Morrissey – California Son

von am 27. Mai 2019 in Album, Sonstiges

Morrissey – California Son

Endlich rücken mit California Son wieder musikalische Neuigkeiten in das von negative Schlagzeilen dominierte Blickfeld des Steven Patrick Morrissey: Der zumindest streitbare Querulant hat hinter einem geschmacklosen Cover zwölf durchaus geschmackvoll eingenommene Fremdinterpretationen versammelt.

Warum das in dieser Form trotzdem nicht vollends die beste Idee war, lässt sich auch ganz gut an der absurden Record Store Day-Single Lover-to-Be von vor wenigen Wochen nachzeichnen, die mitten in die Promo zu California Son deplatziert wurde: Ein zwar guter, aber vor Jahren nur als Bonustrack von Low in High School abgehandelter Song machte hier die unerklärliche A-Seite, während I Thought You Were Dead, ein durchaus gelungener neuer Song, die B-Seite stellte.
Wieder einmal der Beweis: Der Mozza hat in den vergangenen Jahren neben einer qualitativen Abwärtsbewegung schon auch das Gespür dafür verloren, was tatsächlich würdiges Albummaterial darstellt, und was potenzielle Nebenschauplatz-Ware sein sollte.
Auf California Son umgemünzt betrachtet bedeutet dies, dass die aus den 60ern und 70ern zusammengetragenen zwölf Nummern durchaus gelungene, in die eigene Ästhetik übersetzte Interpretationen von einem Morrissey darstellen, der immer noch einzigartig klingt und schlichtweg fabelhaft singt. Damit gleicht er auch etwaig zu sehr auf Synthies gebaute Gesten mit stimmlicher Grandezza aus, und kann mittels einiger Kennerstücke der Musikhistorie sowieso mit stärkerem Material arbeiten, als ihm Jesse Tobias seit World Peace is None of Your Business auf den Leib schneidert. Die Nummern wären allerdings als einzelne ausschmückende Rückseiten von Singles eben doch besser aufgehoben gewesen. Am Stück gesammelt summieren sich die mal besser, mal weniger überzeugend gelungenen Verbeugungen nämlich doch zu unausgegoren, ergeben ein Sammelsurium ohne schönen Spannungsbogen oder rundum kohärenten Fluss. Gerade die ausgelassen zu Fanfaren zwischen Make Your Own Kind of Music und (Is This the Way to) Amarillo stampfende Paradesingle Lady Willpower (im Original von Gary Puckett & the Union Gap) ist herausragend, aber einfach falsch positioniert. Sie reißt supercatchy aus dem eher melancholischen Schlußdrittel, lässt dieses vordergründig unscheinbarer erscheinen, als es tatsächlich ist. California Son drohen in seinem angenehm zurückgenommen-unaufgeregten Wesen so zumindest ein paar Meter Leerlauf, ohne als nebensächliche Unterhaltung tatsächlich zu ziellos, zu fasrig, oder zu egal zu werden.

Wo, um den jüngeren Studioalben Morrisseys etwas abgewinnen zu können, nämlich ein verklärter Blick auf die Vergangenheit zumindest nicht schadete, kommt das nicht unnostalgisch, aber doch kaum sentimentale California Son jedoch weitestgehend ohne diese tranige Ebene aus. Einer unverkrampften, simpel-poppigen Fingerübung gleich sorgt die Platte viel mehr für eine erfrischende Entspannung im Hause Morrissey und liefert im vielleicht nicht euphorisierenden oder emotional tiefgehenden, aber rundum kurzweilig überzeugenden Ganzen einige fein herausstechende (nicht mit den Originalen konkurrieren wollende) Momente, die schneller vergessen sind als die größten Highlights der regulären Studioalben, aber auch nicht deren äergerliche Enttäuschungen parat halten.
In Morning Starship (Jobriath) begleiten wabbernde Synthies und Grizzly Bear Ed Droste einen unaufgeregten Song mit eleganter Hook von der Kammermusik in den Glam und zu ätherisches „Lalalala“s, Don’t Interrupt the Sorrow (Joni Mitchell) plätschert arty über die lockere Percussion und ein geradezu ambient arrangiertes Wesen, das sich mit seinem knubbeligen Bass irgendwann an ein Lounge-Saxofon schmiegt.
Das exquisite Only A Pawn in Their Game (Bob Dylan) orgelt einen beschwörenden Rhythmus in die erhebende irisch angehauchte Folklore mit (irritierend) sozialpolitischer Message, während It‘s Over mit LP auf der Gästeliste entschleunigt twistenden 50s-Shuffle-Doo-Woop andeutet, der im Refrain dramatisch in den Himmel blickt, ohne bombastisch zu werden und Roy Orbison Ehre macht: Großes Kino mit Billie Joe Armstrong & Lydia Night als grotesken Gästen.
Wedding Bell Blues (Laura Nyro) bietet dagegen eine flapsig flanierende Sitcom-Lieblichkeit, bei der sich alle harmonisch in den Armen schunkeln, und Loneliness Remembers What Happiness Forgets (Dionne Warwick) zelebriert bittersüß tänzelnde Grandezza mit Streichern. Manchmal weiß der Mann eben doch, was er tut!

Den Rest füllt Morrissey trotzdem mit einigen unverbindlich-vergänglichen Ohrwürmern, ausfallfrei und schmeichelhaft. Larmoyant stampft das clappende Suffer the Little Children (Buffy Sainte Marie) zum Barpiano und das zeitlose Days of Decision (Phil Ochs) läuft geschmeidig dahin, gar erhebend, kommt allerdings nicht ganz in die Gänge und verschwindet letztendlich ein wenig zu zu eindruckslos -schade, aber gut! In When You Close Your Eyes (Carly Simon) werden unschuldige Träume zur funkelnden Casino-Geste und finden doch wieder zur Intimität zurück, wo die langsam und behutsam agierende Klavierballade Lenny’s Tune (Tim Hardin) über die volle Distanz in der einsamen Melancholie verweilt.
Zum Schluss setzt Some Say I Got Devil (Melanie) eine akzentuierte Melodramatik im Orchestergraben, und beendet eine versöhnliches Morrissey-Fußnote, während das Enfant Terrible mit Badges polarisiert und damit aktuelle Unterstützer verprellt, seine Felle selbst aber symptomatisch nicht fortschwimmen sieht: „Some say I got devil/ Some say I got angel/ I’m just someone in trouble/ I don’t think I’m in danger.“ Zumindest im Fall von California Son bleibt der Umgang mit der ambivalenten Legende tatsächlich eine harm- und gefahrlose Angelegenheit.

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