The Notwist – Vertigo Days – Live from Alien Research Center
Vertigo Days ist eines der besten Werke in der mit Geniestreichen nicht gerade geizenden Diskografie der Weilheimer Institution. Da ist es nur verdient, dass The Notwist dem Album mit einem entsprechenden Live-Platte noch einmal ein wenig Rampenlicht nachwerfen.
Allerdings fühlt sich der 2021 in ihrem Studio ohne Publikum Publikum aufgenommene First Take-Mitschnitt dennoch und gerade deswegen (sowie wohl unfairerweise zugegeben auch aufgrund eines nahezu makellosen Live-Albums wie Superheroes, Ghostvillains + Stuff als Maßstab) ein wenig so an, als bekäme Vertigo Days in seiner Darbietung im Alien Research Center nicht ganz den Raum, den es bräuchte, um die prolongierte psychedelische Krautrock-Collage tatsächlich am potentiell aufgezeigten Idealzustand entlang zu entfalten.
Im Allgemeinen wird letztendlich einfach das gewisse Etwas ausbleiben, das undefinierbare Bisschen Magie, das so vielleicht erst von Angesicht zu Angesicht vor der Bühne entstehen kann – denn diese Reibung kann das manchmal etwas zu steril und isoliert anmutende Vertigo Days – Live from Alien Research Center aufgrund der Gegebenheiten freilich nicht erzeugen.
Im Speziellen fehlen aber auch einige Songs – nämlich Al Norte, Ghost, Night‘s Too Dark, *stars*, Al Sur und ausgerechnet das bezaubernde Into Love Again – und (bis auf die schnipselnden Saya-Samples in Ship, das andeutet, sich psychotischer aufzureiben, dann aber symptomatisch ein bisschen zu brav und gefällig beherrscht bleibt und nicht in letzter Konsequenz zwingend losreißt) alle Gast-Features, was Vertigo Days – Live from Alien Research Center in Kenntnis des regulären Studioalbums ein wenig an Gewicht und Facetten kostet.
Am deutlichsten macht aber gleich das eröffnende Into Love / Stars, was hier eigentlich möglich gewesen wäre, wenn The Notwist die Suite auf über acht Minuten wachsend zeigen und sich weich und zart gehen lassend in den transzendental geschmeidigen Indietronica-Rock lösen, die Texturen und die Atmosphäre halluzinogen mit einem tröstenden Lächeln über der krautigen Stimmung und dem soulige Hintergrund pflegen. Grandios – und das eigentlich strukturoffener sinnierende Jam-Wesen dieser Darbietung hebt den Charakter der Performance im einnehmendsten auf das Podest.
Nur das an das Ende der Setlist aus der ansonsten chronologischen Darbietung gerückte Loose Ends als bimmelndes Nirwana dehnt sich ebenso länger als die ursprüngliche Vorlage – alle anderen Nummern bleiben relativ kompakt an den Formen der Albumversionen. Ein paar der nahtlos ineinander fließenden Übergänge wirken so vielleicht eine Spur zu überhastet, weswegen die hinzugefügten Zwischenspiele aus Intro und Interlude auch willkommenen Platz zum Durchatmen schaffen, wo die ausgelassenen kürzeren Nummern vermisst werden, während dennoch vor allem die zweite Hälfte der Platte als luzider Traum eine fesselnde Tiefenwirkung entfaltet, der Gesang in trippigen Schleifen schwebt und die Musik hypnotisiert: die Klasse dieser Band und Platte ist einfach bemerkenswert!
Mit dem zusammengefasst gravierendsten Vorwurf an diese Veröffentlichung, nämlich, dass man The Notwist schlichtweg ewig und damit noch so viel länger als die es hier aufgefahrenen 45 Minuten es anbieten, zuhören könnte, werden die Achers und Co. insofern sicherlich gut leben können. Die Vorfreude auf kommende Tourneen ist jedenfalls einmal mehr befeuert wie nur was.
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