The National – First Two Pages of Frankenstein

von am 13. Mai 2023 in Album

The National – First Two Pages of Frankenstein

Zuletzt hatten sich The National mit einigen leider inkonsequenten Rock-Spitzen oder der Selbstaufopferung in der weiblichen Perspektive gegen das gefällige Verlangen der gepflegten Langeweile der Komfortzone zu stemmen versucht – nun kommen sie mit First Two Pages of Frankenstein allerdings doch noch in dieser an.

Im Zuge der Pandemie, örtlichen Distanzen und zahlreichen (Solo-)Projekten scheint sich das Quintett aus Ohio etwaigen Interviews zufolge ja ein gutes Stück weit auseinander gelebt zu haben, was durch eine ausgewachsene Depressions-Episode des in direkter Wechselwirkung auch noch unter Schreibblockaden leidenden Matt Berninger zusätzlich befeuert wurde. Wenn der 52 jährige nun also im Vorfeld der Veröffentlichung von First Two Pages of Frankenstein Sätze sagt wie „I was in a very dark spot where I couldn’t come up with lyrics or melodies at all. Even though we’d always been anxious whenever we were working on a record, this was the first time it ever felt like maybe things really had come to an end.“, versteht man angesichts der aufgefahrenen 48 Minuten des neunten The National-Studioalbum praktisch unmittelbar, wie treffend sich diese Analyse auf das Wesen der Platte übertragen lässt – während Bryce Dessners angehängtes „We managed to come back together and approach everything from a different angle, and because of that we arrived at what feels like a new era for the band.“ wie eine frappante, womöglich schlichtweg zweckoptimistische Fehleinschätzung der aus den Umständen resultierende Musik anmutet.
So oder so ist First Two Pages of Frankenstein der Ausdruck einer Entwicklung, die zu keiner Sekunde weh tut: The National suhlen sich 22 Jahre nach ihrem Debüt und 18 nach dem wegweisenden Paradigmenwechsel Alligator in einer redundanten, komfortablen Wohlfühlzone, die eine soft und poppige Barrierefreiheit pflegend wenig reizvoll und kaum spannend ausgefallen ist.

Sinnbild dafür ist alleine schon die so vollkommen risikofrei auf Nummer Sicher gehende Gästeliste. Nur Taylor Swift bekommt in The Alcott Songwriter-Credits und einen Platz im Rampenlicht (wobei es aus marktwirktschaflicher Sicht ja auch verrückt wäre, die prominente Bekanntschaft nicht markant in Szene zu setzen) – für ein sehnsüchtiges Duett an den Tasten, das romantisch bis in den Sternenhimmel funkeln soll, dabei als 08/15-Post-Folklore-Stück mit Kitsch-Lyrics und Swift-Melodie-Schablone aber vor allem wie ein vorläufiger Grenzpunkt der Entwicklung von The National in eine massentaugliche Banalität hinein wirkt.
Sufjan Stevens (in Once Upon a Poolside, einer Klavier-Ballade, deren simples Grundmotiv Thom Yorke gefallen könnte, obgleich der dieses am ätherischen Ambiente eines nicht wirklich berührenden, aber betörenden!, traurigen Trostpflasters wohl nicht derart harmlos belassen hätte) und die unvermeidbare Phoebe Bridgers (die zum bedächtig pulsierenden Rhythmus der schwelgenden Sanftheit This Isn’t Helping, mit ihrer einprägsamen Hook und unsagbar faden Melodie, ebenso nachdenklich haucht, wie beim tollen melancholischen Kleinod Your Mind Is Not Your Friend, das mit geschlossenen Augen zu schwofen beginnt, und wie ein elegischer Nachhall zu Exile Vilify tröstender Seelenbalsam mit sinfonisch Grandezza wird) bleiben dagegen austauschbare Akteure in der zweiten Reihe, deren austauschbar bleibender Beitrag bei aller Liebe wohl auch von gesichtslosen Backing-Handwerkern übernommen hätte werden können.

Entgegen den Albumtitels suchen The National aber auch nicht der Horror kreativer Idiosynkrasie-Reibungspunkte, sondern vielmehr eine unaufregende Routine, auf die man sich nach einer schwierigen Phase der Band-Historie gefahrlos verlassen kann.
Das geht so weit, dass jede Nummer der Platte eine (kompositorisch manchmal mehr, manchmal weniger selbstreferentielle, durch die unverkennbare ästhetische Handschrift der beteiligten Musiker aber assoziativ sowieso unverrückbar im Kanon verankerte) Variation einer von der Gruppe bereits besser in Songformat artikulierten Idee ist, die dem elektronischen Aspekt im kammermusikalischen ausgeschmückten Indie höchstens noch mehr Ausdruck verleiht, als bisher. Dass Weird Goodbyes aus dem Vorjahr insofern keinen Platz in der Trackliste gefunden hat, erscheint insofern sogar verschwenderischer, weil mit dem kontemplativen Alien (in seiner typisch wattierten Aura, in der die Gitarre und die polternd übernehmenden Drums keinerlei Wucht von den selbstproduzierenden The National mit auf den Weg bekommen) sowie dem klarer akzentuierten Ice Machines relativ deckungsgleiche, jedoch weniger markante Nummern aufgefahren werden.
Allerdings ist die Exklusion der Bon Iver-Kooperation insofern auch nachvollziehbar: Wo auf First Two Pages of Frankenstein ein latent ausgebleichtes Charisma Hand in Hand mit einer immer noch spürbaren Klasse geht, die sich zudem stets in eine lieb gewonnene Vertrautheit zurücklehnen kann, wäre noch mehr Gleichförmigkeit im übergeordneten Spannungsbogen kaum eine gute Idee gewesen, krankt das Album doch auch daran, dass die strukturell meist gleich gestrickten Midtempo-Nummern  aus dem ruhigen Beginn heraus im Verlauf niemals intensiv ausbrechen.

Die immanente Harmlosigkeit der Musik ist vielmehr sogar frustrierend. Sie fesselt und packt diesmal kaum, begleitet nett nebenbei und erzeugt zu wenig Reize, Ecken oder Kanten, um den Wunsch nach aktiven Wiederhören zu fördern. In gewisser Hinsicht gleichen diese erste beiden Seiten von Frankenstein sogar dem imaginativen Bild, ein trauriges Unwetter draußen beim gemütlichen Blick von der Elder Statesman-Couch herab geflissentlich zu ignorieren, während frühere Alben durchaus das Fenster für ein gut abgewogenen Nervenkitzel öffneten.
Ideal nachvollziehbar sollte dies anhand von Eucalyptus werden: die Indietronic verschwendet mit popkulturellem Namedropping einmal mehr Schlagzeuger Devendorf, doch auch wenn die Nummer später poltert und bratzt, sich skandierend aufbäumt, zeigt sich wie konfrontationslos The National ihr Songwriting mittlerweile so versiert nach allen Regeln der hauseigenen Kunst zum wirbelnd vorhersehbaren Klimax hin konstruieren – anstatt eine aufwühlende Katharsis zu erzeugen, begleitet jedoch nur ein überraschungsarmes Stück, das per se nichts falsch macht, aber eben emotional auch keinen Zugriff bekommt.
Gepflegt und angenehm zu hören, aber phasenweise auch wirklich einfach ziemlich langweilig gewordene begnügt sich der Fünfer so mit ziemlich formelhaften Baukasten-Lösungen.

Das friedlich perlende, mit weiblichem Anstrich ausgeschmückte New Order T-Shirt hat sich zu einem sanften Ohrwurm und heimlichem Liebling gemausert (was anfangs natürlich die Hoffnung nährt, dass alle Songs letztendlich ähnlich wachsen könnten – tatsächlich aber hat der Vorabsong durch den Album-Kontext einfach nur ein bisschen an Qualität gewonnen) und Tropic Morning News taucht den Fluss mit flotten Beat und plakativem Schwung an – doch auch hier zeigt Berninger als träger Schlurfer in desinteresierter Mark Kozelek-Dynamik symptomatisch keinen Biss, wie auch seine Band eine regelrecht sedativ abgespulte Performance an den Tag legt, die ständig etwas von der unmotivierten Pflichtübung hat.
Im Schatten alter Trademark wärmt sich Grease in Your Hair so mit hymnisch angelegten Aussichten auf, doch das epische Momentum entsteht einfach nicht, bevor Send for Me sich vom schläfrig schreitenden Uff-Zack-Rhythmus in Zeitlupe unbeeindruckt ein träumendes Schunkeln samt fragiler Ausstrahlung behält, das texturierende Dösen der Atmosphäre die Monotonie aufwiegen soll, und der Ausklang der Platte an der Egalität entlang plätschernd keine verabschiedende Herausforderungen für das ohnedies schnell erschlossene, wenig zu entdecken bietende First Two Pages of Frankenstein sucht. Einem Album, das wirklich unterwältigend und enttäuschend ist, aber deswegen im Umkehrschluss nicht wirklich schlecht. Man mag diese Band eben wahlweise einfach. Immer noch.
Dennoch braucht es die mittlerweile mildtätige Fanbrille, um die Lethargie von The National zwischen den Punkten liegend in der abschließenden Wertung aufzurunden.

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