Mercury Rev – Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited

von am 10. Februar 2019 in Album, Sonstiges

Mercury Rev – Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited

Für Ihre regulären Studioalben brauchen Mercury Rev mittlerweile ja schon einmal bis zu sieben Jahre. Obskure Veröffentlichungen zwischen traditionsbewusstem Archivarwissen und unorthodoxem Forscherdrang gehen der Band aber scheinbar mühelos von der Hand, wie die galante Verneigung Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited beweist.

1967 landete die damals gerade erst 23 Jährige Bobbie Gentry mit ihrer Debütsingle Ode to Billie Joe einen Überraschungshit, der sich mehrere Wochen an der Spitze der Charts hielt. Das [amazon_link id=“B001QLTFOE“ target=“_blank“ ]dazugehörige selbstbetitelte Album[/amazon_link] verdrängte danach nicht nur [amazon_link id=“B019223SSC“ target=“_blank“ ]Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band[/amazon_link] vom ersten Platz der Billboard Charts, sondern bescherte Gentry in weiterer Folge auch drei Grammy Awards.
Eine Ausgangslage, die die junge Musikerin nur ein Jahr später für ein ambitioniertes Konzeptwerk nutzte, dass verkaufstechnisch nicht mit dem vorangegangenen Senkrechtstart konkurrieren sollte und wollte, sondern stattdessen kreativen Freigeist ohne Scheuklappen zelebrierte, auch einfach überforderte: [amazon_link id=“B001QBHW5S“ target=“_blank“ ]The Delta Sweete[/amazon_link] war seiner Zeit voraus, ist aus heutiger Sicht ein „forgotten masterpiece„, vor dem sich Mercury Rev nun in voller Länge verneigen: „This album is a loving tribute to that achievement, one of the greatest albums you have never heard. It is also a dozen new ways to walk that land.

Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited ist mit dieser Hintergrundgeschichte alleine deswegen eine durchaus mutige und auch ambitionierte Platte geworden, weil Mercury Rev den im Titel referenzierten Klassiker eben wie angedeutet nicht einfach uninspiriert nachspielen, sondern durchwegs in eigenes pastorales Neo-Psych-Indie-Rock/Pop-Repertoire zu übersetzen versuchen: Die Überblendung des avantgardistischen Alternative Country in zartfühlend-zerfließenden Dream Pop der progressiven kammermusikalischen Sorte mitsamt einer imposanten Gästeliste hat tatsächlich einen eigenen Charakter.
Letztendlich scheitern Mercury Rev gerade deswegen aber nicht (nur) an den Originalen, sondern auch den Gegebenheiten: Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited zeigt unter dem Strich nämlich nicht mehr, als eben genau, was es ist: Bezauberte, aber leidlich ortsunkundige Mercury Rev mit wechselnder Frontfrau an der desorientierten Spitze – was nur selten nach kongenialer Synergie klingt, sondern mal besser, mal weniger erfüllend funktionierend eher skizzierte Fingerübungen ohne kohärenten Tiefgang bietet. So harmonisch und unaufdringlich die Platte deswegen auch an sich ausgelegt sein mag, wirken ihre einzelnen Elemente oft nicht restlos schlüssig ineinandergreifend aufgehend. Viel eher ist das eine homogenisiere Heterogenität, ein nebensächliches Herantasten aller Beteiligter an nicht wirklich erfasstes Originalmaterial. Eine sammelsuriumartige Annäherung an die Vision von Bobbie Gentry durch den Filter Mercury Rev, ohne erschöpfenden Fokus, zu selten ein tatsächlicher Schulterschluss, der sich gegenseitig befruchtet.

Sicher: Jeder der zwölf Songs entwickelt eine stimmungsvolle Grundsituation mit feingeistigen Arrangements und wohliger Atmosphäre, kann seine Protagonistinnen darin spannungstechnisch jedoch zu keinem erfüllend konstruierten Climax führen, dreht die Dinge vielmehr im Kreis, bis sie sich gefällig verflüchtigen. Meistens funktioniert Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited dadurch musikalisch zwar konsequent, darüber hinaus aber zu unentschlossen, manchmal schlichtweg einfach langweilig, plätschernd, gefällig. Der Mut des Originals fehlt völlig.
Das Lowlight Reunion (mit Slowdive-Chanteuse Rachel Goswell) entpuppt sich an der Spitze des lauen Eisberges sogar als pures Ärgernis. Da wehen Gesangsharmonien entlang einer altmodischen Mundharmonika, während der irgendwo im Hintergrund stattfindende, geschmacklos eingestreute Rap wirklich nicht hätte sein müssen – auch wenn er nur für Sekundenbruchteilen stattfindet. Irgendwann nimmt die Nummer zwar pochend an rockigeren Tempo auf, ist dann aber auch schon wieder vorbei, ohne irgendwo gelandet zu sein: Das Paradebeispiel für ein unausgegorenes Fragment aus niemals ineinandergreifenden Passagen und Ideen. Vor allem fährt der im Albumverlauf an dritter Stelle der Trackliste positionierte Totalausfall auch jedwede bis dahin aufgebaute Dichte gegen die Wand und lässt Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited unter Wert fortführend gar wie einen gleichförmigen Clusterfuck wirken.
So schlimm ist die Sachlage am Ende zwar natürlich nicht, doch schärft dieser Moment das Auge für nachfolgende Mäkel. Das Traditional Sermon hat ohnedies einen schweren Stand (etwa gegen die Chaingang-Blues-Version von Johnny Cash), die Balance zwischen flapsigen Gesang (Margo Price) und bedächtiger Schwere des Lounge-Weltraum-Keyboard Prog der Marke Pink Floyd will aber auch so nicht gefunden werden, wirkt künstlich in zu engen Kontrast versetzt. Penduli Pendulum kann hingegen ansatzlos auf sein unwirklich aus der Zeit gefallenes Flair sowie das Doppel aus Vashti Bunyan und Kaela vertrauen, mäandert abseits davon aber doch zu gemütlich in Richtung Sonnenuntergang.

Freilich ist das selbst in diesen auffälligen Schwächephasen weniger schlecht per se, als dass die frustrierende Art, mit der die Kollaborationen die PS ihres Potentials geradezu irritierend nicht auf den Boden bringen, ein ums andere Mal enttäuscht. Dabei ist Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited alleine schon dadurch bis zu einem gewissen Grat gelungen, weil die schwelgende Imaginationen auch in der Version von Mercury Rev losgelöst von Raum und Zeit funktioniert, in einer fantastischen Blase jenseits des Alltags zu leben scheinen, als Erinnerungen an eine Vergangenheit, die es so vielleicht nie gegeben hat.
Okolona River Bottom Band installiert mit Norah Jones praktisch unmittelbar das jazzige Bond-Flair der Platte mit leiser Dramatik, akzentuierten Streichern und vollem Kontrabass, bleibt geheimnisvoll und niemals greifbar. Parchman Farm (Carice van Houten) wartet dagegen als spannend nach vorne pochender Western-Grails-Ausritt mit Folk-Überbau und Handclap-Abgang auf. Auch Tobacco Road (mit Susanne Sundfør) tänzelt bestimmt nach vorne, lüftet sich jedoch immer wieder für einen romantisch-schwerelosen Sepia-Refrain in bester Lana Rel Rey-Manier: Chorus und Strophe wirken vielleicht ein bisschen bemüht aneinandergeschraubt, sorgen aber für eine dualistische Dynamik. Die in Streicher gebettete Traumlandschaft Jesseye‘ Lizabeth (wieder einmal Phoebe Bridgers in prominenter Umgebung!) bietet dagegen eine melodiöse Griffigkeit, die trotz verwaschener Konturen nie den Fokus verliert – aber letztendlich symptomatischerweise doch in der Luft hängen lässt.

Dann und wann wird man die besten Nummern der Platte trotzdem nicht alleine des Namedropping wegen auflegen. Mornin‘ Glory (mit Laetitia Sadier) macht seine Sache als mit erhabener Klasse gezupftes Kleinod vor subtilem Orchester-Hintergrund überzeugend, Refractions öffnet dem Sound von Marissa Nadler sogar konsequenter neue Perspektive, als ihr eigenes Studioalbum aus dem vergangenen Jahr. Courtyard (Beth Orton) betört als märchenhafte Ballade aus der Vergangenheit und Lucinda Williams erzeugt für die (hier irritierenderweise als Closer mitgenommene) Initialzündung Ode to Billie Joe einnehmendes Gewicht hinter einem märchenhaften, mystischen Schleier. (Die Fragen, was Billie Joe und seine Freundin von der Tallahatchie Bridge warfen, sowie die Beweggründe für den finalen Selbstmord, bleiben übrigens auch in dieser Auffarbeitung unbeantwortet).
Über allem steht jedoch das die Maßstäbe für Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited definierende Big Boss Man: Hope Sandovals Stimme ist einfach unvergleichlich atmosphärisch, harmoniert symbiotisch in einem zur Schnittmenge mit Mazzy Star schleichenden Song, der so entschleunigt und ätherisch verführend in ein somnambules Klanggewand findet, das vom Glockenspiel und Chören bis zu pfeifenden Mandolinen eine intime Körperlosigkeit pflegt.
Hier gelingt der unspektakulär grundierenden Band und ihrem vereinnahmenden Gast eventuell ja unabsichtlich mehr, als nur die eigentliche Intention der Platte zu bedienen: Man hat mit Bobbie Gentry’s The Delta Sweete Revisited weniger Freude als treuer Mercury Rev-Anhänger und Fan der versammelten Sängerinnen-Riege, als dass man anstelle der hier versammelten 43 Minuten lieber das faszinierende Schaffen von Bobbie Gentry (neu oder wieder) entdecken möchte.

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