Arcade Fire – Pink Elephant

von am 20. Mai 2025 in Album

Arcade Fire – Pink Elephant

Arcade Fire finden (im Gegensatz zu Ryan Adams und anderen) immer noch im allgemeinen Feuilleton der pop-Kultur statt. Allerdings sind die Enthüllungen der vergangenen Jahre nicht unbemerkt an der Band vorübergegangen, wie Pink Elephant beweist.

Um, entgegen der Platte selbst, zum Punkt zu kommen: Es scheint, als wären Arcade Fire nicht nur die prominenten Kollaborateure abseits von Produzent Daniel Lanois abhanden gekommen, sondern dem Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne das Hemmungslose und vor allem auch der Wille zum Exzess – hinsichtlich des Songwritings und der Darbietung im seit über einem Jahrzehnt synthetisierten Trademark Sound.
Pink Elephant wird nämlich erst ganz an seinem Ende, mit dem polternden Rebellion (Lies)-Selbstzitat Stuck in My Head, doch noch aus sich herausgehen und – ohne den sprichwörtlichen Elefant im Raum aufgearbeitet zu haben – zur Katharsis schreien: „Clean up your heart, clean up your heart, clean up your heart!

Bis die Kanadier jedoch zu diesem höchstens ansatzweise erlösenden Abschluss finden, suhlen sich Arcade Fire auf eine Art und Weise in einem betont verhalten Album, das einem sich selbst beschränkenden Coitus interruptus gleichkommt. Oder einem stimmungsvoll ausgelegten Zug zur großen Geste mit ständig angezogener Handbremse, das Ziel nie erreichend. Dem Tanz um den heißen Brei als Warten auf Godot, quasi.
Jedenfalls ganz so, wie es der Titelsong als Vorab-Track angekündigt hat: Die Band, die sich bisher für das Hymnenhafte stets überschwänglich aus dem Fenster zu lehnen bereit war, gibt sich nun betont bedächtig und zurückhaltend, bleibt sprichwörtlich so demonstrativ am Boden – und macht ohne erhebendes, euphorisierendes Spektakel einfach weiter. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Mit Songs, die das Versprechen der patentierten Arcade Fire-Klasse anhand so vieler Ohrwurm-Melodien in sich tragen, ohne es in ergreifender Konsequenz einzulösen.

Das ambiente Synth-Intro Open Your Heart or Die Trying setzt als vage seine Sirenen schwelgen lassender Wellengang im Geiste von Blade Runner 2049 in einer dystopischen Welt den Rahmen, um in Geborgenheit durchzuatmen, und sich auszuschweigen – was in den (die zweite Albumhälfte weniger substanziell ausdünnenden) Interludes Beyond Salvation und She Cries Diamond Rain später noch einmal mystischer aufgegriffen wird.
Year of the Snake pulsiert mit stoischem Beat und wummerndem Bass knatternd am Post Punk, die ätherischen Gitarren perlen shoegazend. Lanois steht der Band an sich. Butler und Chassagne flüstern und die Spannungen schaukelt sich geduldig hoch, die Instrumente wären bereit zur Detonation. Doch der vermeintliche Ausbruch wird immer weiter hinausgezögert – bis das Szenario verpufft.

Auch Circle of Trust geht der Knopf nicht auf, obwohl die Band mit einem sicheren Händchen für starke Melodien und Hooks tanzbar in der Disco pumpt. Einem Porno genügten vergleichsweise auch kleine Geistesblitz, anstelle der großen Pathos-Klimax, für ein berauschendes Finale – doch dies fehlt hier symptomatisch.
Der Ausgelassenheit alter Tage wäre durch die wummernde Rhythmussektion auch im Semi-Hit Alien Nation Tür und Tor geöffnet. Win und Regine ziehen als Zentrum jedoch nach innen, statt nach außen – selbst wenn die Nummer in einer Foals’esken Stadion-Big Beat-Explosion mit heulenden Gitarren aus der Haut zu fahren droht – wo die folkloristisch schreitende Andacht Ride or Die sparsam inszeniert als Herzstück das romantische Bekenntnis zur Treue abgibt, bevor I Love Her Shadow mit Keyboard-Dominanz im Club stampft, unter schimmernden Texturen und liebevollen Melodien.

Was stets angenehm zu hören ist und ästhetisch durchaus reizvoll anzieht. Doch gehen Arcade Fire nie mehr dorthin, wo die Epiphanie der Schönheit wartet. Geschweige denn dorthin, wo es wehtäte. Und das frustriert.
Pink Elephant plätschert in einem schönen Fluss als schlüssiges Ganzes im Mangel an befreienden Höhepunkten mit latent unbefriedigendem Beigeschmack, manchmal beinahe langweilend. Ausgerechnet dort, wo vom Songmaterial her grundlegend auch das beste Album seit Reflektor (2013) hätte stehen können, wäre man nicht so demonstrativ auf bescheiden auftreten wollendes, jedoch mitunter selbstmitleidig wirkendes Wundenlecken in der Komfortzone konzentriert. Die flehende Inbrunst und emotionale Intensität als größte Arcade Fire-Tugend ist der diesmal seltsam solide unterwältigenden Gruppe auf ihrem zweitschwächsten Album, das sogar ein klein wenig wie ein Schwanengesang anmutet, leider abhanden gekommen.

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