, sind es nun gerade einmal 5 in schlank-rasenden 14 Minuten. Jede einzelne Szene davon birst vor Ideen und Wendungen, Spielwitz und emotional blutender Dringlichkeit, es passiert gefühlt doppelt so viel wie auf einigen der vorangegangenen Veröffentlichungen. Shadowmarks verändert unbändig Form und Dichte, bündelt das manisch vor Energie kochende typische Lord Snow-Chaos, das mit jedem Durchgang deutlicher als instinktiv durchdachtes Impulsgewitter mitreißt, in seiner schwindelerregenden Präzision ein stimmiges Ganzes rund um ein neues Faible für atmosphärische Sample-Übergänge ergibt. Lord Snow wiegen durch die kaum zu bremsende Substanz auch auf, dass zumindest ein weiterer Song dem Gesamtwerk doch noch jenes zusätzliche Gewicht geben hätte können, dass auf den letzten Metern zur Genre-Sternstunde fehlt. Der Makellosigkeit kommt man auch so näher als zuvor.

Ausgerechnet auch durch den Mut zur unsauberen Hässlichkeit. Der von Zaglaras gefertigte Mix, das Mastering und die unpoliert-übersteuerte DIY-Produktion der Platte klingt „like black metal through radio walkman speakers“ und damit „exactly how we intended it to sound„: Scheppernd und schrill, direkt und hysterisch, ausgemergelt und psychotisch. Also verdammt nahe am leidenschaftlich verwaschenen Liverumpeln.
Theyve Clearly Made the Most of It  lässt seine nervöse Gitarre geradezu mathlastig gegen den Strich blinken und wild strukturiert oszilieren, bevor der Rausch im getriebenen Tremolowahn dahinrast, durchatmet und von neuem Salti schlägt, während Steph Maldonados Stimmbänder wund blutend eskalieren, gedämpft im Sound verwischen. Clairvoyance drängelt aufgebracht vor Spannung vibrierend am Punk geladen pulsierend, ein beißendes Ventil mit agressivem Schaum vorm Mund. Das vierminütige Aranea Ienith gibt als Herzstück den grandiosen Epos der Platte und reibt sich zu immer beschwörenden Szenen auf, rezitiert mitten im Sturm und verlagert das Gewicht mit einer progressiv-unberechenbaren Dynamik lauernd bis ins beruhigend grummelnde: Die Spannweite der Platte ist auch in ihrer Kürze bestechend, das erschöpfende Momentum kommt immer wieder in Greifweite. Shallan Davar transportiert dort ein verzweifelt flehendes Verlangen und Wolfman and Bilo überholt sich praktisch selbst auf dem Weg zu Hardcore.

Vor allem aber ist Shadowmarks ein permanenter, purer Triumph für Drummer Erik Anderson, der die gallopierenden Toms und hyperventilierende Snare zwischen wahnsinnigen Tempi und regelrecht jazzig anmutenden Texturen pulverisiert, Taktgeber und eigentliche Sensation von Lord Snow darstellt, der Band bis zur Extase Intensität einprügelt. Nicht einmal eine Viertelstunde genügt da beinahe  zur auslaugenden Katharsis, sicher aber und zum süchtig machenden Sprint, der immer wieder aufs Neue starten will, auch wenn die unbedingte Befriedigung so schemenhaft bleibt, wie das grandiose Artwork.
Wären Lord Snow in den ergangenen Jahren tatsächlich heimlich, still und leise abgetreten, wäre es ewig schade um diesen aufblitzenden Genre-Rohdiamant gewesen, der im Umkehrschluss auch einen umwerfenden finalen Triumphzug einer makellosen Diskografie darstellen würde. Letztendlich spielt all das keine Rolle, wenn Shadowmarks ganz oben auf der Emoviolence-Welle nicht nur für 2019 maßgeblich an der einenen oder anderen Szene-Legende vorbeizieht. Diese Platte war jede knappe Sekunde der Wartezeit und Ungewissheit wert.

Print article

1 Trackback

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen