Caroline Polachek – Desire, I Want to Turn Into You

von am 23. Juni 2023 in Album

Caroline Polachek – Desire, I Want to Turn Into You

Die ehemalige Chairlift-Sängerin Caroline Polachek legt auf Desire, I Want to Turn Into You – je nach Zählweise ihr zweites oder viertes Soloalbum – den Pop als zugänglich-massentauglichen Konsens mit individueller Prägung aus.

In enger Zusammenarbeit mit dem britischen Produzenten Danny L. Harle – und später auch mit dem Imput von Sega Bodega aus der allgemeinen Produzentenriege hervorstechend – entstanden, ist Desire, I Want to Turn Into You gleichzeitig auf eine unprätentiöse Weise arty und auf geschmackvolle Weise trendy, modern massentauglich und doch auf kreative Weise latent avantgardistisch – auf ziemlich barrierefreie Weise seinen Eklektizismus interessant aufbereitend und niederschwellig über die Hörerschaft der assoziativ nahen Imogen Heap und Kate Bush hinausgehend bis zum Klientel von Dua Lipa greifend anziehend.
Beispielsweise dem im ambient verschwommen Hopedrunk Everasking merkt man durchaus symptomatisch für viele andere Momente an, dass Björk oder Susanne wohl wichtiger als Sia und Co. für die Identität der Platte gewesen sein dürften.

Eine Pop-Wollmilchsau mit großer Auftrittsfläche also, auch wenn man den allgemeinen Hype um Desire, I Want to Turn Into You subjektiv nicht vollends nachvollziehen können muß: die einzelnen Songs sind aus tollen Szenen gestrickt, als Ganzes aber auch weniger erfüllend, können weder für sich noch als Gesamtwerk in die Regionen funkensprühender Euphorie greifen. Der Griff zu Desire, I Want to Turn Into You fällt als mitunter erste Wahl im bisherigen Pop-Jahr fällt dennoch leichter und naheliegender – wiewohl nicht restlos befriedigender – aus, als es der Kontrast mit der allgemein geweckten Erwartungshaltung vielleicht erzwingt.

Welcome to My Island schraubt die Stimmen nervig/extatisch hoch, um in einen unterkühlt rezitierenden 80er-Beat zu gleiten, schimmert und funkelt in catchy Synthies, Bässen und solierender Gitarren, gibt in seiner melodischen Aufbruchstimmung (gar ansatzweise rappend) die Richtung der Platte vor. Pretty in Possible pflegt die 90er mit einer düsterer dröhnenden Dubstep-Club-Atmosphäre, gibt dem erhebendem Wummern jedoch auch dezente Cinemascope-Streicher, derweil Bunny Is a Rider mit subversivem Downbeat pfeift. Die sommerliches an der Gitarre zappelnde Hibbeligkeit von Sunset setzt Endorphine frei, wohingegen das enigmatische Crude Drawing of an Angel so mystisch und kontemplativ wie ätherisch pluckert.

In Fly to You werden Grimes und Dido ein wenig verschenkt, doch der Kontrast aus Drum and Bass-Hektik über meditativen Synthies mit elegischer Choral-Patina und locker gezupften Saiten überzeugt über die illustre Gästeliste hinausgehend. Butterfly Net zieht sich erst an die Singer-Songwriter-Gitarre zurück, um sich mit relaxten Drums und anachronistischer Orgel in das Gespür für der trendresistenten Produktion gleiten zu lassen, und eine angenehm sehnsüchtig wehende Anmut zu erzeugen, die auch der imaginative in die Tiefe gehenden Hintergrund von Smoke (gewissermaßen Burial im Hyperpop?) für sich verbucht. Und der Dance-Appeal von I Believe hat exemplarisch einen Hit-Refrain, ohne die Charts in letzter Konsequenz zu erzwingen – und ist dennoch, oder gerade deswegen?, unwiderstehlich!

Die mäandernde, nicht zum Punkt findende Collage Blood and Butter fällt da um den ebenso schönen Chorus trotz Ethno-Felling in der etwas beliebigen contemporary Deklination mit Dudelsack-Tratra eher ab. Und auch der flächig auf einen akribischen Beat mit Rhythmus-Klickern und Flackern ausgebreitete Closer Billions findet trotz Chor nicht auf den Punkt und kostet dem Nachhall von Desire, I Want to Turn Into You potentiell an begeisternder Wirkung.
Denn Polachek gelingt hier über 45 Minuten eben ein wunderbares Album – dem man primär höchstens vorwerfen kann, dass es nicht so überragend ist, wie es nahezu überall hochgejazzt wird.

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