Touché Amoré, Self Defense Family, Dad Punchers [27.11.2013 Flex, Wien]

von am 28. November 2013 in Featured, Reviews

Touché Amoré, Self Defense Family, Dad Punchers [27.11.2013 Flex, Wien]

Ganz am Ende ist dann gefühltermaßen tatsächlich pure Hardcore-Magie im Spiel: Jeremy Bolm springt von der Bühne und prescht durch die Menge, die daraufhin gleichermaßen gemeinsam den finalen Gesangspart von ‚Honest Sleep‘ übernimmt, wie den Touché Amoré Frontmann unter einem Berg schwitzender Leiber begräbt. Als sich die Wogen zu glätten beginnen scheint der Sänger in der aufgeheizten Masse jedoch spurlos vom Erdboden verschluckt worden zu sein.

Wie er dies bewerkstelligt kann da im Eifer des allgemeinen Gefechts schon als grandioser Griff in die inszenatorische Zauberkiste interpretiert werden. Und nur direkter Abschluss der persönlichen Überraschung, dass einer der beiden Österreich-Termin der Tour rund um das allerorts gerühmte Drittwerk ‚Is Survived ByTouché Amoré in das mutmaßlich zu kleinen Flex führt – nur um irritiert feststellen zu müssen , dass die Kapazität eine mehr als ausreichende ist.
Wie auch immer: letztendlich wird der wie vom Erdboden verschluckte Bolm natürlich wieder auftauchen, aus dem Backstagebereich geschlendert kommen um den Abend so zu beenden, wie er knappe zweieinhalb Stunden davor begonnen hat: im Plausch mit Self Defense Family-Bassistin Kaila Stone vor der Bühne.

Dad Punchers Live 1

Mit diesem ist es natürlich zu Ende sobald Dad Punchers alias Touché-Drummer Elliot Babin samt Tourverstärkung pünktlichst um 20.00 Uhr die Bühne betritt und damit einige Konzertbesucher auf dem falschen (weil zu spät kommenden) Fuß erwischt.
Den noch mangelnden Andrang an der Bühne machen Bolm und Stone kurzerhand in Eigenregie wett indem die beiden gut gelaunt zum munteren Slamdance ansetzen um sich selbst (und vor allem ihre Kollegen auf der Bühne) zu amüsieren – eine Aktion die vor allem die den ganzen Abend herrschende Grundeuphorie seitens der Musiker auf den Punkt bringt, wie grundsätzlich angesichts der musikalischen Ausrichtung der Dad Punchers natürlich ein wenig überzogen ist. Aber es stimmt schon: live kommen die poppigen Indiepunkrockcollegesongs von ‚These Times Weren’t Made for You‚ und Co. nochmal eine ganze Schippe kurzweiliger, zwingender und besser herüber als auf Platte, weil man selbst jenen hymnischen kleinen melancholischen Songs die „davon handeln dass im Nebenzimmer jemand der dir wirklich wichtig Sex hat – und zwar so, dass du es mitanhören musst“ schlichtweg den Spaß anhört, der hinter ihrer Entstehung steckt.
Oder: da scheint endgültig der Knopf aufgegangen zu sein – was bedeutet dass sich Nahverwandte wie Title Fight zukünftig wohl warm anziehen werden müssen!

Self Defense Family Live 1

Das Publikum dankt mit artigen Applaus, lässt sich vom Gebotenen aber nicht aus der Reserve locken. Was dann Patrick Kindlon ein wenig zu irritieren scheint – hätte der schlacksige Amerikaner doch wohl gerne mehr Interaktion seitens des statischen Publikums beim Auftritt seiner mittlerweile (von End Of A Year über End Of A Year Self Defense Family ausgehend) unter dem Banner Self Sefense Family firmierenden Band.
Dabei wäre eine wild moshende Menge angesichts des Gebotenen womöglich ohnedies kontraproduktiv. Self Defense Family spielen ihren Posthardcore hinten unheimlich dicht, aber vorne sphärisch in alle Richtungen offen, sind gleichermaßen an alten Dischord Bands wie neuen Deathwish Inc.-Standards geschult und greifen auf Material aus knapp einem Dutzend ihrer bisherigen EP-Veröffentlichungen zurück, das sich schon mal über zehn Minuten dehnen kann und es sich dabei im weiten Raum zwischen La Dispute und Chelsea Wolfe, angepissten Hardcore und treibendem Postrock kantig eingerichtet hat. Was bedeutet: Selfe Defense Family sind schlichtweg großartig.
Kindlon empfiehlt sich dazu als schamanenhafter Ausdruckstänzer und auch Entertainer erster Güte, unterhält während der Songpausen mit kleinen Anekdoten, launischen Ankündigungen ein für den Veranstaltungsort zu kurzes Set zu spielen oder lässt sich vermeindlich im deutschen Vokubular unterrichten („Schpitz-Schpitz“), konterkariert damit die speiende, spuckende Katharsis der Songs mit launigem Humor. Self Defense Family muss man am Radar behalten, die könnten in dieser Inkarnation noch über End Of A Year hinauswachsen.

Während Kindlon und seine Kombo ihren berauschenden Genretanz nach einer knappen Dreiviertelstunde dem Ende hin an- und -abschwellen lassen ist Dad Puncher Elliot Babin Backstage von der hautengen Röhrenjean längst in seine traditionell superkurzen Shorts geschlüpft, wärmt sich mit Nackenübungen auf. Nur vernünftig für den folgenden Hochleistungssport den seine Hauptband betreiben wird.
Nach minimaler Umbauphase stehen Touché Amoré dann auch auf der Bühne und entfachen von der ersten Sekunde an ein pures Feuerwerk: jedwede Bewegungsarmut vor der Bühne verwandelt sich mit den Klängen des einleitenden ‚Pathfinder‚ in einen rasanten Tummelplatz, in dem sich die Körper übereinanderwerfen, jeder seine Textsicherheit in Jeremys  Mikro brüllen kann und darf, Schweiß in Ströhmen fließt. Band und Publikum peitschen sich gegenseitig hoch, Stagediver springen von der Bühne, in sichere Hände oder ins Nichts. Touché Amoré lassen ihre Songs in der abwechlungsreichen Setlist nahtlos explodieren, eilen von neueren Geniestreichen wie dem energischen ‚Just Exist‚ zu ruhigeren Momenten ala ‚Harbor‚, aber vor allem die Glanzstücke von ‚Parting the Sea Between Brightness and Me (insbesondere ‚Method Act‚ und ‚Home Away From Home‚) werden besonders ausgelassen gefeiert.

Überraschend wird ‚Hurt‚ von Nine Inch Nails angerempelt, ‚And Now It’s Happening In Mine‚ als ‚Spacejam‚ geführt und auch das brilliante ‚Gravity, Metaphorically‚ in den Husarenritt eingebaut. Irgendwann reißt Bassist Tyler Kirby zwangsläufig der Gurt am Bass. Anstatt weiterhin wie wild auf die Monitorboxen zu springen bringt er den Song in der Hocke zu Ende: nichts kann diese sehnige Urgewalt von einer Band an diesem Abend stoppen. Bolm zeigt sich begeistert („this is beyond our expectations!„) und spricht vom bisher besten Wien-Konzert von Touchè Amorè. Man glaubt dem Mann, nimmt es ihm wie seine  konzentrierte Freude am Geschehen ohne Überlegung ab.
Nach dem orgasmischen Titeltrack der Platte knallen Touché Amoré noch das überragende ‚Non Fiction‚ und eben ‚Honest Sleep‚ vor den Latz, verzichten dankenswerterweise auf die Farce names Zugabe: nur die logische Konsequenz einer beindruckenden No Bullshit-Show allererster Güte, einem atemlosen Reigen purster Hardcore-Perfektion. Danach ist ohne große Worte Schluß. Die hätte es freilich auch nicht gebraucht: Touché Amoré unterstreichen ihre Vorherschaft im zeitgenössischen, emotionalen Hardcore.

Touche Amore Setlist

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