Uboa – Impossible Light
Selten hat eine Symbiose aus Death Industrial, Dark Ambient und Harsh Noise ein imaginativ derart konkret formuliertes Drehbuch für das innere Auge zu bieten, wie Uboa es sich für Impossible Light abgerungen hat.
In A Puzzle etwa scheint man mitten drinnen im Horror zu sein, man versteckt sich im Wandschrank vor dem Killer, bis dieser zum Störfeuer der Frequenzen die Türe aufreisst, mit perkussivem Irrsinn und wahnsinnigen Schreien in rasender Verzweiflung eine infernale Tortur startet, während Sleep Hygiene die kaputten Field Recordings einer postapokalyptischen Welt einfängt, in der halbverhungerte Vogelkreaturen vom Meer her an den Strand ziehen, um einer verwunschenen Ballade zu lauschen, die bald fauchend und dampfend und fiepend als Industrial-Chimäre zwischen Härte und Anmut detoniert, um gen Chelsea Wolfe dystopisch durch Ruinen zu treiben, und dem im Zeitraffer angespielten Roadmovie dann einen Acoustic-Appendix gönnt.
Wo man einzelne Passagen wie diese durchaus derart szenisch aus dem Ganzen lösen kann, ist Impossible Light aber vor allem auf sein Gesamt-Narrativ bedacht und erzeugt als ganzheitliche Odyssee einen runden Spannungsbogen, in den man sich im Suspense mit einem steten Gefühl des Unwohlseins verlieren kann – wie ein Abstieg in den Kaninchenbau mit Rückweg (oder „to hell and back“) inklusive Redemption Arc im überragenden zweiteiligen Finale.
Dort wandelt sich das müde abgekämpfte Wehklagen des titelstiftenden ersten Parts über eine aus dem Leim gehende Spieluhr, deren Ausstrahlung angesichts des vorangegangen Achterbahn-Martyriums aber dennoch irgendwie zuversichtlich wirkt, sich nach einem Viertel der knapp zehnminütigen Spielzeit Hand in rezitierende Hand mit otay:onii aus dem Regen in vorsichtiger Majestät erhebt, derweil erlösende Sonnenstrahlen wie magische Elemente funkelnd durch die Wolkendecke brechen, um den versöhnlichen Einklang mit den inneren Dämonen von Uboa zu einem mit sich selbst im Reinen stehenden Epilog führen.
Mit heimlich in den Kosmos geschleusten Gästen wie Charlie Looker und Haela Hunt-Hendrix ist Impossible Light ein Konzeptalbum über „queer sexuality, trans embodiment, grief, and hope of recovery“ – es funktioniert aber auch losgelöst von diesen durch Xandra Metcalfe auf ihrem fünften Uboa-Langspieler vorgegebenen Orientierungspunkten als universeller Exorzismus für den den Hörer.
Phthalates flimmert als Überblenden aggressiver Nachrichten über einem stoisch aufgerauhten dem Sound-Teppich, wo fie generell relativ saubere, klare und kraftvolle Produktion im Kontrast zur hässlichen Fratze der Platte stehen wird. Ständig scheint im Verlauf irgendwas irgendwo im Hintergrund zu Bruch zu heben, überall prasseln Scherben umher, es klirrt und scheppert – und jede Dekonstruktion ist hochauflösend eingefangen. Der mechanische Sendersuchlauf gebiert ein langsames Anschwellen über dem Drone als düster-bedrohlicher Score, womit die abgründige Collage jene finstere Stimmung für Impossible Light setzt, in der Uboa ihr stringentes Worldbuilding auffächert. Über dem choral Backdrop von Endocrine Disruptor erhebt sich eine sphärische Präsenz in kontemplativer Aufbruchstimmung zu einem Gesang, der als griffige Darkwave-Melancholie Schönheit und Drama verätzt. Gordian Worm pulsiert in retrofuturistischen Abwasserschächten, wo Blood of Pomegranate einen synthetisch entschleunigten Alternativ Rock züchtet, der sich immer härtere Konturen gönnt, von der gehauchten Filigranität zur dichten Action gespannt – bevor Impossible Light über seinen Mittelteil gewissermaßen reversiert.
Pattern Screamers beginnt als märchenhaftes Durchatmen und fernöstlicher Hackbrett-Traum im sanften Wellengang eines sphärischen Choral-Parts, friedliches Unbehagen erzeugend, bis plötzlich eine radikale Attacke hereinbricht und kasteiend im ätherischem Meer badet. Im Herzen von Jawline findet dieser Zustand Ruhe, wo Geister gemein und anschmiegsam flehend mäandern, damit Weaponised Dysphoria als Ghost in the Machine-Nervenzusammenbruch exakt den umgekehrten U-Turn machen kann und in die ambient schwimmende Meditation eskaliert.
Nicht alle diese Momente zünden auf emotionaler Ebene bedingungslos, einige Wendungen passieren von einem rein kompositorischen Standpunkt auch zu formelhaft forciert. Doch wie Impossible Light zu seinem Klimax führt, seine von Texten weitestgehend befreite Handlung bis dorthin konkret verfolgt, hat gerade über die Grenzen der 43 Minuten hinausgehend etwas kathartisches, erfüllendes. Trotz seiner eindeutigen ästhetischen Prägung kann jeder Durchgang andere Facetten in der Wahrnehmung stärker forcieren, wo eine Art vertrauter, universeller Reiz arbeitet und damit schlimmstenfalls eine Art fesselnden Soundtrack für den Exorzismus im Alltag bietet.
Eirik - 21. August 2024
Hach, nirgens schwurbelt man so schön über Musik wie hier. Was für ein Wortsalat! Zu schön. Ich weiß zwar nach dem Lesen nie wie die Musi denn nun klingt, aber es ist immer wieder spannend zu lesen – auch wenn ich nur bis zum zweiten Absatz kommen sollte. Ich finde jedesmal wieder am interessantesten, ob diese oder jene Formulierung denn mal wieder auftaucht. Nach Jahren kann ich viele schon auswendig und wende sie im Alltag treffsicher an. Mir juckt es mittlerweile oft in den Fingern, mich nun auch einmal an so einem Kunstwerk zu versuchen. Ich denke, ich bin fast bereit.
Danke Oliver, ohne diese Seite hätte ich viele gute und großartige Bands und Platten nicht entdeckt. Das ist ernst gemeint. Wenn ich denn bis zum Schluss so eines Reviews komme und sich mein musikalisches Ich nicht vom Formulierungsbombardement schwindelig um sich selbst dreht, höre ich mir den Stream auf Bandcamp (der hier ja großartigerweise im Gegensatz zu anderen Seiten meist verlinkt ist) an und es geht die musikalische Sonne auf oder unter. Mit den vorher gelesenen Worten ergibt sie ein unlösbares Amalgam in meinem Gedächtnis, dass jedes Mal beim Hören wieder nach vorn schwappt um sich als Satzgefügemonster (je nach Musik) vor meinem geistigen Auge zu manifestieren.