Luke Jenner – 1

Die Wahl des Albumtitels suggeriert einen gewissen Pragmatismus fälschlicherweise: Luke Jenner reflektiert auf seiner Rückkehr 1 mit einer fragmentarischen Sammlung zum selbsttherapeutischen Zweck, leider zu unausgegoren.
The Rapture scheinen (zumindest den sporadischen Comeback-Shows nach schließend) wieder lose aufeinander zuzugehen, während Frontmann Luke Jenner sechs Jahre nach dem offiziellen Ende der Band die Zeit für sein Solodebüt gefunden hat. Auf diesem versucht er gleichermaßen persönliche, in der Vergangenheit erlittene Traumata aufzuarbeiten, wie er seinen Platz als Familienvater in Relation dazu emotional in der Gegenwart zu verorten sucht.
Weil 1 eine derart explizit als Standpunktbestimmung dienen sollende Platte konzipiert ist, überrascht es allerdings sogar noch mehr, dass Jenner auf ihr unentschlossen zwischen den Stühlen sitzt, indem er sich stilistisch über 50 Minuten nicht entscheiden will, ob er seinen Art-Pop nun eher am Ambient ausrichten möchte, er die Erinnerung an The Rapture vage imaginieren will, oder er in zwangloser Nähe zum Erbe von Pink Floyd lehnend einem referentiellen Assoziationsdelirium folgt.
Schon der Einstieg löst die Strukturen dahingehend auf, ist lange Zeit ein weitestgehend instrumental konzipiertes Stück. A Wonderful Experience eröffnet mit einem (in weiterer Folge immer wieder herbeizitierten, gewissermaßen als roter Faden agierenden) Sample, um dann mit aller Zeit der Welt einen durchsichtigen Traum von Wish You Were Here mit einer vorne weg dösenden Gitarre hinterherzuplätschern. All My Love adaptiert dagegen eilig und behände treibend gefühlt Arcade Fire und die Neighborhood-Rhythmussektion über eine jazzig entrückten Textur, kontrastiert als Lavalampen-Entschleunigung.
Nach und nach steigt Jenners Stimme auf, tastet sich zielstrebig, aber sanft ausgeleuchtet in die Nummer. Das bekommt durch seine oszillierenden Gitarren und die harmonischer aufmachenden Melodien im Gesang ein erhebendes Flair, wie subtile U2, die zum dezenten Höhepunkt einer ergreifenden Filmszenen anwachsen wollen, um behaglich tröstenden Optimismus zu verbreiten.
Was anderswo ein veritabel ausgerichtetes Finale eines Albums gewesen wäre, ist hier ein früh das Gewicht bindendes Highlight – und leider auch ein relativ einsames.
Denn nur selten formt Jenner seine Ideen zu solch verhältnismäßig konventionell befriedigenden, natürlich eher dem instinktiven Flow folgenden Kompositionen mit Hand und Fuß.
Asshole beispielsweise setzt einen Telefon-Effekt auf die Stimme, und klingt damit wie eine aus der Algiers-Perspektive schwelgende Entschleunigung an der romantischen Schnittmenge aus Creep und Open Up Your Heart, wohingegen der Schlußpunkt About to Explode praktisch bei All My Love weitermacht, Heroes pulsierend adaptiert und den Titel bewusst als leeres Versprechen verglühen lässt.
Abseits davon reiht Jenner seine mitunter grandiosen Ideen jedoch viel zu zwanglos aneinander, schrammt ständig an einer frustrierenden Willkür vorbei, die ein stimmungstechnisch homogenes Ganzes wie ein fragmentarisch skizziertes Flickwerk erscheinen lassen. If There is a God fantasiert beispielsweise durchaus faszinierende von David Gilmour im Darkjazz, scheucht dann aber doch die patentiert zackig hallenden Achtel-Anschläge von Jenner durch die 80er-Disco, addiert dazu sphärische Space-Chöre und orientalisch anmutende verspielte Melodiehappen, liefert quasi ein unverbindlich Sammelsurium auf Kosten der ästhetische Kohärenz.
I’m Still Alive moduliert einen analogen Synthies-Loop mit zappeligem Schlagzeug – weil es geht, nicht weil es zielführende ist. Dieses an sich starke Experiment folgt deswegen auch einer Sackgasse, nimmt sich die Freiheit, weitere Szenen ohne Mehrwert zu erschaffen und diese in der Luft hängen lassend wieder aufzugeben. What Do I Dream About ist zwitschernder Folk und schrammelt mit einer 70s-Signatur wie auch You Know You’re In Love When You’re In Love später nicht über das Interlude hinaus, die Klavierballade You’re Not Alone entscheidet sich lieber für den wahllosen Retro-Anstrich und die Schräglage anstelle der Substanz.
Die One Day hebt lange nicht den Hörer ab, Als Collage am psychedelischen Lagerfeuer unter Sirenen und halbdösenden Harmonien. Nicht nur hier wird überdeutlich, dass Jenner dem auf 1 versammelten Material auf eine entschlackte EP-Länge herabgekürzt einen Gefallen getan, indem er anstatt soviel vermeintlich sinnlosem Mäandern eine pointiertere und effektivere Vision produzierte hätte. Dennoch ist der Effekt, den diese Platte erzeugt eine erstaunliche: Sie macht durchaus neugierig darauf, wo der weitere Jenner auf Solopfaden noch hinführen wird – gerade jetzt, wo er sich die Last von 1 von den Schultern genommen hat.
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