Rammstein – Zeit

von am 12. Juni 2022 in Album

Rammstein – Zeit

Abschied von der Neuen Deutschen Schlager Härte? Zeit will, muß oder soll ja offenbar vor allem unter dem Gesichtspunkt gehört und bemessen werden, ob es ein würdiges finales Album für Rammstein wäre. (Diesmal aber wirklich!)

Dass die 44 Minuten des achten Langspielers der sensationswütigen Teutonen diese Fragestellung zu einem überraschend positiven Ergebnis führen, hängt im Allgemeinen mit der überschaubaren Erwartungshaltung zusammen, die eine nach 2001 generell durchwachsene Diskografie mit sich bringt, im Speziellen aber auch mit den Vorboten dieses mutmaßlichen prolongierten Abschiedes.
Zick Zack ist als sofort mitgröhlbarer Volksfest-Hit ebenso effektiv, wie er schon beinahe als übersteigerte Parodie der Rammstein‘schen Trademarks durchgehen könnte, während Dicke Titten als im Festzelt schunkelnder Entertainment-Standard mit (sowohl textlich als auch musikalisch) billig-pseudoprovokanten Refrain so seicht ist, dass der Witz für die wenig subversive Band feuchtfröhlich funktioniert.

Und der Titelsong, mit seiner melodischen Melancholie als weich pumpender Synthpop an der nostalgischen Grenze zu Depeche Mode, der sich irgendwann ganz ungeniert im Industrial Schlager mit Ethereal Wave-Arrangements suhlt, kocht die altbewährte Formel jenseits der Neuen Deutschen Härte mit einer so sentimentalen Gefälligkeit auf, dass der gemütliche Fernsehgarten tatsächlich naheliegender erscheint, als das pyrotechnisch bombardierte Stadion.
Und während sich Zeit, der Song, längst zu einem hartnäckigen Ohrwurm sondergleichen gemausert hat, der der auch nicht jünger werdenden Band einfach verdammt gut steht, überzeugt der Nachfolger der selbstbetitelten 2019er-Platte primär dadurch, dass er sich abermals auf altbewährte Tugenden konzentriert und effektive Standards liefert, die bei den aktuellen Live-Terminen eine gute Figur zwischen den freilich unerreichbar bleibenden Klassikern machen dürfen – und (flächendeckender) erinnerungswürdig genug sind, um für etwaige zukünftige Shows Potential zu zeigen.

Armee der Tristen stampft etwa als idealer Opener stoisch mit neondüsteren Wave-Synthie und herrischen Gitarren-Wänden im Refrain, benutzt den Baukasten beschwörend und vital. Im bedächtig aus der Dunkelheit getragenen, um ein wiegendes Klaviermotiv gebauten Schwarz beweist sich, wie gut der Gruppe ein gewisser Wehmut steht, während Giftig die Signaturen mit simpler Uffta-Sicherheit reibungslos auf Instant-Schiene gespielt werden: die Kundschaft wird es goutieren.
OK addiert dafür eine klerikal-sakrale Majestät in einen straighten Stomper und ist ebenso catchy wie die schunkelnd Behäbigkeit von Meine Tränen oder die musikalisch rein zweckdienliche Funktionsweise des stakkatohaften Angst, bevor Lügen im Gruselmodus der Strophe märchenhaft rezitiert und im Chorus planmäßig fett ballert, beziehungsweise Adieu als Closer mit Klavier für eine versöhnlich-erhebende Stimmung sorgt, ohne sentimental zu werden.

Diese Grundatmosphäre der dunkler schattierten Vergänglichkeit gibt der Platte Charakter, und wenn schon nicht wirklich Relevanz, dann zumindest eine reichhaltigere Existenzgrundlage, als sie so mancher Vorgänger hatte – auch, weil freilich klar ist, dass alles essentielle von Seiten der Band (gefühlt immer infantiler um sloganhaftes Schockpotential ringend) gesagt ist, man damit aber seinen Frieden geschlossen hat – und diese relative Milde beschert gerade genug alterswerkartige Nuancen, um neue Reize zu schaffen. Mit einem tatsächlichen Abschied hiernach könnte man insofern gerade deswegen so gut leben, weil er zu einem Zeitpunkt passieren würde, da der Unterhaltungswert hoch genug ist, um Rammstein tatsächlich zu vermissen.

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