Paul McCartney – Egypt Station

von am 15. September 2018 in Album

Paul McCartney – Egypt Station

Die gute Nachricht vorweg: Das feine und auch unausgegorene Potpourri Egypt Station ist im Gesamten zu praktisch keinem anderen Zeitpunkt derart hundsmiserabel ausgefallen, wie es die schockierend geschmacklose Vorabsingle Fuh You androhte.

Allerdings klärt Egypt Station auch nicht, was McCartney zu dieser anbiedernden Zeitgeist-Totalausfall hingerissen hat: Ein austauschbar generischer Stadionbeat begleitet die catchy Melodie und die kalkuliert zum pseudoprovokativen Aufreger konstruierten Lyrics, gepitchte Vocoder-Backingstimmen malträtieren die Nerven und zeigen, wofür man (den Greg Kustin ausnahmsweise als Produzent und Co-Songwriter ablösenden) Ryan Tedder auch abseits von One Republic verachten darf.
Das kann der deutsche Rolling Stone dann deswegen auch noch so euphemistisch als „ironischen Gassenhauer, ein delikates Spiel mit Formulierung und Aussprache, eine Zweideutigkeit“ bezeichnen – nie klang der 76 Jährige überholter und irrelevanter, weil bar jeder Klasse adaptierend, als in diesem hochnotpeinlichen Song zum Fremdschämen, der neben einigen wenigen anderen Schwachpunkten nun aber glücklicherweise eben keineswegs stellvertretend für die restliche Qualität einer inkohärent zusammengewürfelten, aber weitestgehend ansatzlos überzeugenden Platte steht.

Schließlich mögen Fingerübungen wie die egale Beliebigkeit Who Cares oder die romantische Bagatelle am Lagerfeuer Confidante gefällig plätschernd durchlaufen und andere Szenen im rundum soliden Gesamtfluss dann auch durchaus subtil störend wirken – etwa das rockig stompende Come On to Me, das als nicht sonderlich inspirierter, ermüdend eindimensionaler Singalong mit indischen Sprengsel und orchestralem Flirt seine plakativen Absichten nicht kaschiert, auf kommenden Konzerten von besonders vielen Menschen mitgesungen und beklatscht zu werden und sich damit die selbe Bestätigung zu holen, wie die auf simple Animation ausgelegte Beatles-Reminiszent People Want Peace.
Und Hand in Hand lebt alleine von McCartney patentierten Gefühl für Harmonie, hat aber im Grunde darüber hinaus keine zündenden Idee – und lädt deswegen zur Kompensation kurzerhand eine mysteriöse Flötenbegleitung ein.
Dem gegenüber stehen jedoch einige Schönheiten, wie nur Sir Paul sie zustande bringt: Das herrlich kitschig beginnende I Don’t Know ist bittersüß-tröstender, kontemporär unspektakulärer Pop mit Klavierrückgrat, der als tröstende Grandezza beinahe im Alleingang eine Rückkehr des Badly Drawn Boy obsolet machen könnte; das authentische Happy With You wiederum ist eine nostalgische, reduziert inszenierte Nachdenklichkeit über die vergänglichen Dinge des Lebens und das mit psychedelischer Patina bestäubte Dominoes sticht in seiner angenehmen Unaufdringlichkeit hervor.

Gerade im letzten Drittel dreht Egypt Station zudem ohnedies noch einmal auf – auch, wenn es dann eher die Vielzahl an Ideen und Ambitionen sind, die anziehen, als dass hier tatsächlich das Songwriting per se für nachhaltige Ohrwürmer sorgen würde. Das scheinbar unangestrengte Back in Brazil sowie das produktionstechnisch um den Outlaw-Rock’n’Roll pirschende Caesar Rock sind rhythmisch unkonventionell aus der Komfortzone von McCartney stacksende Hüftschwünge, das altersweise Do it Now wächst hinten raus immer opulenter jubilierend an.
Und ganz generell scheint die lebende Legende hinten raus primär selbstbewusst und vehement gegen zu gemütlichen Dadrock anspielen zu wollen: Das nostalgisch tändelnde Despite Repeated Warnings wirft zur Mitte hin alle Fesseln ab und vollzieht energischer rockend einen regelrecht proggigen Turn, der später auch noch bombastische Wendungen zum Casino vollführen wird, bevor es die Intimität für sich entdeckt. Und im von Prince inspirierte Hunt You Down/Naked/C-Link findet eine Suite das hungrige Medley, welches eher anzeigt, wozu McCartney auch heute noch fähig ist, als tatsächlich irgendwo anzukommen.
Womit der Closer dabei aber durchaus symptomatisch für eine Platte steht, die effektiver selektiert und fokussierter ausgelegt noch weitaus stärker überzeugen hätte können, wo Egypt Station so  mitunter auch „nur“ über seine zeitlose Klasse wohlwollend einnimmt und zwischen den Punkten aufwerten lässt. Nichtsdesotrotz genügt das, um aus dem Einerlei des aktuellen Pop zu strahlen: McCartney hat es auch im siebzehnten Anlauf seiner nominellen Solodiskografie nach den Beatles (und neben Linda oder den Wings gerechnet) nicht geschafft, ein schwaches Album aufzunehmen. Trotz Fuh You.

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