LCD Soundsystem – American Dream

von am 7. September 2017 in Album

LCD Soundsystem – American Dream

Erst vor knapp fünf Jahren hat James Murphy sein Flagschiff LCD Soundsystem mit viel Getöse zu Grabe getragen – im tanzbaren Elektrorock der Nullerjahre schien schließlich alles essentielle gesagt worden zu sein. Nun macht er mit American Dream zum Glück doch weiter.

Wäre David Bowie 2016 nicht verstorben, er hätte seine nominelle Band beerdigt gelassen, erklärte Murphy im Vorfeld des vierten Studioalbums von LCD Soundsystem. Wie das zu verstehen ist, macht American Dreams vor allem in der abschließenden Hommage Black Screen deutlich. Hier huldigt der 47 Jährige New Yorker Murphy dem außerirdischen Meister über annähernd 12 Minuten, sinister pulsierend: „You fell between a friend/ And a father/ I owe you dinner, man/ I owe you something„.
Geduldig flackert es aus der Vergangenheit, nostalgisch, neonfärbig und traurig ätherisch. Die analogen Synthies wirken bestens konserviert, wie SURVIVE sie in den vergangenen Jahren gepflegt haben, doch irgendwann tröpfelt eine minimalistische Klaviermelodie in die Andacht, weil Murphy eben eine Schwäche für tröstende Tränen als Closer hat. Letztendlich verschwindet das unkonkret bleibende Black Screen im Äther, schwelgt gedankenverloren in Erinnerungen und weiß: „You could be anywhere/On the black screen„.

Auch abseits des deklarierten Tributs ist Bowies Vermächtnis auf American Dream spürbar  – im Sound, im Songwriting, im Gefühl – mal deutlicher, mal subversiver. Indem Murphy die DNA des Starman nebst nostalgisches Fragmenten markant in das pulsierende Trademark Songwriting und patentierte Death From Above-Produktionsgewand einverleibt, wie es nicht einmal die Arcade Fire-Zusammenkunft Reflektor tat. LCD Soundsystem speisen auf American Dream ein latentes 80er und spät-70er Jahre Flair in ihre Schaltkreise, öffnen hypnotische, gar verträumtere Klangräume und zirkeln eigene Trademarks rund um den unvergleichlichen hauseigenen Groove sowie einige wenige auf Autopilot geschaltene Passagen der Routine durch ein anachronistisches Referenzbingo voller popkultureller Anspielungen und Querverweisen.
Der Opener Oh Baby sucht etwa nach sphärischen Nachfahren von Baba O’Riley im Weltraum und antwortet darauf mit Verweisen auf Suicide (Cheree!) und Kraftwerk, baut Spannungen mit aller Zeit der Welt auf, bleibt versöhnlich und kristallisiert seine Essenz immer dichter. Other Voices schwadroniert neben obligatorischen Cowbells entlang einer psychedelisch ausfransenden Gitarre in die schiefe Hypnose und hat astreine Talking Heads-Anleihen an Bord. Change YR Mind addiert zu eben solchen noch eine verschwommene Vision von Bowie, die Gitarre flirtet mit der Dissonanz und alles darum herum mit einem Zeitgeist der Vergangenheit. Das immer zappeliger werdende Emotional Haircut zeigt dann unverhohlen Richtung Gang of Four: „I caught your eye when I stepped outside with my emotional haircut/It seems that I’ve been misunderstood„.

Das krautige I Used To baut dagegen auf funkelnde Synthies ala Chromatics und schwelgt mit sehnsüchtigem Gesang. Und das überragende How Do You Sleep? wirkt wie eine atemberaubende Symbiose mit The Knife, düster und bedrohlich. Murphy singt krächzend gegen einen Abgrund an, über dem es brutal hämmert, der irgendwann doch auf den Dancefloor switcht und immer gleißender und hymnischer anzieht. Das Plattenhighlight braucht noch nicht einmal einen Refrain, weil es einen irren Sog hat. „Dance Yrself Clean for the worst year ever.“ nennt Al Doyle die Nummer nicht zu Unrecht.
Noch entwaffnender ist da höchstens der Titelsong, der als wunderschön bedrückter Traum wie eine retrofuturistisches Update von Twin Peaks wirkt und in Wehmut alleine über die leere Tanzfläche schwoft, im Gedanken zu entschleunigtem 60s Pop abdriftet.  Das sind Szenen, die die Rückkehr von LCD Soundsystem praktisch anstandslos rechtfertigen, indem sie den Kosmos der Band trotz gebliebener Handschrift eklektisch erweitern und so deutlich wie nie auch als Reminiszenz-Kaleidoskop funktionieren lassen – als zwischen Vergangenheit und Zukunft bastelnde Schnittstelle.

Zwar liegt der Reiz von American Dream bis zu einem gewissen Grad auch daran, dass Beatgenius Murphy die Platte so nah wie unbedingt nötig an seine bisherige Discografie heranführt und ausgehungerte Fanmassen auch auf Nummer Sicher gehend abholen kann (das tolle Tonite stammt etwa rein aus dem LCD-Baukasten, Call the Police braucht weniger dringend New Order als Inspiration, als vielmehr This is Happening als Blaupause), zwischen den Zeilen aber für ein rundum erfrischendes, vom bisherigen MO mitunter abweichendes Hörgefühl sorgt, das gerade auch dann furchtbar anziehend wirkt, wenn man die allgemeine Ergebenheit LCD Soundsystem gegenüber bisher nicht restlos nachvollziehen konnte.
Indem Murphy der unheimlich smarten, formvollendet in Bauch und Beine übergehenden Platte durchaus persönlichere Ebenen unterschiebt, ein wenig introvertiertere Wolken über dem LCD Soundsystem aufziehen lässt und die Stimmung damit bisweilen faszinierend abdunkelt, hinterlässt American Dream auf Gefühlsebene einen ähnlich nachwirkenden Eindruck wie hauseigene emotionale Instant Klassiker ala All my Friends. Die berieselnde Tiefenwirkung der allgegenwärtige Melancholie ist in den weitschweifend schwelgenden Songs zudem derart knackig inszeniert, dass die nahbaren 64 Minuten mit einer furiosen Kurzweiligkeit verfliegen und trotzdem vor allem im Momentum süchtig machen.
Eventuell ist American Dream damit ohnedies vor allem eine Platte geworden, die das Zeitgefüge relativ erscheinen lässt. Ein Comeback, dessen Songs raus mussten und eben kein Album der verpassten Möglichkeiten sein sollte. Schließlich wollte Murphy für Black Screen schließlich ein Spoken Word Outro erbitten – zuerst von Lou Reed, dann von Leonard Cohen. Beide Legenden verstarben, bevor die Pläne in die Tat umgesetzt werden konnten. American Dream sollte daraufhin keine weiteren Todesopfer fordern oder unvollendet bleiben. Vielleicht hat Murphy ja deswegen diese Platte geschrieben, die sich so elegant shakend vor der Musikgeschichte verneigt.

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