Thundercat – Apocalypse

von am 10. Juli 2013 in Album

Thundercat – Apocalypse

Stephen „Thundercat“ Bruner hatte mit 15 einen Boygroup-Hit in Deutschland, war zwischen 2002 und 2011 Bassist bei den Crossover-Thrashern Suicidal Tendencies und ist nebenbei gern gesehener Studiogast von Erykah Badu, Snoop Dogg oder den Red Hot Chili Peppers. Für seine Soloschaffen im anhaltenden Schatten der Apokalypse zählt allerdings vor allem die Seelenverwandschaft mit Steven Ellison alias Flying Lotus.

Thundercats zweites Album driftet losgelöst von starren Strukturen im selben Soundkosmos, in dem bereits der Vorgänger ‚The Golden Age of Apocalypse‚ Ansätze aus Jazz, Soul, Fusion-Rock und Elektronik unverbindlich ineinander fließen ließ und nähert sich daneben noch weiter ‚Cosmogramma‚ und ‚Until the Quiet Comes‚ an. Den kongenialen Kumpel Flying Lotus abermals in den Co-Produzentenraumanzug zu stecken mag ‚Apocalypse‚ manchmal gar zu weit in die Komfortzone des 29 jährigen Ellison führen – etwa wenn die Bässe im deplatzierten ‚The Life Aquatic‚ butterweich und unheilvoll hämmern, während die Twilight Zone im Hintergrund stimmungsvoll blinkt; oder ‚Seven‚ einen verspulten Beat hartnäckig und klassisch Brainfeeder-mäßig neben der nervösen Spur rackern lässt – dennoch ist es alleine aufgrund des warmen Sounds der Platte die ideale  Entscheidung gewesen. Zumal ‚Apocalypse‚ ohnedies ein organisches Flickwerk geworden ist, dass sich lieber fühlen, als analytisch aufarbeiten lassen will.

Thundercat setzt stärker noch als auf ‚The Golden Age of Apocalypse‚ auf das lose Verwachsen von Ideen und Ansätzen, bietet frei schwebende Gedankengänge an, ohne sie zwangsläufig zu ausformulierten Songs oder einem stringenten Ganzen zu verdichten. ‚Apocalypse‚ wirkt mit seltsam ziellosen Visionen wie ‚We’ll Die‚ deswegen stets zerfahren und sprunghaft, ist mehr stimmungsvoller Trip als kohärentes Album: der rote Faden ist aber gerade die strukturgelöste Herangehensweise und die zügellose Atmosphäre, die Unvorhersehbarkeit der Platte Quintessenz der Dynamik .
Als Ankerpunkt dient Thundercat noch vor seiner weichen, gefühlvollen Stimme der allgegenwärtige Bass. An ihm fühlt sich Bruner wohl, ihn lässt er über, unter, neben und mitten im Geschehen schrubbeln, zucken, wabbern, schnepfen: ein verlängerten Arm als allgegenwärtigen Antriebsfeder, nah am Free-Jazz und technisch so unheimlich virtuos und unangestrengt gespielt, dass es eine einzige, rauschhafte Freude ist. Dazu quasi der Kitt, der das restliche Sammelsurium an Sound-Experimenten zusammenhält und im feinen 70s-Vibe (‚Oh Sheit, It’s X!‚ als waschechter Discotänzer und Funk-Hit überspannt den Bogen dennoch am genüsslichsten/fragwürdigsten) immer wieder auch den Flirt mit dem Pop zulässt.

Heartbreaks + Setbacks‚ ist derart zu einem sexy groovenden Schmuser mit ordentlich Soul im betörenden Herzen geworden, ‚Without You‚ im anachronistischen Captain Future-Look ein ebensolcher, abwartend gespielt und erst am Ende aus sich herausgehend. ‚Tron Song‚ nutzt dagegen Klackerbeats und eine grundsätzlich forcierte schiefe Optik, um das Herz von Bruners Katze zu gewinnen. Grenzen setzt Thundercat dieser Musik die keinem Diktat folgen will im zweiten Anlauf eben noch weniger als im ersten. ‚Tenfold‚ imitiert pumpende Clubmusik in Schräglage, während sich alle Bausteine gegenseitig im Tempo zu verschieben beginnen, Hip Hop unter Narkose mit Liebesbedürftnissen muss dann wie ‚Evangelion‚ klingen. Die catchy Gesangslinie von ‚Lotus and the Jondy‚ sagt deliriant „Pop„, der Bass weit unter dem Meeresspiegel meint aber vor allem „Radiohead“ – bis plötzlich alle Halteseilen reißen und der Song tief in dem Jazz-Keller steigt, das Killer-Schlagzeug von Ex-The Mars Volta-Monster Thomas Pridgen kein Halten mehr kennt und im Impro-Jam Fieber ohne Erbarmen ein göttliches Solo loslegt.

Das Finale von ‚Apocalypse‚ zelebriert Thundercat in ‚A Message for Austin / Praise the Lord / Enter the Void‚ zu Beginn mit elegenaten Streichern, bevor der Track plötzlich wie vieles auf dem zweiten Studioalbum des Kaliforniers ein wenig die Orientierung verliert und versandet. Wo ‚The Golden Age of Apocalypse‚ sich noch Fusion-lastiger als Versuch einer modernen Jazz-Platte durchaus nachvollziehbarer gab, entwickelt ‚Apocalypse‚ eine gewissermaßen süchtig machende Faszination einer gigantischen Baustelle mit Ambitionen in zu viele Richtungen. Auch zerrissen durch ihre beiden Kreativpole, auf halbem Weg zwischen Thundercat und Flying Lotus halluziniert, ist Bruners Wundertüte mit ordentlich zelebriertem Muckertum deswegen vielleicht nicht auf Augenhöhe mit den bisherigen Kollaborationen der beiden Musikerfreunde anzusiedeln, dafür aber eventuell der ideale Nähr- und Experimentalboden für zukünftigen Großtaten des dynamischen Duos.

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