Soul Glo – Diaspora Problems

von am 21. Mai 2022 in Album

Soul Glo – Diaspora Problems

Ein Hardcore-Seiltanzen auf dem Nervenkostüm, je nach Verfassung aufreibend oder extatisch: Soul Glo ernten auf Diaspora Problems die Früchte, die die großartigen Kurzformate Songs to Yeet at the Sun, DisNigga Vol. 1 und DisNigga Vol. 2 säten verdientermaßen auf Albumlänge.

Von der an dieser Stelle noch vor wenigen Monaten getätigten Unterstellung, dass Soul Glo aufmerksamkeitstechnisch den 2020 generierten Schwung nicht mitnehmen hätten konnten, ist angesichts der relativen Euphorie um Diaspora Problems keine Rede mehr: Die mittlerweile ja bei Epitaph untergekommene Band aus Philadelphia steht aktuell schließlich definitiv im Rampenlicht, wie keine andere Szeneband seit Turnstile – wobei die konsenstaugliche Breitenwirksamkeit angesichts der hyperaktiv quakenden, kreativ kaum zu bändigenden Ausrichtung bei Soul Glo freilich weitaus überschaubarer ausfällt.
Zumal Diaspora Problems dabei allerdings auch nicht der revolutionäre Gamechanger ist, zu dem er (gerade in den Weiten des Internets) gerne gemacht wird. Viel mehr haben wir es hier mit einem knapp 40 minütigen eklektischen Feuerwerk zu tun, das seine Einflüsse und Impulse möglichst aufregend aufeinander prallen lassen will, ohne dabei den schlüssigen Song aus den Augen zu verlieren.  Und gerade hier liegt der Knackpunkt: Immer noch klingt die (mittlerweile von Ruben Polo verlassene) Kombo wie die angepissten Enkel der Bad Brains, die anstelle des Raggae dem Rap und Hip Hop frönen, doch vermengen sie ihre Stile und Einflüsse diesmal dezitiert homogener, haben stärker einprägsame Hooks und Szenen jenseits der pointierten Ästhetik auf Langspieler-Ausmaßen – und mehr noch ist da vor allem ein runder, stimmiger Spannungsbogen.

Gold Chain Punk (Whogonbeatmyass?) beginnt wie ein übermütiger Indierock-Ohrwurm auf der ausgelassenen Überholspur, der von einem Punk-Kochtopf in die Mangel genommen wird, Gangshouts und dissonant-kakophonische Exzess inklusive, dazu kommt ein tief hängender Metal-Stoizismus. Coming Correct Is Cheaper sampelt It Takes Two gerade lange genug, um die Synapsen zu reizen, verneigt sich vor Cannibal Ox und täuscht dazu gar kurz den Club an, ist dann aber doch eher giftiger Hardcore, der mit dem Noiserock auf ein irrwitziges Ringelspiel steigt. Thumbsucker befeuert seine Revue mit Bläsern und tritt aufs Gaspedal, wohingegen Fucked Up If True seinen twistenden Groove aus dem Screamo gar in den growlenden Doom Death ausbremst. Die Perspektive macht dabei das persönliche politisch und das strukturelle zum Kaleidoskop – Schleudertrauma inklusive.
Der Pit-Eskalator Jump!! (Or Get Jumped!!!)((By the Future)) setzt dann durchaus smart nicht auf Aggressivität, sondern evoziert eine hibbelige Energie, stichelt mit kurz vorbeisprintenden Hooks und einem fiebrigen Saxofon. Pierce Jordan kotzt dazu wie ein Giftzwerg im Rausch über einen atonal schraffierten Malstrom aus,  der jenseits der Tempo-Limits explodiert. Wie natürlich Driponomics danach als dreckiger kleiner, subkutan arbeitender Downbeat Grime-Hip Hop a la Death Grips wachsen kann, ist dann aber mehr als nur ein Symptom der runder gewordenen Band-Identität: Das passt stilistisch und kompositionell super in den Fluss, wo derartige Ausflüge für Soul Glo bisher oft zu willkürlich anmutenden, funktioniert aber auch für sich alleine stehend absolut zu Ende gedacht.

Diesmal ist die Summe unbändiger Einzelsongs als das große Ganze aber eben runder – und Grenzen bleiben zum Schüren von musikalischen Konflikten samt der lyrischen Artikulation sozialer Missstände da.
(Five Years And) My Family spiegelt insofern postpunkigen Indie, dem die Band Adrenalin injiziert, wechselt die Auslage manisch bis zum schimmernden Solo; The Thangs I Carry wagt ein Ballett wie frühe Daughters, rockt dann allerdings doch fast breitbeinig und ist eine potente Single, wie von der Tarantel gestochen. Überhaupt kommen hinten raus so viele griffige Passagen im Verlauf der Platte: We Wants Revenge zeigt schon wieder eine Hit-Hook, obwohl der gurgelnder Hi-Speed-Bass das Highlight bleibt, und in John J führt die Punkrock-Beschleunigung bis in die Math-Grind-Maschine mit Spoken Word-Tendenzen und  Blood Brothers-Finale. Alle Wendungen führen hier zum Ziel – und Sackgassen sind zum Durchbruch gedacht.
Nur in GODBLESSYALLREALGOOD wollen all die tolle Einzelideen nicht auf den Punkt finden, mäandern Geschwindigkeit und Hip Hop als Sammelsurium, wo die Band ansonsten all ihre Ambitionen gefühlt in einem klaren Rahmen artikulieren kann. Gerade Spiritual Level of Gang Shit, das erst relaxt mit dem Crossover-Flair der 90s anbandelt, kommt entlang seiner Schübe bewusst lange als Verweigerungshaltung nicht in Gang, bis die Handbremse als Klimax gelöst wird und Soul Glo mit Bläsern ein jubilierend eine finalen Ausbruchs-Party zelebrieren: derartige Höhepunkte sitzen mittlerweile, obgleich Soul Glo sich genau genommen immer wieder aufgekratzt an Versatzstücken aus der Vergangenheit bedienen. Doch bekanntlich macht die Menge das Gift, und trotzdem -oder gerade deswegen – ist die hippe ADHS-Frischzellenkur Diaspora Problems eher ein großer Schritt für die Entwicklung (und Außenwirkung) der Band, als eine Evolution für den Hardcore an sich. Aber das ist absolut okay – man muss die Bedeutung dieser zwölf Songs nämlich gar nicht überhöhen, um eines der unterhaltsamsten Alben des Jahres zu bekommen.

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