Frank Ocean – Endless

Prokrastination, Publicitystunt und die Liebe zur Ausschussware: Während Frank Ocean die Veröffentlichung seines Zweitwerks Boys Don’t Cry Blonde immer wieder bis an die Grenzen der Frustration verschiebt, hat der R&B-Meister die Zeit für ein Visual Album gefunden. Endless hinterlässt dabei jedoch den Eindruck einer ziellos dümpelnden Resteverwertung.
Würde der von Frank Ocean gedrehte Film hinter Endless nicht eine derartig akribisch und makellos in Szene gesetzte Ästhetik ausstrahlen (und der Regiedebütant auch auf musikalischer Ebene spätestens in der vocalüberlappten Familiendystopie Alabama verdeutlichen, wie ernst es ihm mit diesem Projekt ist), wäre man beinahe geneigt zu interpretieren: Sollte man dieses Interims-Album, dieses gefühlte Präludium zum kommenden Ernstfall, eventuell gar nicht erst zu ernst nehmen?
Ein ohne Vorlaufzeit über Nacht aus dem Nichts kommendes Album mit einem solchen Titel auszustatten, während die Anhängerschaft weltweit seit gefühlten Ewigkeiten auf den Nachfolger des vier Jahre alten Neo-Klassikers channel ORANGE wartet, muss doch immerhin pure Ironie sein. Weitere Hinweise für viel Chuzpe: Ocean starrt im zur Veröffentlichung gehörenden (Beinahe-) Schwarz/Weiß-Video permanent auf sein Smartphone, wenn er nicht als beharrlicher Handwerker der niemals vollendeten Arbeit des Kisten- respektive Treppenbaus nachgeht, während er die Rechte für Endless exklusiv an Apple abgetreten hat – obwohl das Wolfgang Tillmans‘ sampelnde Intro Device Control inhaltlich mit derartiger Markenfixierung abrechnet („With this Apple appliance/You can capture live videos/Still motion pictures shot at high frequency/Blurring, blurring the line“ heißt es an dieser Stelle noch, bevor am Ende die Abrechnung kommen wird: „An internet Scheiß/Ja, so ein großes device/Das schafft einen stream of life“). Ein reflexiver und, nun ja, subversiver Start in eine multimediales Experiment.
Tatsächlich besteht an der Ernsthaftigkeit von Endless kein Zweifel. Weswegen es noch ein wenig enervierender wirkt, dass das Album auf visueller Ebene abseits der narrativen Arthouse-Langeweile nur mit stilvollen Bildkompositionen zu gefallen weiß, wohingegen von den versammelten 45 Minuten Musik zu wenig markantes im reduzierte Spielfluss hängen bleibt.
Die knappen Tracklängen demaskieren Endless dabei eigentlich bereits ungehört als skizzenhafte Wankelmütigkeit und vage durchgewunkenes Sammelsurium an unfokussiert umrissenen Ideen: Manche davon lassen durchaus den Funken Genialität aufblitzen (etwa der narkotisierte Hip Hop von U-N-I-T-Y mit seinen ätherischen Gitarrenlinien; die luftige Trap-Annäherung Comme Des Garçons mit seinem Drake-Flair; das zum Brainfeeder-Jazz mutierende Kleinod Wither; die Dubstep Ambient-Übung In Here Somewhere oder das dunkel pulsierende Flamenco-Delirium Slide On Me vor der flüchtig bleibende Lauryn Hill-Verneigung Rushes), doch weite Strecken bleiben zu lose im Gesamtfluss plätschernd. Tauchen dann zwischen all den gefühlten Interludes und ziellosen Einfällen doch noch weitestgehend zu Ende gedachte Songs auf Endless auf, mäandern diese allerdings mühelos in Richtung intimer Schönheit (das Aaliyah-Tribut und Isley Brothers-Cover (At Your Best) You Are Love, für das Ocean gemeinsam mit James Blake und den Streicherarrangements von Jonny Greenwood die Grenzen des Minimalismus auslotet; auch die schmerzhaft intim über das Griffbrett gleitende Elegie Rushes To). Diese ändern nichts am einnehmenden, aber wenig dezenten Ausschusswaren-Charakter eines Albums, sorgen aber für Highlights auf einem musikalischen Bewusstseinsstrom, der letztendlich primär über seine nahtlos gespannte, sich stimmungsvoll entfaltende Atmosphäre funktioniert.
Wenn Ocean Endless mittels des knapp 10 Minütigen Higgs in Form einer nervtötenden Dance-Pseudo-Kraftwerk-Annäherung an das Eingangs zitierte Device Control zu einem Möbiusband umfunktioniert, seine Odysee gar nicht erst selbst beendet, zementiert dies jeder Seriösität dieser ambivalenten Veröffentlichung jedoch auch einen stiefmütterliche Fußnoten-Stempel. Das größte Problem einer so interessant durchlaufenden, fragmentarisch arbeitenden und hinter ihren Möglichkeiten bleibenden Kollektion ist insofern jedoch wahrscheinlich ohnedies ein anderes: Dass Interesse daran besteht, Endless überhaupt noch zu erforschen, sobald Boys Dont Cry (oder wie man beim Verfassen dieser Zeilen nun weiß:) Blonde erst einmal veröffentlicht ist, darf bezweifelt werden – und dessen ist sich wohl nicht zuletzt Ocean selbst auch bewusst.
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