Josh T. Pearson – The Straight Hits!

von am 15. April 2018 in Album

Josh T. Pearson – The Straight Hits!

Mit (dem 2017 in einer grandiosen Rundumversion neu aufgelegten) Lift to Experience-Debüt [amazon_link id=“B01N8SKFMB“ target=“_blank“ ]The Texas-Jerusalem Crossroads[/amazon_link] sowie seinem Solo-Einstand [amazon_link id=“B004IJESY8″ target=“_blank“ ]Last of the Country Gentlemen[/amazon_link] von 2011 hat Josh T. Pearson gerade einmal zwei vollwertige Studioalben benötigt, um sich eine enigmatisch zur Legendenbildung tendierende Reputation aufzubauen. Mit The Straight Hits! scheint er diesen Ruf nun demonstrativ untergraben zu wollen.

So vieles möchte sich alleine ungehört nicht mit der nach monolithischem Gewicht strebenden Ernsthaftigkeit in Einklang bringen lassen, für die Pearson bisher stand. Aus dem emeritierten Methusalem ist in ein lässiger Cowboy-Sunnyboy mit John Waters-Bärtchen geworden, der frisch rasiert mit adrett über die Schulter geworfenen Jackett vor einem rosa Hintergrund schlendert, der die existenzschwere Düsternis von früher demonstrativ konterkariert.
Und was bisher in bis zu 12 minütigen Brocken münden konnte, die sich nicht zwischen einem kargen Country-Minimalismus und erschöpfenden Postrock-Jam-Dekonstruktionen entscheiden mussten, sollen jetzt plötzlich an die Stelle Hits treten?

Auch wenn Pearsons Charakter immer noch zu prägend und unverkennbar ist, um eine den vollständigen Cut erzwingende Wesensänderung in der Musik des Texaners zu erzeugen, bedingt The Straight Hits! mit konzeptuell proklamierten Lebensstil-Wandel eine durchaus zu Ende gedachte Zäsur entlang eines straighten 5 Punkte-Plans: „In the last years I learned to dance, take drugs, make love… choose life“ says Pearson. „I got rid of the beard, cut my hair and started wearing colour. I burned down all my idols and realised in the process that I needed to burn down my reputation as fast as I could too. I felt constricted by the old stuff and I didn’t like being in a cage. It wasn’t letting me move on.“ erklärt Pearson.
In gerade einmal drei Tagen entstanden so 9 Songs, die von einer neue Griffigkeit, lebendigen Aufbruchstimmung und spontanen Kompaktheit geprägt sind, vielleicht sogar erstmals einen gewissen optimistischen Spaß und das Momentum nutzenden Unterhaltungswert seitens des 44 Jährigen Pastorensohns transportieren.

Eine „departure from years of long-form songwriting with tunes meant to hit straight and to the point“ also. „They all had to be direct hits although I don’t know if I got the ‚hits‘ part right, but I did think it was funny calling it a ‚hits‘.
Lustig, und tatsächlich nicht gänzlich falsch –  wenn auch auf ziemlich schroff-schnoddrige Art. Straight Laced Come Undone gibt etwa die fast schon flapsige Country-Idee am Lagerfeuer, mit einem gen Lou Reed lallenden und gnödelnden Pearson; Damn Straight! folgerichtig die sparsame Schönheit für die Veranda, inklusive Soul-Rückständen, Fingerschnipsen und verdammt viel Gefühl.
Angenehm reduzierte Balladen wie Whiskey Straight zeugen sowieso von Pearsons immanenter Klasse, allerdings zudem ebenso von der Funktionalität der neu auferlegten Dogmen. Sogar mit subtileren Mitteln belohnt die angedachte Geradlinigkeit mit einer Annäherung an eine ungewohnt schmissige Catchyness. Da kann Loved Straight To Hell dann auch mit dramatischen Untertönen im Garagesound schrammeln und scheppern, dringlich brodeln, ohne den erzeugten Climax tatsächlich aufzulösen, aber dann aber mit düsteren Hymnik über den Horizont als Herzstück anzuschweifen; oder Give It To Me Straight in einem flotten Barschunkler münden, bei dem sich alle feuchtfröhlich in den Armen liegen – genau dorthin wollte Patrick Stickles mit A Productive Cough übrigens unlängst. Flimmernde Synthies tänzeln dann über den stacksenden Rhythmus von Straight At Me, Handclaps und ein nonchalantes Pfeifen beamen die Nummer samt zerschossenen Effektgewirr sogar ansatzweise in den trippigen Space Rock. Das Repertoire ist nicht nur zwischen den Zeilen gewachsen.

Am ansatzlosesten überzeugendsten ist Pearson jedoch, wenn er aus vertrauten Gefilden heraus neue Perspektiven findet. Straight Down Again! entfaltet sich etwa grundlegend nicht weit von Last of the Country Gentleman entfernt, raunt aber schräger, und wäre so bisher wohl ohnedies nicht möglich gewesen: Die ätherisch-verträumt plätschernden Klavierarrangements sind eine bereichernde Wohltat. Das nostalgisch und wehmütig aus der Zeit gefallene Andenken The Dire Straights Of Love präsentiert Pearson hingegen als croonenden Erzähler vor einem Szenenbild voll gospelschöner Chor-Versatzstücken, gezupfter Filigranität und einer schnipsenden Leichtigkeit, die sich zu jedem Augenblick so unaufgeregt und betörend im Griff hat.
Und das famose A Love Song (You Set Me Straight) ist dann ein abgedämpfter Funeral Blues, wie Mark Lanegan ihn nicht mehr spielen will. Pearson sinniert flüsternd über einen stoischen Bass und dumpfen Drumbeat, der Synthie wärmt mit stellarer Anmut. Immer weiter kriecht der Closer ungemütlich zu einem erhebend schönen Refrain, schraubt sich in orchestrale Größe mit einem Bläserfinale samt brennenden Gitarrennoise darunter, bevor der Songs sich in unwirkliche Reverbwelt zurückzieht. Danach schwebt nichtsdestotrotz die Frage im Raum, ob hier (im Speziellen und auf The Straight Hits! im Allgemeinen) nicht mit ein bisschen mehr Sorgfalt und Zeit in der Ausarbeitung sogar noch mehr möglich gewesen wäre.
Auch nachzuhören, wenn sich Pearson für den knackig nach vorne rumpelnden Rocker Straight to the Top! im Bandgewand an Lift to Experience aus der Perspektive von Grinderman erinnert. Die Wucht bleibt weniger emotional als bisher, es geht eher um den ausgelassenen Spaß an der Sache. Derartige kleine – relative – Schönheitsfehler sind es auch, die The Straight Hits! ein wenig unter seinem eigentlichen Wert aushölen, ein Laissez-faire-Momentum über die nachdenkliche Gravitation stellen.

Damit bleibt The Straight Hits! eine ambivalente Platte, deren Wert man erst zu schätzen lernen muss. Die 43 Minuten können erst enttäuschen, weil sie die Erwartungshaltungen über weite Strecken derart augenzwinkernd ignorieren; dann unbefriedigt wirken, weil es scheint, als würde Pearson sich selbst nicht trauen, wenn ihm nicht die Last der Welt auf den Schultern liegt, sondern der Schalk im Nacken sitzt.
Und ja, The Straight Hits! wäre wohl noch besser gewesen, wenn all die pointiert angeheiterten Sperenzchen, jauchzende Überdrehtheit, karikierende Country-Manierismen oder mäandernden Elvis-Intonierungen in einem unrund-sprunghaften Fluss besser dosiert worden wären, die Tiefenwirkung auch zu weniger selbstgefälligen Szenen vordringen dürfte. The Straight Hits! gibt sich nach außen hin ein wenig zu nebensächlich und wie eine wenig seriöse Fingerübung – alleine der aufgefahrene Witz und Verve wirken mit Pearsons Vergangenheit im Hinterkopf irritierend (oder zumindest so ungewohnt), ein bisschen weniger Satire an der Grenze zur Selbstpersiflage hätte wohl so oder so niemand vermisst.
Mit etwas Abstand erweist sich das variable Kaleidoskop aber mit jedem Durchgang eine klein wenig mehr als durchaus nachhaltig und gewichtig, weil schlichtweg die Substanz der zehn Songs stimmt. The Straight Hits! ist kein billiger Klamauk, sondern überzeugt auch textlich und schafft die Zäsur im Werk von Pearson mehr als alles andere eben auch gerade in seiner Funktion als das anvisierte, kurzweilig unterhaltsame Freispiel. Mögen die magischen, überlebensgroßen, erschlagenden und bedingungslos aufopfernden Momente auch fehlen, wird man nicht nur den zahlreichen Highlights einer Übergangsplatte auf lange Sicht immer wieder gerne begegnen – die besten Szenen hier haben kein Ablaufdatum.
Und irgendwo ist das bereits jetzt die Vermutung: Gerade auch indem The Straight Hits! den Mythos um Josh T. Pearson derart geflissentlich ignoriert, könnte die Platte durchaus auch zur weiteren Legendenbildung rund um eine Ausnahmeerscheinung beitragen.

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