Julien Baker – Tokyo

von am 15. Oktober 2019 in Single

Julien Baker – Tokyo

Nach der famosen Record Store Day-Single vor wenigen Monaten legt Julien Baker mit Tokyo und Sucker Punch zwei neue Songs (zumindest digital) vor, die in physischer Form Subscribern der Sub Pop-Vinylserie vorbehalten bleibt.

Langsam aber sicher machen sich vor dem etwas zaghaft vorangetriebenen Evolutionsprozess im Hintergrund derzeit allerdings auch eingeschliffene Routineabfolgen bei den Kompositionen der 24 Jährigen bemerkbar. Immerhin ist Tokyo in seinem stereotypen Steigerungstrieb im Grunde „nur“ eine eine weitere gefühlvolle Variation von Material, das man so bereits auf Turn Out the Lights gehört hat.
Stakkatohaft baut Baker atmosphärische Spannungen auf, pflegt eine erhebend anwachsende Intensität, die das The National‚eske Schlagzeug, ein dramatischer anschwellendes Piano und sphärische Soundschleifen mit erhebender Manchester Orchestra-Melodieseligkeit zu einem emotional explodierenden, immer lauter werdenden Hollywood-Klimax lotst, der an epische Feuerwerke in klaren Nächten der Aufbruchstimmung denken lässt – dann aber auch überfüllend plötzlich verglüht: „You want love/ This is as close as you’re gonna get/ Not enough/ Just as much as you think you can live with/ Hurt ‚til it’s all gone, baby It’s all gone, baby”.

Die Nummer hat trotz einiger interessanter Details im Mix (wenn etwa Bakers Organ plötzlich abgedämpft zurücktritt, anstatt frontal vorzustehen) und einem einnehmenden Ambiente einen enorm vorhersehbaren 0815-Aufbau mit kaum überraschendem Höhepunkt. Zwar hat die Nummer auf ihrem Weg dorthin etwas durchaus erfüllendes an sich, ist ergreifend und aufwühlend, hat eine wunderschön traurige Nostalgie.
Gemessen an den hohen Baker’schen Standards sowie ihrem jüngeren Tribut an Frightened Rabbit und eben dem Doppel aus Red Door bzw. Conversation Piece ist Tokyo dennoch eine kleine Enttäuschung. Das Songwriting scheint aktuell beinahe näher am Alternative Rock als am Folk veranlagt zu stagnieren, da der Fokus momentan primär auf einer (weniger orientierungslos als inkonsequenten) Entwicklung in der Inszenierung liegt, die sorgsam versucht am Postrock-geschulte Arrangements zu installieren.
Das unspektakulär-solide Sucker Punch ist danach trotzdem die klare B-Seite, wenn Baker eine Singer-Songwriter-Elegie ohne Aufregung durch eine gefällig klampfende Melodie plätschern lässt. Deswegen sind es auch hier wieder vor allem die feinen Texte, die das Stück mühelos über den Durchschnitt heben und den Baker’schen Wehmut eine einzigartige Tiefenwirkung geben, in der man sich als Fan nur zu gerne suhlt: „Tossing a cord and I’m Holding my breath/ Nobody’s faultless/ It’s anybody’s guess/ Bury me face-down/ So I can keep climbing in/ Help me to get out/ So that I can crawl back to it.

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